„Fratzscher kann nicht mal Excel“
Nachdem ich recht schnell meine Kritik an Modell, Annahmen und Berechnung des DIW vorgelegt habe, sind mittlerweile andere Wissenschaftler zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Ich hatte davon berichtet:
→ Flüchtlingskrise kostet locker eine Billion
→ „Flüchtlingskrise wird locker eine Billion Euro kosten“
Nun eine weitere Studie zu dem Thema. Die F.A.Z. berichtet:
- „Marcel Fratzscher ist ziemlich gut mit Studien, die im Zweifel darauf hinauslaufen, dass der Staat nur mehr Geld ausgeben muss, dann läuft das schon mit der Wirtschaft. Ob Euro-Retterei, Bildung oder marode Brücken – der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist stets vorne dabei, wenn es gilt, steuerfinanzierte Programme vom Staat einzufordern oder zu bejubeln.“ – bto: Das kann man wohl sagen. Qualität und mediale Präsenz sind nicht ganz stimmig.
- „Egal, wie viele da kommen und wer da an der Grenze steht, ob Akademiker oder Analphabet – die Wirtschaft profitiert in jedem Fall, so lautet Fratzschers These. Milliarde für Milliarde des Staates ist demnach gut angelegtes Geld.“ – bto: was leicht zu widerlegen war und ist.
- „Wer aber an dem prinzipiellen Ergebnis zweifelt, ist fremdenfeindlich oder reaktionär, redet „bestenfalls Unfug und schlimmstenfalls Populismus“, schreibt Fratzscher wörtlich.“ – bto: Das spricht zumindest für ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein.
- „Fratzscher habe in seiner Studie ‚fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann‘, ätzt Ulrich van Suntum, Direktor am Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Münster. Seine Zensur für das DIW: Setzen, sechs! Die Flüchtlingstudie sei weder methodisch korrekt noch ehrlich kommuniziert, folglich am besten rasch einzustampfen. Schwersten handwerklichen Dilettantismus, Schludereien ohne Ende, Todsünden gegen die ökonomische Theorie – all das kreidet Suntum den Berliner Kollegen an, bis hin zum Vorwurf, Fratzscher könne nicht mal Excel.“ – bto: Am eklatantesten ist der Unterschied zwischen der Kommunikation und der inhaltlichen Arbeit aus meiner Sicht.
- „‚Selbst im optimistischsten Szenario ergeben sich hohe Nettokosten für die einheimische Bevölkerung, Flüchtlinge sind eine massive ökonomische Belastung.‘ Der Grund laut Suntum: Die volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinne durch die Flüchtlinge wurden in Fratzschers Szenarien übertrieben, die Kosten, etwa für die Krankenkassen, unterschätzt oder ganz ignoriert.“
- „Die Mängelliste, die er damit erstellt, ist lang: Gewinnquote werde mit Lohnquote vertauscht, Produktivität mit Pro-Kopf-Einkommen verwechselt, zwischen netto und brutto werde nicht unterschieden. ‚Schwer begreiflich, wie all dies den Autoren eines renommierten Instituts unterlaufen kann.‘“
So weit, so bekannt, zumindest für Leser von bto. Wenn man dann die Studie der Uni genauer anschaut, ist man wiederum erstaunt. Zum einen haben es die Autoren geschafft, das DIW zu kritisieren, ohne bereits vorhandene Kritiken – ja, ich denke auch an die meine – überhaupt aufzunehmen. Zum anderen halten sie sich zu sehr mit den volkswirtschaftlichen Modellen auf und greifen nicht die erheblichen Fehler bei den kritischen Annahmen auf. Denn Letztere sind entscheidend, wenn man wissen will, was kommt, aber auch und gerade wenn man der Politik Handlungsempfehlungen geben will. Politikern dürfte die Cobb-Douglas-Produktionsfunktion recht egal sein, ebenso wie der Unterschied zwischen Produktivität und Pro-Kopf-Einkommen. Letzteres hatte das DIW explizit so definiert in dem Papier. Es war also falsch, aber transparent.
