Eine negative Einkommens­steuer ist das beste Bürgergeld

Dieser Kommentar erschien im Handelsblatt:

Laut Ampelvertrag wird eine Kommission ein Reformkonzept ausarbeiten, das Bürgergeld, Wohngeld und gegebenenfalls weitere steuerfinanzierte Sozialleistungen aufeinander abstimmt. Zuverdienstmöglichkeiten sollen verbessert und Grenzbelastungen von 100 und mehr Prozent ausgeschlossen werden. Eine Sozialreform soll, ja muss her.

Denn in der Tat lohnt sich Arbeit in Deutschland nicht immer. So hat eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern zwischen 2000 und 2500 Euro monatlich verfügbares Einkommen, unabhängig davon, ob 3000 Euro Bruttoeinkommen verdient werden oder gar keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen wird.

Dabei ist der Verlauf der Nettoeinkommen keineswegs geradlinig, es gibt sogar in der Gegend von 2500 Euro Bruttoeinkommen eine Schwelle, wo das Nettoeinkommen sinkt, wenn das Bruttoeinkommen steigt.

Eine Reform ist mehr als überfällig. Vielleicht gibt es im Ausland Vorbilder? Großbritannien und die USA machen seit Jahren sehr gute Erfahrungen mit einem Sozialsystem, das Anreize zur Arbeitsaufnahme stärkt und zugleich Armut bekämpft. Genau das, was wir mit Blick auf die demografische Entwicklung benötigen.

Der amerikanische „Earned Income Tax Credit“ (EITC) wirkt wie eine negative Steuer. Eine Familie mit zwei Kindern bekommt bei einem Haushaltseinkommen von 15.000 US-Dollar vom Finanzamt rund 6000 Dollar hinzu.

Arbeitsanreiz hoch setzen

Steigt das Einkommen, bleibt der Zuschuss zunächst unverändert, und ab einem Gesamteinkommen von 25.500 sinkt der Zuschuss um 21 Cent pro hinzuverdientem Dollar. Das bleibt so, bis bei knapp 50.000 Dollar Einkommen die Familie keinen Zuschuss mehr erhält, aber auch keine Steuern zahlt.

Zu jedem Zeitpunkt bleiben der unterstützten Familie mindestens 79 Cent von jedem hinzuverdienten Dollar. Ein besseres Modell, um die Aufnahme von Arbeit und vor allem das Interesse an höheren Einkommen zu steigern, ist kaum vorstellbar.

Ginge das auch in Deutschland? Vom Grundsatz her ja, nur wird die Grenzbelastung, also die zusätzliche Steuer, die zu entrichten ist, steiler als in den USA sein müssen. Das liegt am generell höheren Niveau der sozialen Absicherung hierzulande. Zu hoffen bleibt, dass die Regierung sich durchringt, den Arbeitsanreiz so hoch wie nur möglich zu setzen.

Würde eine solche negative Einkommensteuer zu einer Subventionierung der Arbeitgeber führen? Das lässt sich anhand der Erfahrungen in Großbritannien und den USA nicht bestätigen. Gerade der erst erhöhte Mindestlohn bildet einen effektiven Schutz vor dieser Entwicklung.

Außerdem kann und sollte das System auch nicht dazu führen, dass geringqualifizierte Menschen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, weil ihre Löhne nicht erwirtschaftet werden können.

Wie bei anderen Reformbereichen für unser Land gilt auch hier: Lasst uns das Rad nicht neu erfinden, sondern umsetzen, was andernorts seit Langem funktioniert.

handelsblatt.com: “Eine negative Einkommenssteuer ist das beste Bürgergeld”, 7. Januar 2022