“Die Strategie für das zweite Halbjahr”
Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:
Bis jetzt lief es gut für die Anleger. Verwöhnen uns die Märkte auch im zweiten Halbjahr oder droht die große Ernüchterung?
Die Börsen eilen von Rekord zu Rekord, die Wirtschaftsdaten hellen sich auf, die Politik mag zwar in einigen Bereichen turbulent sein, in den für die Börsen entscheidenden Themen ist es aber immer gut gegangen. Die Eurozone ist zwar immer noch schwer krank, doch wird die Politik der Krisenunterdrückung – nicht Lösung – auf absehbare Zeit fortgesetzt.
Schwere Fragen
Stellt sich die Frage, wie es im zweiten Halbjahr weitergeht. Vordergründig spricht wenig gegen eine Fortsetzung des positiven Trends, trotz der an dieser Stelle vor einigen Wochen diskutierten zehn möglichen Gründen für einen Crash. Dennoch stehen wir als Anleger vor schwierigen Fragen:
- Der Boom an den Börsen spiegelt immer noch mehr die Hoffnung auf eine echte Verbesserung der Gewinnlage der Unternehmen wider als echte Gewinnverbesserungen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Gewinne anziehen?
- Der Aufschwung wird vor allem von billigem Geld getrieben, was zu immer sichtbareren Blasen führt. In Deutschland, wie die aktuelle WirtschaftsWoche eindrücklich diskutiert, aber auch in anderen Ländern der Welt. So lag die Marktkapitalisierung der US-Unternehmen relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) schon fast wieder auf dem Rekordstand vom Jahr 2000. Der Index aller Vermögenswerte hat sich erneut deutlich von der Entwicklung des BIP entfernt. Wie lange können sich die Vermögenswerte noch von der Realität abkoppeln?
- Die Angst vor Zinserhöhungen nimmt wieder ab, was an der geringer als erwarteten Inflation liegt (billiges Öl!) und der immer noch enttäuschenden Entwicklung der Realwirtschaft, man denke an die jüngsten US-Arbeitsmarktzahlen. Dennoch bleiben Zinserhöhungen auf der Agenda. Die Bank of America geht gar davon aus, dass die Fed am Ende die Zinsen nicht erhöht, um die Inflation zu bekämpfen, sondern um der Blase an den Finanzmärkten entgegen zu treten. Werden die Börsen einen Zinsanstieg wirklich so entspannt hinnehmen?
- Der Kursaufschwung wird vor allem von Wachstumswerten getrieben, während die sogenannten Value Stocks nicht mithalten. So ist nach Berechnung der Bank of America die Kursrelation zwischen US-Wachstumstiteln und globalen Value-Aktien auf den Stand von Frühjahr 2000 geklettert. Bei den Wachstumswerten sind es vor allem die US-amerikanischen Marktführer, die den Aufschwung seit Jahresanfang treiben: Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft, gemeinsam rund 3000 Milliarden US-Dollar schwer, stehen für 40 Prozent der diesjährigen Avance im S&P 500. Dabei sind diese Aktien von Blasenbewertungen weit entfernt, und wie diskutiert gibt es gute Gründe auf die Gewinner der technologischen Revolution zu setzen und die Verlierer zu meiden. Dennoch: Ist das Enttäuschungspotenzial nicht schon zu groß?
- Zugleich fällt es Investoren, die nach unterbewerteten Aktien suchen, immer schwerer, solche zu finden. Es ist letztlich alles auch angesichts des tiefen Zinsniveaus zu teuer. Wer soll als Käufer auftreten, wenn schon alle investiert sind?
„Alternativlosigkeit“ der Aktien
- Trotz des Booms hat sich der Goldpreis erholt. Dabei rechnen die Experten der Deutschen Bank vor, dass Gold nach allen Kriterien deutlich tiefer stehen müsste – außer in Relation zur Bilanzsumme der Notenbanken, die alleine in diesem Jahr schon wieder um 1000 Milliarden US-Dollar angeschwollen sind. Wieso also steigt die Nachfrage nach einer ertraglosen Sicherheit, angesichts steigender Zinsen und boomender Börsen?
- Obwohl die EZB an ihrer Politik festhält, steigen die Zinsen in den Krisenländern wieder. So befinden sich die italienischen Staatsanleihen an einem kritischen Punkt und könnten den deutlichen Zinsanstieg seit Mitte vergangenen Jahres fortsetzen. Zeigt dies schon an, dass die Märkte eine baldige Krisenneuauflage in Italien erwarten, oder schwindet einfach nur das Vertrauen in die Allmacht der Notenbanken?
Wir haben es also mit strategischen und operativen Problemen zu tun: strukturelle Verschiebungen der Wirtschaft, die zu Gewinnern und Verlierern führen, ultralockere Geldpolitik, die alles verzerrt und die ungelöste Schulden- und Eurokrise. Hinzu kommen die wahrgenommene „Alternativlosigkeit“ der Aktien und der wieder erstarkende Reiz des Goldes als Versicherung gegen das Szenario einer finanziellen Kernschmelze. Ich muss gestehen, dass auch mich das etwas ratlos zurücklässt. Normalerweise ist es durchaus möglich, eine klare Meinung zu den Märkten zu haben.
Entwicklung passt nicht zusammen
Heute gibt es zu viele Entwicklungen, die nicht zusammenpassen: Anleihenmärkte, die in den USA eher auf Rezession deuten und Börsen die gleichzeitig boomen. Ein erstarkender Euro, steigende italienische Zinsen und boomende Börsen, zunehmende politische Spannungen in der Welt und steigende Börsen. Mit den Notenbanken alleine lässt sich das nicht mehr erklären und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder eine konsistentere Entwicklung haben werden. Die Anpassung kann langsam und über Zeit erfolgen oder ausgelöst durch einen externen Schock rasch.
Ein Umfeld, in dem es angezeigt ist, das eigene Portfolio mit der Soll-Struktur abzugleichen: je 25 Prozent von Cash, Gold, Immobilien und Aktien sollten es sein. Vermutlich ist der Anteil von Cash und Gold in den vergangenen Monaten gesunken. An dieser strategischen Allokation würde ich mich auch für die kommenden Monate halten. Taktische Opportunitäten wie früher zu Dollar und Pfund sehe ich noch nicht. Allerdings könnte es gut sein, dass die Rally des Euros demnächst zu Ende ist.
→ WiWo.de: „Die Strategie für das zweite Halbjahr“, 8. Juni 2017