Ein paar der Kritikpunkte nun im Detail:
- „Vielmehr handelt es sich, abgesehen von einer sehr sorgfältigen Unterscheidung der einzelnen Flüchtlingskohorten, um eine grobe Überschlagsrechnung, die zudem schwere methodische Fehler aufweist. Dies betrifft sowohl die theoretischen Zusammenhänge als auch die Grundlagen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.“ – bto: Ja, genau so von mir bereits im November konstatiert.
- „Rechnet man dagegen unter Zugrundelegung der vom DIW getroffenen Annahmen methodisch richtig, so kehren sich die Ergebnisse ins Gegenteil um. Selbst im optimistischsten Szenario des Instituts ergeben sich dann hohe Nettokosten für die einheimische Bevölkerung, und zwar auch in der langen Frist.“ – bto: Ich finde, die Annahmen sind viel mehr zu hinterfragen, vor allem die Erwerbsbeteiligung, die Durchschnittsverdienste und die Kosten je Flüchtling. In allen Dimensionen widersprechen die Annahmen des DIW deren eigenen Ergebnissen aus anderen Studien.
- „Die Rechnung des DIW stellt ein Konjunkturprogramm keynesianischer Prägung dar, welches angesichts seiner 20-jährigen Laufzeit die keynesianische Theorie ad absurdum führt. Sofern es sich um einen schuldenfinanzierten Nachfrageimpuls handelt, müssen die Schulden nämlich auch getilgt, zumindest aber verzinst werden. Dies wird in der Rechnung jedoch nicht berücksichtigt.“ – bto: In meiner Kritik am DIW habe ich das mit einer Weltreise auf Pump verglichen. In dem Jahr der Reise konsumiert man zwar mehr, am Jahresende ist man dann aber zumindest aus finanzieller Sicht nicht reicher, sondern ärmer.
- „Selbstverständlich sind solche Effekte mit jeder Ausgabe verbunden, die von den Flüchtlingen selbst oder zu ihrer Unterstützung getätigt wird. Aber sind sie größer als die Effekte, die bei anderweitiger Verwendung der entsprechenden Mittel erzielt worden wären?“ – bto: Auch das stimmt. Wenn wir mehr Geld ausgäben oder Steuern senkten, hätten wir den gleichen Effekt (gehabt).
- „(…) der Produktionsbeitrag der beschäftigten Flüchtlinge nicht nach der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität berechnet wird, sondern nach dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen der Gesamtbevölkerung (vom Baby bis zum Greis). Das ist ein viel zu geringer Wert, denn ein arbeitender Flüchtling erwirtschaftet ja das Einkommen eines einheimischen Beschäftigten (bzw. hier zwei Drittel davon). Insoweit untertreibt die DIW-Rechnung den Produktionsbeitrag der Flüchtlinge erheblich.“ – bto: Das habe ich anders verstanden. Das DIW rechnet mit einem BIP pro Kopf pro arbeitenden Flüchtling auf dem durchschnittlichen Niveau aller Migranten. Dies ist aber illusorisch, da die Struktur der Zuwanderer eine völlig andere ist, als die der vorhandenen Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Relativ zu den Migranten aus muslimischen Ländern ist es weit überhöht. Hier überschätzt das DIW!
- „Andererseits hält das DIW die Produktivität der Flüchtlinge konstant, unabhängig von ihrer Anzahl. Das ist aber nicht realistisch, denn die zusätzliche Beschäftigung von mehr als einer Million unqualifizierten Arbeitskräften wird nicht möglich sein, ohne dabei auf Jobs zurückzugreifen, die weniger produktiv sind als die bisherigen.“ – bto: Ich habe mir das einfacher gemacht und mit tieferen Gehältern pro arbeitenden Flüchtling gerechnet. Läuft auf dasselbe hinaus, ist transparenter und damit der Politik besser vermittelbar – finde ich zumindest.
