Mit Blick auf die Umwelt ist die Rezession ein Desaster

Meinhard Miegel ist einer der großen Intellektuellen Deutschlands. Seine Forschungen zur fehlenden Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen sind bekannt. Eigentlich würde man erwarten, dass jemand wie er optimistisch in die Zukunft blickt und gerade bei der Klimafrage auf die Innovationskraft als Lösung setzt. Stattdessen behauptet er allen Ernstes in einem Gastbeitrag für die WeLT: “Mit Blick auf die Umwelt ist die Rezession ein Segen“. Da bleibt einem doch die Spucke weg. Wie sollen denn die rund 40 Milliarden jährlich aufgebracht werden, die eine Umstellung der deutschen Gesellschaft auf CO2-Neutralität in den nächsten Jahrzehnten laut BDI kosten werden? Wie soll es gelingen, die politische Akzeptanz für das Thema zu sichern, wenn wir massenhaft Arbeitsplätze verlieren? Gleichzeitig wollen ja auch Zuwanderung in Sozialsysteme und ungedeckte Verpflichtungen für Renten und Pensionen bezahlt werden.

Egal, für Miegel ist die Rezession ein “Segen”:

  • “Was Politiker, Experten und eine schlecht informierte Öffentlichkeit in Wallung versetzt, ist vor allem diese Zahl: das Wachstum der erwirtschafteten Güter- und Dienstemenge, das Bruttosozialprodukt. Doch diese Zahl ist in wirtschaftlich entwickelten Ländern wie Deutschland nicht annähernd so bedeutsam, wie die verbreitete Aufregung vermuten ließe.” – bto: Sie ist aber der entscheidende Indikator für die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft, ihre Verpflichtungen zu stemmen und für weiteren Wohlstand zu sorgen. Wenn es so wäre, dass es keine Rolle spielt, könnten wir ja gleich ganz darauf verzichten, das Bruttosozialprodukt zu messen. Dann sollten wir aber unsere Ersparnisse gleich abschreiben. Denn diese sind ja nichts anderes als Anspruch auf künftiges BIP.
  • “Es ist noch nicht einmal gewiss, ob ihr Anstieg oder Rückgang eine Verbesserung oder Verschlechterung der materiellen Lebensverhältnisse zum Ausdruck bringt. Und über die Lebenszufriedenheit – vom Lebensglück ganz zu schweigen – sagt sie rein gar nichts aus.” – bto: Ich denke, es genügt ein Blick auf die Entwicklung der US-Einkommen und das darauf folgende Wahlverhalten. Es genügt ein Blick auf die verfügbaren Einkommen der Gelbwesten in Frankreich. Ach, egal. Bei uns werden wir alle froh sein, wenn wir arbeitslos sind und dafür den CO2-Ausstoß von Deutschland senken. Dass dafür woanders der CO2-Ausstoß hochgeht und Arbeitsplätze entstehen, ist uns egal, weil das Glück über hiesige CO2-Einsparung den Verlust an Glücksgefühl durch Arbeitsplatzverlust überkompensiert. Wie toll ist das denn! Super.
  • “Sie lässt nur höchst unvollkommen erkennen, welchen Aufwand das verbuchte Wachstum erfordert. Welche unwiederbringlichen Bodenschätze werden verbraucht, wie viel Natur? Welche Tier- und Pflanzenarten werden vernichtet, welche gesellschaftlichen Bindungen zerstört? Und umgekehrt: Welche segensreichen Wirkungen gehen von Phasen konjunktureller Abkühlung aus – Luft und Wasser haben eine Chance, sich zu erholen, Menschen innezuhalten.” – bto: Klartext: je geringer der Wohlstand, desto besser für die Natur. Stimmt. Man könnte genauso gut sagen, wenn wir die Bevölkerung auf der Welt schnell schrumpfen lassen – durch Krieg, Seuchen, Hunger etc. – erreichen wir schnell etwas für die Natur. Das stimmt zwar, ist aber höchst asozial. Oder?
  • “Allein anhand von Wachstumszahlen lassen sich keine auch nur annähernd belastbaren Aussagen über den Zustand eines Landes und seine Entwicklung machen. Dafür bedarf es weiterer Indikatoren.” – bto: stimmt. Wir bräuchten eine Bilanz statt einer Einnahmen-/Ausgaben-Rechnung, denn dann würden wir sehen, wie wir uns in den letzten 15 Jahren haben abwirtschaften lassen!
  • “(Das) Bruttosozialprodukt (…) ist ein rechter Popanz. Wie aber ist es um eine Gesellschaft bestellt, die ständig um diesen Popanz tanzt und sich von ihm in Schrecken versetzen oder in trügerischer Sicherheit wiegen lässt? Will sie überhaupt ihren wirklichen Zustand ergründen, oder ist es ihr ganz recht, sich mit Themen zu beschäftigen, von denen sie weiß, dass sie weithin irrelevant sind? Wagt sie, der Frage nachzugehen, was Wachstum, so wie es heute definiert und gemessen wird, für eine Welt bedeutet, die schon die derzeitige Güter- und Dienstemenge nicht zu tragen vermag?” – bto: Ja, das kann man fragen. Man könnte aber auch sagen, dass diese Gesellschaft immerhin jene ist, die über technischen Fortschritt und Wohlstand einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Umweltsituation geleistet hat!
  • “Was bedeutet wirtschaftliches Wachstum für ein Land, das – wie Deutschland – schon jetzt 3,5 Globen benötigt, um zu wirtschaften, wie es wirtschaftet? Ist nicht bereits der Punkt überschritten, wo Wachstum nicht mehr wohlhabender und zufriedener, sondern ärmer und verdrießlicher macht?” – bto: Das mit den X-mal Globen ist ja nett aber nicht richtig belastbar. Wäre es nicht besser, mehr in neue Technologien zu investieren als in ein auf Dauer sehr unpopuläres Konzept der Wohlstandsreduktion?
  • “Was wir brauchen, sind Wachstumsstrategien, die ohne jedes Wenn und Aber in Einklang mit Umwelt und Mensch stehen. (…) Um das zu ändern, bedarf es eines kulturellen Wandels, der weit über das hinausgeht, was Globalisierung und Digitalisierung heute anbieten. Worum es geht, ist ein Wandel, bei dem Gesellschaften auch dann gedeihen, wenn der materielle Wohlstand – zumindest in den bereits wohlhabenden Ländern – nicht weiter steigt oder sogar sinkt.” – bto: Das ist übrigens der Aufruf zum globalen Margin Call, denn dann bricht unser Ponzi-Schema sofort zusammen. Ob Armut, Chaos (Bürger-)Kriege gut für das Klima sind? Ich wage es dem Mainstream zum Trotz, immer noch zu bezweifeln!

→ welt.de: “Mit Blick auf die Umwelt ist die Rezession ein Segen”, 1. Oktober 2019