Wir sind zum Helikoptergeld verdammt
Dieser Beitrag erschien am 24. November 2014 zum ersten Mal bei bto. Er ist so klar und eindeutig, dass mit Blick auf den Beitrag von gestern morgen die Wiederholung lohnt!
Nach der Lektüre dieses Interviews dachte ich mir, eigentlich könnte ich diese Seiten einstellen. Alles, was man zur Krise sagen muss, ist in diesem Interview gesagt. Noch dazu aus dem Munde eines wirklichen Experten mit der Autorität des ehemaligen Amtes: Adair Turner war von 2008 bis 2013 Chef der britischen Finanzaufsicht Financial Services Authority und zuvor unter anderem bei McKinsey. Er spricht offen und deutlich aus, was neben ihm nur der ehemalige Chefvolkswirt der BIS, William White, tut. Beide werden sich nicht nur in Interviews äußern, sondern vor allem im direkten Gespräch mit den heutigen Entscheidungsträgern. Bleibt die Frage: Warum handeln die nicht endlich?! Wie immer die Highlights:
- „Wir haben ein riesiges Problem. Die Gesamtsumme an Schulden, privaten und öffentlichen, ist so gross, dass wir kaum mit Wachstum aus diesem Schlamassel kommen. Manche sagen, man kann immer aus Schulden herauswachsen. Sie verweisen auf das Beispiel Grossbritanniens, das aus dem Zweiten Weltkrieg mit einem Schuldenstand von 240 % des Bruttoinlandprodukts kam. 1970 waren es dann nur noch 50 %. Aber wir konnten damals nur aus den Schulden herauswachsen, da 25 Jahre lang das BIP nominal 8% jährlich gewachsen ist. Wegen der Demografie und einer höheren Produktivität konnten wir ein reales Wachstum von 3 % jährlich erreichen. Wir hatten ein unter enger Kontrolle stehendes Finanzsystem, in dem wir eine Inflation von 5 % und Zinsen von 3 oder 4 % hatten.“ ‒ bto: genau. Die fundamentale Lage ist in dynamisch wachsenden Volkswirtschaften (gute Demografie, viel Zerstörung durch den Krieg/Nachholbedarf) eine ganz andere als heute.
- „Die höchste Inflation, die wir haben werden, wird bei 2 % liegen. Und unsere reifen Volkswirtschaften haben einen hohen technischen Stand, sodass das erreichbare reale Wachstum bei höchstens 1,5 bis 2 % liegt. Mit diesen Zahlen funktioniert es einfach nicht, aus den Schulden herauszuwachsen.“ ‒ bto: exakt. Die Demografie bei uns ähnelt jener Japans von 1990.
- „Die Japaner (haben) jetzt ist (die) beste Politikoption, und meiner Meinung nach ihre einzige, die Schulden zu monetarisieren, zu Geld zu machen. Die Regierung kann entweder die Schulden restrukturieren – Verpflichtungen, die bisher 100 wert waren, sind beispielsweise nur noch 70 wert – oder monetarisieren.“ ‒ bto: Wie oft gesagt. Die Japaner fahren auf die Wand zu und geben Gas. Pleite oder Währungsreform.
- „Man ersetzt Staatsanleihen, die der Zentralbank gehören, mit einer neuen Form von Schulden, die nie fällig werden und keine Zinsen kosten. Die Bilanz der Bank of Japan würde ihre Grösse beibehalten, aber die Zentralbank würde Schulden nie zurückzahlen und darauf keine Zinsen bezahlen. Sie würden nur auf der Bilanz sitzen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Geld eine unbefristete Form von Staatsschulden ist. Werden Staatsschulden unbefristete und zinslose Schulden, werden sie zu Geld. Und das nennt man Monetarisieren.“ ‒ bto: interessante Definition von „Geld“. So betrachtet logisch, Bargeld abzuschaffen.
- „Wir sind voller Angst, dass, wenn wir es mit einem kleinen Betrag machen, wir es mit grösseren und grösseren Beträgen machen wollen – und dann würde es eine Hyperinflation wie in der Weimarer Republik oder Simbabwe erzeugen. Es ist wie ein Medikament, das in kleinen Mengen gut tut, aber in grösseren tödlich ist.“ ‒ bto: Hier liegt das Problem: Was passiert mit den Überschussreserven der Banken? Wird es zu einem Kredit/Inflationsstoß kommen? Ich denke ja. Und auch die Zweifel, dass die Politik diesen Weg nicht zu schön findet und gerne wiederholt, sind groß. Am Anfang gab es in Mesopotamien alle 30 Jahre einen „Reset“, später dann schon alle drei!!
- „Wenn man in einer Situation wie Japan ist, wird man es tun – ob man will oder nicht. Es ist ausgeschlossen, dass Japan seine Schulden jemals zurückzahlen wird. Und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird der Markt diese Tatsache erkennen. Es wird eine wachsende Anzahl von Leuten geben, die japanische Staatsschulden ohne den Teil zählen, der von der Zentralbank gehalten wird.“ ‒ bto: die Lösung durch die Hintertür. Wirklich so ohne Nebenwirkungen? Wissen wir erst, nachdem es probiert wurde.
- „Wenn die Leute schliesslich akzeptieren, dass die Regierung sich mit Zentralbankgeld und nicht mit Schulden finanziert, könnte sie eine grössere Inflation erzeugen, als die Bank of Japan es will. Dies könnte eine Abwärtsspirale auslösen: Inflation würde den Yen abwerten lassen, was die Inflation noch mehr anheizen würde. Das könnte zu steigenden Renditen für Staatsanleihen führen. Der Staat müsste höhere Zinsen auf den Teil der Schulden bezahlen, die nicht durch Geld finanziert sind.“ ‒ bto: Wird nicht passieren, weil dann einfach die BoJ alles aufkauft.
