Kernkraft muss auf die Agenda der schwarz-roten Koalition
Als ich hier zuletzt im Januar 2025 über Kernenergie schrieb, erreichte das Handelsblatt unter anderem folgende Leserzuschrift: „Ich bitte Sie, davon Abstand zu nehmen, sich für rechtsideologische Themen wie Atomkraft instrumentalisieren zu lassen. Mit ihrem sogenannten Gastbeitrag befinden Sie sich am äußerst rechten Rand.“ Andere Leserbriefschreiber mahnten, solche Beiträge könnten „Zweifel am eingeschlagenen Weg wecken“ und wären deshalb „schädlich“.
Abgesehen davon, dass sogar in der rechtsextremer Umtriebe sicherlich unverdächtigen „taz“ mittlerweile Artikel erscheinen, die den Atomausstieg kritisch sehen, habe ich in meinem Kommentar lediglich aufgezeigt, wie die Kosten der Kernenergie in vermeintlich neutralen Studien systematisch schlechtgerechnet werden: doppelte so hohe Kapitalkosten wie für Windenergie, unrealistisch kurze Nutzungsdauer der Anlagen (40 statt 80 Jahre) und ein Auslastungsgrad von nur 30 Prozent, während die deutschen AKWs stabil über 90 Prozent der Zeit am Netz waren. Bei diesen Annahmen kann sich nichts rechnen.
Das Feedback zeigt gut auf, was schiefläuft bei der Diskussion um die Zukunft der Energieversorgung unseres Landes. Statt nüchtern zu prüfen, wie sich die Erfordernisse eines Industriestaats nach günstiger und zuverlässiger Energie erfüllen lassen, wird mit Tabuisierung und Diskreditierung gearbeitet.
Dabei genügt ein Blick über die Grenzen, um zu sehen, wie man es besser macht. Obwohl Schweden schon heute weitgehend klimaneutral Strom erzeugt (40 Prozent Wasserkraft, 30 Prozent Kernkraft, 20 Prozent Windkraft, acht Prozent Biomasse und zwei Prozent Solarenergie) und die Elektrifizierung beispielsweise mit Wärmepumpen viel weiter fortgeschritten ist als hierzulande, plant die Regierung mit Unterstützung der Gewerkschaften den Bau neuer Kernkraftwerke, um so auch künftig mit zuverlässigem und günstigem Grundlaststrom ein Industriestandort zu bleiben.
Dass Wind- und Solarenergie einen Anteil von sieben Prozent am deutschen Primärenergiebedarf haben – Öl, Gas und Kohle stehen für über 70 Prozent – unterstreicht, wie gigantisch die Aufgabe der Dekarbonisierung ist und wie unrealistisch ihre Realisierung ohne Kernkraft.
Die von der Politik als Lösung propagierte „Wasserstoffwirtschaft“ wird sich bis 2045 nicht realisieren lassen und zudem kostenmäßig niemals wettbewerbsfähig sein – schon gar nicht gegenüber Ländern wie Schweden. Kein Wunder, dass in Deutschland – wie in ganz Europa – die Zustimmung der Bevölkerung zur Kernenergie deutlich gestiegen ist.
Bleibt als letztes Argument der Kernkraftgegner das fehlende Interesse der früheren Betreiber an einem Wiedereinstieg. Das ist allerdings erklärbar: EnBW ist im Besitz eines von Grünen regierten Bundeslandes. Zudem verdienen alle drei ehemaligen Betreiber von Kernkraftwerken (EnBW, Eon und RWE) durchaus gut an der Energiewende in ihrer aktuellen Form. Der wesentliche Punkt dürfte aber dieser sein: Langlaufende Investitionen brauchen Planungssicherheit. Genau dieses Vertrauen wurde durch die erratische Ausstiegspolitik grundlegend zerstört.
Umso erfreulicher ist, dass die führenden europäischen Kerntechnikunternehmen in einer gemeinsamen Stellungnahme erklären, nicht nur die Anlagen wieder herstellen, sondern auch betreiben zu können. Als Vorbild könnte Belgien dienen, wo eine Betreibergesellschaft mit Staatsbeteiligung diese Aufgabe übernimmt.
Die Herausforderungen der Kernkraft – Kosten, Bauzeit, Endlager – lassen sich bewältigen. Das Problem, welches die Kernkraft löst – billige, stabil verfügbare und CO2-freie Energie –, ist ungleich wichtiger und dringender.