Sollten wir nicht doch das Modell argentinische Kettensäge rausholen?
„Hätte Deutschland im Jahr 2015 einen umfassenden Bürokratieabbau durchgeführt, wäre das BIP pro Kopf 2022 um 2449 Euro höher ausgefallen. Im Zeitraum von 2015 bis 2022 hätte dies einem jährlichen Zuwachs des realen BIP pro Kopf von durchschnittlich 1766 Euro entsprochen. Damit entging Deutschland eine Wirtschaftsleistung von durchschnittlich 146 Mrd. Euro pro Jahr“, schreibt das Münchner ifo Institut in einer aktuellen Studie.
Die Stiftung Marktwirtschaft rechnet derweil vor, dass die Anzahl der im Bundesrecht geltenden Einzelnormen aus Gesetzen und Verordnungen von 80.000 im Jahr 2010 auf 96.000 gestiegen ist, verbunden mit einem überproportionalen Zuwachs an Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Seit 2015 stieg die Zahl der Planstellen für Beamte in den Bundesministerien inklusive Bundeskanzleramt um mehr als 7000 Stellen bzw. 47 Prozent und dabei vor allem die teuren Besoldungsgruppen.
Da könnte man meinen, es ist nur konsequent, dass die neue Bundesregierung, unter anderem angetreten mit dem Versprechen des Bürokratieabbaus, die Anzahl der Ministerien auf 17 erhöht. Das ist kein Plädoyer gegen das neu geschaffene Digitalministerium. Es ist eher die Frage, weshalb es beispielsweise nicht gelang, die längst überfällige Abschaffung des Entwicklungshilfeministeriums umzusetzen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig, denn die Politik findet Gefallen daran, sich immer mehr in Wirtschaft und Gesellschaft einzumischen. Diese Entwicklung ist auch an einem Staatsanteil von mittlerweile 50 Prozent am BIP ablesbar. Erstaunlicherweise gelingt es Politikern immer noch, den Bürgern einzureden, sie seien die Lösung, obwohl in faktisch allen Politikbereichen – von Energiewende bis Wohnungsmangel – die Politik die schlechte Lage durch immer mehr Interventionen erst herbeigeführt hat. Einen wesentlichen Anteil hat die Verwaltung selbst, die seit Jahren das „Parkinsonsche Gesetz“ bestätigt, wonach die Verwaltung vor allem davon lebt, das eigene Wachstum zu befeuern.
Dennoch verspricht die neue Regierung laut Koalitionsvertrag eine Trendwende. Ein „Sofortprogramm“ soll noch 2025 für bürokratische Entlastung sorgen. Ähnliches kommt auch von der EU-Kommission, die zum Beispiel bei Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit entlasten will. Zu wünschen ist es, wobei Zweifel mehr als angebracht bleiben. Zu groß ist der inhärente Drang der Politik, immer mehr regeln und steuern zu wollen. Zuletzt wurde das sichtbar an der EU-Idee, ältere Autos zu einem jährlichen Technik-Check zu verpflichten, obwohl alle Daten dafür sprechen, dass es nicht die Autos, sondern die Fahrer – überproportional Ältere und Jüngere – sind, die hinter den relativ höheren Unfallzahlen stehen.
„Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen“, wusste man schon im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Im übertragenen Sinne gilt heute, wer weniger Bürokratie möchte, muss den Staatsanteil an der Wirtschaftsleistung deutlich unter 50 Prozent drücken. Doch genau dieses wichtige Ziel fehlt nicht nur im Koalitionsvertrag. Es widerspricht auch dem Selbstverständnis unserer Politiker.
So bleibt das Risiko groß, dass es doch einmal zum Einsatz einer „Kettensäge“ nach argentinischem Modell kommen muss. Aber erst in einigen Jahren, wenn Bürokratie, Gesetzesumfang und Personalbestand der öffentlichen Verwaltung unübersehbar endgültig außer Kontrolle geraten sind.