Mindestlohn: Staatlich kaschierter Niedergang
Dieser Kommentar erschien bei WeLT:
Wer kann schon gegen höhere Löhne sein? Jedem sollte es möglich sein, mit dem erzielten Einkommen den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ob eine Erhöhung des Mindestlohns das geeignete Instrument ist, das Ziel auskömmlicher Löhne zu erreichen, muss allerdings bezweifelt werden.
Der Lohn muss nämlich vom Arbeitgeber erwirtschaftet werden. Im günstigsten Fall steigt die Produktivität – etwa durch leistungsfähigere Maschinen oder bessere Ausbildung – und trägt damit dazu bei, dass der Arbeitnehmer pro Stunde mehr erzeugt. Dann kann der Arbeitgeber die Lohnsteigerung nicht nur verkraften, sondern wird gerne bereit sein, die Früchte des Leistungszuwachses zu teilen.
Im schlimmsten Fall wächst die Produktivität nicht. Dann gibt es keinen größeren Kuchen zu verteilen und eine (staatlich verordnete) Lohnsteigerung führt entweder zu höheren Verkaufspreisen – wenn das Unternehmen diese am Markt durchsetzen kann – und, so dies alle Unternehmen können, zu Inflation. Geht dies nicht, sinken die Gewinne der Unternehmen, die dann versuchen, Kosten zu senken und Mitarbeiterstellen abzubauen. Wahrscheinlich ist eine Kombination. Die steigenden Preise zehren dabei einen guten Teil des Lohnzuwachses auf, den Rest schnappt sich der Staat mit Steuern und Abgaben.
Womit wir bei der aktuellen Diskussion zum Mindestlohn wären. Befürworter einer Erhöhung auf 15 Euro verweisen darauf, dass die Einführung (8,50 Euro im Jahr 2015) und die überproportionale Steigerung um 5 Prozent pro Jahr auf heute 12,82 Euro keine Beschäftigung gekostet hätte. Abgesehen davon, dass wir in der ersten Hälfte des Zeitraums eine sehr gute Wirtschaftslage hatten, kann niemand wissen, wie viele Arbeitsplätze aufgrund des Mindestlohnes nicht entstanden sind.
Nun sind wir aber eindeutig in einer anderen Lage. Die deutsche Wirtschaft steckt im dritten Jahr der Rezession und die Aussichten sind mau. Die Produktivität stagniert bereits seit Jahren. Erhöht man in diesem Umfeld den Mindestlohn, ist es ein weiterer Sargnagel für die deutsche Wirtschaft, die nach Berechnungen des Sachverständigenrats bereits so schon deutlich an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Ursächlich dafür sind neben den viel zu hohen Energiekosten die relativ zur Produktivität zu hohen Löhne.
Dies unterstreicht folgende Beobachtung: Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen liegt nach Berechnungen der Weltbank in Deutschland leicht unter dem Niveau von Italien, den Niederlanden und Frankreich – und deutlich hinter Luxemburg und Irland. Umgekehrt erwirtschaften Spanier, Polen und Portugiesen deutlich geringere Einkommen pro Erwerbstätigen. Dass Deutschland in diesem Ranking so einen überraschend mittelmäßigen Platz einnimmt, darf nur auf den ersten Blick überraschen. In den letzten Jahren sind vor allem in den unteren Einkommensgruppen Arbeitsplätze entstanden, was mit Blick auf die Zuwanderung überwiegend unqualifizierter Menschen positiv zu sehen ist, wären doch sonst noch mehr Migranten auf vollständige staatliche Unterstützung angewiesen.
Der Mindestlohn sollte das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen widerspiegeln. Doch das ist bereits heute nicht der Fall. Während die Einkommen in Irland (85%) und Luxemburg (84%) deutlich höher als bei uns sind, liegen die dortigen Mindestlöhne nur fünf Prozent (Irland) bzw. 19 Prozent (Luxemburg) über dem deutschen Niveau. In den Niederlanden ist der Mindestlohn zehn Prozent höher als bei uns, was ungefähr dem Einkommensvorsprung der Niederländer entspricht, während der Mindestlohn in Frankreich sieben Prozent tiefer liegt. In Italien, wo es keinen einheitlichen Mindestlohn gibt, sondern einen nach Sektoren von ca. sieben bis neun Euro, liegt das Niveau mindestens 30 Prozent tiefer.
Nimmt man die Niederlande, Frankreich und Italien zum Maßstab als Länder, in denen die kaufkraftbereinigten Einkommen bis zu zehn Prozent über dem deutschen Niveau liegen und blickt auf die dortigen Mindestlöhne, kann man nur zur Feststellung kommen, dass der deutsche Mindestlohn bereits heute großzügig und eher zehn Prozent zu hoch ist.
Käme es nun zur Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro, läge nur noch Luxemburg vor uns, allerdings mit einem sonst 85 Prozenthöheren Einkommen. Die Gewerkschaften würden zudem alles daransetzen, den Lohnabstand zumindest teilweise zu sichern, was den allgemeinen Lohndruck erhöht.
Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage dürfte es den Unternehmen schwerfallen, die Preise entsprechend zu erhöhen. Die zwangsläufige Folge: weniger Arbeitsplätze, Geschäftsaufgaben im Inland und noch schnellere Verlagerung ins Ausland.
Womit wir bei dem offensichtlichen Problem der hiesigen Wirtschaftspolitik wären: Wohlstand schafft man nicht durch staatliche Lohnvorgaben, sondern durch die Erhöhung der Produktivität. Dies bedeutet, mehr Investitionen der Unternehmen – Voraussetzungen: geringe Steuern- und Abgaben, wenig Bürokratie, wettbewerbsfähige Energiekosten und funktionierende Infrastruktur – und eine bessere Qualifizierung der Arbeitnehmer. Alles Themen, die bei der sich abzeichnenden KleiKo unter „Finanzierungsvorbehalt“ stehen oder gleich zum Tabu erklärt wurden.
Die Tatsache, dass so heftig über den Mindestlohn gestritten wird, zeigt eindeutig: Die deutsche Politik hat sich von der Bewahrung von Wohlstand als Ziel verabschiedet und konzentriert sich nunmehr darauf, den Niedergang mit staatlichen Wohltaten zu kaschieren. Bitter.