- „(…) das BIP wird nach Abzug der Flüchtlingsentlohnung zu Unrecht als ‚Gewinn‘ der Einheimischen interpretiert. Das BIP enthält nämlich nicht nur Löhne und Gewinne, sondern (neben weiteren kleinen Korrekturposten) vor allem auch die Abschreibungen. Diese sind aber kein Bestandteil des verfügbaren Einkommens und somit auch kein Gewinn, sondern sie bezeichnen den Verschleiß von Anlagen und Infrastruktur. Selbst wenn man unterstellt, dass nicht sofort mit Ankunft der Flüchtlinge auch zusätzliche Abschreibungen anfallen, so ist dies doch mit fortdauerndem Aufenthalt in Deutschland zweifellos der Fall.“ – bto: Diesen Punkt habe ich übersehen. Allerdings habe ich daran erinnert, dass es sich bei der Rechnung des DIW faktisch um einen Deckungsbeitrag handelt, der die Vollkosten nicht erreicht. Auf Letztere kommt es aber an.
- „Damit kommen wir zum vielleicht gravierendsten Fehler der DIW-Rechnung: Angebots- und Nachfrageeffekte werden schlicht zum Gesamtzuwachs des BIP addiert. Angebot und Nachfrage sind jedoch zwei Seiten derselben Medaille. Verschieben sich (etwa im keynesianischen AS-AD-Diagramm) beide Kurven nach rechts, so ist der Gesamteffekt auf die produzierte Menge nicht gleich der Summe beider Verschiebungen, sondern wesentlich geringer. Das gilt schon bei normalen Elastizitäten, wenn also noch Spielraum für weitere Produktionssteigerungen besteht. Es gilt aber erst recht in einer Situation mit bereits hoher Kapazitätsauslastung, wie sie derzeit in Deutschland vorliegt.“ – bto: Ich finde die unrealistischen Annahmen am gravierendsten. Diese Modelldiskussion kann kein Politiker nachvollziehen und macht es Fratzscher damit leicht, mit allgemeinen Aussagen die Kritiker zu diskreditieren.
Die Wissenschaftler machen danach eine Alternativrechnung, die allerdings weder höhere Flüchtlingskosten noch die geringer anzusetzenden Löhne ausreichend berücksichtigt (zumindest aus meiner Sicht). Dennoch kommen sie zu folgendem Schluss:
„Eine Korrektur der gravierenden Schwächen zeigt zudem ein diametral entgegengesetztes Ergebnis:
- Statt eines Gewinns für die Volkswirtschaft bedeutet der Flüchtlingszustrom ökonomisch eine massive Belastung der einheimischen Bevölkerung, und zwar auch langfristig und unter den optimistischen Annahmen der drei DIW-Szenarien.
- Es treten starke Umverteilungswirkungen zu Ungunsten derjenigen auf, die ohnehin schon am stärksten unter Arbeitslosigkeit und geringen Einkommen leiden, nämlich der unqualifizierten einheimischen Arbeitnehmer.
- Die leichten Gewinne der qualifizierten Arbeitnehmer und der Unternehmer und Kapitalbesitzer fallen demgegenüber kaum ins Gewicht. Es sinkt sowohl das Durchschnittseinkommen insgesamt als auch – nach Abzug der Flüchtlingskosten – das Verfügbare Einkommen der einheimischen Bevölkerung.“ – bto: um 14,3 Milliarden p. a.
bto: was dann noch hinzukommt: Die Kosten fallen nicht einmalig an, sondern jährlich, und zwar auf Jahrzehnte hinaus. Das kostet mehr als die Wiedervereinigung. Und nein, wir sind nicht reich genug, um das zu verkraften. Letzteres wird zwar in den Talkshows und Kommentarspalten immer behauptet, vergisst aber die enormen Verpflichtungen für Europa und die ungedeckten Versprechen für Renten und Pensionszahlungen.
→ F.A.Z. online:„Fratzscher kann nicht mal Excel“, 24. Dezember 2015