- „Noch werden diese Reserven von den Geschäftsbanken nicht für neue Kredite genutzt, wie es die Anforderungen für Mindestreserven erlauben würden. Um die Banken daran zu hindern, mehr Geld zu schaffen, könnte man die Mindestreserven nach oben setzen. Das wäre ein Aufwischen, wenn der Stimulus zu gross wird.“ ‒ bto: Setzt voraus, dass das mit der Bilanz der Notenbank überhaupt noch geht!! Und wäre vermutlich zu langsam. Ich denke, hier liegt das Risiko dieses Weges.
- „In Europa wird alles viel komplizierter: Wessen Schulden sollen abgeschrieben werden? In Japan ist die Sorge, dass mit dem Tabubruch der Monetarisierung die Regierung verantwortungslos wird und dann immer wieder mit dem Feuer spielt. In Europa ist es sogar schwieriger. Die Deutschen könnten sagen, dass Italien für die Schulden verantwortlich ist. Und bei einer Monetarisierung würde nur Italien profitieren. Die zusätzliche Inflation würde aber alle Länder treffen.“ ‒ bto: exakt! Und wir bekämen nicht einmal eine Gegenleistung in Form von Reformen und Systemen, die eine Wiederholung verhindern.
- „Im Laufe des nächsten Jahres, wenn sich die Wirtschaftslage in der Eurozone verschlechtert, könnte die Europäische Investitionsbank jede Menge Geld in Investitionsprojekte stecken und dafür Anleihen emittieren, die die EZB rein zufällig aufkauft. Die Gefahr ist: Wenn man vorgibt, keine Monetarisierung vorzunehmen, sendet man auch kein Signal an die Menschen, dass es möglich ist.“ ‒ bto: Wie bei der EZB ist das eine Schuldensozialisierung durch die Hintertür OHNE jegliche demokratische Legitimation.
- „Die Zentralbanken versuchen nun, die Effekte des Schuldenüberhangs auszugleichen, indem die Banken zu einer stärkeren Kreditvergabe angeregt werden. Das ist, wie wenn man einen Kater bekämpft, indem man wieder Alkohol trinkt. Der Schuldenüberhang ist ja schon zu gross. Damit Schulden verschwinden, müssen sie zurückgezahlt, abgeschrieben oder monetarisiert werden. (…). Wenn wir versuchen, aus den Schulden nur mit einer sehr lockeren Geldpolitik zu wachsen, wird im Jahr 2020 die Verschuldung im Verhältnis zum BIP noch viel grösser sein.“ ‒ bto: Was ich seit Jahren bemängele. Exakt: Der Schuldenturm wächst ungebremst weiter, weshalb die faulen Schulden immer mehr werden.
- „Es braucht eine vereinte Theorie der Gesamtschulden in einer Volkswirtschaft, privater wie auch öffentlicher Schulden. Gibt es zu viele Privatschulden, könnten sie in einer Krise auf die öffentliche Bilanz wandern. Aber wie viel ist zu viel? Das kommt auf das Land an. (..). Je geringer die langfristig nachhaltige Wachstumsrate, desto mehr müssen die Schulden in der Volkswirtschaft begrenzt sein. Es gibt einen bestimmten Verschuldungsgrad, ab dem man akzeptieren muss, dass die Schulden immer weiter wachsen, oder an dem eine Begrenzung der Schulden die Wirtschaft belastet.“ ‒ bto: Die meisten Volkswirte schauen immer noch nur auf die Staatsschulden. Und: Die 180-Prozent-Hürde, die ich für angemessen halte, sinkt natürlich weiter, je geringer das Wachstum. (180 = 3 mal 60 Prozent je Sektor, Staat, Private, Unternehmen. Mehr dazu in Back to Mesopotamia und in Billionen Schuldenbombe.)
- „In einer idealen Welt hätten wir Banken nie erlaubt, so hoch verschuldet zu sein, wie sie es nun sind. Internationale Banken haben nun eine Eigenkapitalquote von 10 % der risikogewichteten Bilanz. Aber sie können eine Hypothek vergeben und sie mit einem Risikogewicht von nur 10 % ansetzen. Die Banken können also ein Hypothekenbuch haben, das zu 99 % mit Schulden und nur 1 % mit Eigenkapital hinterlegt ist.“ ‒ bto: Ja, hatten wir hier auch schon besprochen.
- „Friedrich Hayek gibt eine brillante Erklärung, wie der Aufschwung funktioniert und sich selbst verstärkt. Wenn das Problem dann auftritt, gründet Hayeks Antwort auf einem deutschen Konzept von Schulden als moralischer Schuld. Man müsse säubern und liquidieren. (…) Ich stimme mit der hayekianischen Antwort nicht überein. Wir brauchen eine humanere Antwort. (…) Es braucht eine Lösung für unser Schlamassel, ohne dass das Signal gesendet wird, dass es keine Grenzen mehr gibt, da die Schulden später monetarisiert werden.“ ‒ bto: Ja, wir brauchen eine humane Lösung: geordnete Restrukturierung, Annullierung oder Vollgeld.
Glasklare Sicht auf die Welt, in der wir leben. Die Umstellung auf Vollgeld könnte hier sogar helfen: Schuldenrestrukturierung ähnlich dem hier gemachten Vorschlag und dann ‒ hoffentlich ‒ eine Begrenzung des Kreditwachstums, orientiert am nominalen BIP-Wachstum. Illusion? Vielleicht doch nicht mehr! Und da es vermutlich nicht so schnell dazu kommt, vielleicht doch ein Grund auch an dieser Stelle weiter dafür zu werben.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: „Japan wird seine Schulden niemals zurückzahlen“, 21. November 2014