Digitalisierung „made in Europe“ ist die letzte Chance

In den 1980er-Jahren gelang es Europa, einen globalen Standard zu etablieren. Der Mobilfunkstandard GSM setzte zum Siegeszug an. Dabei war es zu Beginn des Prozesses keineswegs ausgemacht, dass es gelingen würde, gegen die technologisch und finanziell stark aufgestellte US-Konkurrenz zu bestehen.

Dass es dennoch gelungen ist, GSM als globalen Standard zu setzen, lag am gemeinsamen europäischen Vorgehen und vor allem daran, dass man sich darauf konzentriert hat, Standards zu definieren. Diese ermöglichten es verschiedenen Marktteilnehmern, das System zu nutzen, und erleichterten die internationale Verbreitung.

Für Alexander Markowetz, Professor für Informatik an der Universität Marburg, zeigt das Beispiel GSM, was auch heute in Europa möglich wäre.

Die Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und öffentlicher Verwaltung steht erst am Anfang, und obwohl wir – gerade in Deutschland – offensichtlich nicht zu den Vorreitern gehören, ist Markowetz davon überzeugt, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist.

Gemeinsam mit Kristian Kersting, Professor für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen, und Dominik Michels, Professor für Intelligente Algorithmen in Modellierung und Simulation – beide lehren an der TU Darmstadt –, hat Markowetz eine Analyse vorgelegt, die aufzeigt, wie wichtig die Gründung eines Digitalisierungsministeriums in Deutschland ist, um den Prozess der digitalen Transformation endlich voranzubringen.

Die neue Regierung hat sich tatsächlich dazu entschieden, ein dediziertes Ministerium einzurichten. Damit ist der Erfolg aber nicht garantiert. Das Ministerium muss auch die richtigen Schwerpunkte setzen und eine erfolgversprechende Vorgehensweise einschlagen, will es sich nicht in die lange Liste der gescheiterten Projekte der deutschen Politik einreihen.

Der Schlüssel liegt in der Interoperabilität – standardisierten Schnittstellen, die die Abwicklung von Geschäftsprozessen zwischen IT-Systemen beliebiger Institutionen, unabhängig von den jeweiligen Herstellern erlauben –, weshalb die drei Wissenschaftler auch von einem „Bundesministerium für Interoperabilität“ sprechen.

Dem Ministerium obliegt dabei die Schaffung und Durchsetzung von einheitlichen Schnittstellen, Methodiken, Standards, Konzepten und Governance-Modellen, um eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen IT-Systemen über Staaten, Länder, Behörden und Branchen hinweg sicherzustellen.

Keine leichte Aufgabe. Deshalb fordern die Wissenschaftler, dass das Digitalministerium gegenüber den Fachministerien bei diesen Querschnittsaufgaben weisungsbefugt sein sollte, nach dem Vorbild der Richtlinienkompetenz des Kanzleramts.

Die Weisungsbefugnis ist der Schlüssel zum Erfolg

Eine solche Weisungsbefugnis ist unstrittig entscheidend für den Erfolg, und wir werden sehr rasch sehen, ob die Regierung Merz den Willen hat, diese durchzusetzen.

Da die fachliche Zuständigkeit für die Digitalisierung der Verwaltung weiterhin bei den jeweiligen Fachministerien bleibt und diese lediglich die vom Digitalministerium geschaffenen Methoden anwenden müssen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass es gelingt. Wobei man den Widerstand von Verwaltung und Politik nie unterschätzen sollte.

Die Steuerung der Digitalisierungsagenda durch das Ministerium muss zudem zwingend wie beim Vorbild GSM in eine gesamteuropäische Initiative eingebunden sein. Hier kann Deutschland nun als aktiver Promoter auftreten und der gesamten EU dabei helfen, die digitale Transformation – die viel mehr ist als einzelne digitale Lösungen – umzusetzen und den Anschluss an die Weltspitze zu finden.

Der Aufbau des Ministeriums wird sicherlich erst zum Ende der neuen Legislaturperiode abgeschlossen sein. Umso wichtiger, dass es gelingt, die richtige personelle Mischung aus Fachleuten und mit Bürokratie und Politik erfahrenen Mitarbeitern zu finden, um die „Interoperabilität“ als Grundsatz fest zu verankern.

Denn machen wir uns nichts vor: Nachdem das Thema mehr als 20 Jahre verschlafen wurde, haben Deutschland und die EU wohl die letzte Chance, Digitalisierung „made in Europe“ voranzubringen.