Deflation: Analyse richtig, Schlussfolgerung falsch
Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal am 9. Mai 2014 bei bto.
Erneut das Thema Deflation. Ambrose Evans-Pritchard nimmt eine Rede des Generaldirektors der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zum Anlass, die aktuelle Deflationsdiskussion nochmals zu beleuchten. Treue Leser dieser Seiten wissen, dass ich zwar die Befürchtung von Ambrose Evans-Pritchard teile, dass eine Deflation bzw. eine Phase tiefer, Inflation, in der Tat in eine Schulden-Deflations-Spirale , wie von Irving Fisher in den 1930er-Jahren beschrieben, münden könnte. Aber nicht die Forderung, über mehr Quantitative Easing eine Deflation zu bekämpfen. Im Gegenteil: Die Geldpolitik verliert im Umfeld der Überschuldung ihre Wirksamkeit und führt im Zweifel eher zu einer weiteren Verschärfung der Krise. Wir müssen die Schulden auf anderem Wege aus der Welt bekommen.
Dennoch ist die Argumentation, weshalb die Deflationsgefahr real ist, höchst relevant. Ambrose Evans-Pritchard:
- Die EZB und die sie dominierende Bundesbank sehen in Deflation kein Problem. Auch nicht die Anhänger der österreichischen Schule.
- Der Generaldirektor der BIZ hat sich zu ihrem Sprachohr gemacht, in dem er in einer Rede darauf hinwies, dass Deflation keineswegs schlecht sei. Im Gegenteil wäre Deflation über Jahrzehnte in den USA und Europa der Fall gewesen bei gleichzeitig robustem Wirtschaftswachstum. Die heutige Deflation ist demnach ein gutes Zeichen: Die Globalisierung der Wirtschaft führt zu mehr Angebot und Wettbewerb und damit zu sinkenden Preisen. (bto: Richtig. In einer „normalen“ Welt ist Deflation üblich aufgrund von ständigen Produktivitätsfortschritten. Dahinter stehen Skalen- und Erfahrungseffekte. Steigende Geldmengen haben diesen eigentlich gegebenen Zusammenhang über Jahrzehnte verdeckt.)
- Die Politik der Zentralbanken war nach Aussage des BIZ-Chefs einseitig: Bei jedem Problem wurden die Zinsen gesenkt und es wurde mehr Geld zur Verfügung gestellt. Aber es wurde nicht wieder eingesammelt und damit eine Bereinigung des Systems verhindert . (bto: 100 Prozent richtig!)
- Auf der anderen Seite muss man unterscheiden, ob eine Deflation in einem Umfeld hoher oder tiefer Verschuldung eintritt. Bei geringer Verschuldung ist es kein Problem. Bei hoher Verschuldung sehr wohl, weil dann die Fähigkeit der Schuldner, ihren Verpflichtungen nachzukommen, erodiert. Das sehe auch ich als entscheidenden Faktor, weshalb eine Deflation heute so fatal ist. Zusätzlich haben wir es mit einem strukturell geringeren Wirtschaftswachstum zu tun als in den historischen Phasen der „guten“ Deflation: schrumpfende Erwerbsbevölkerung und rückläufige Produktivität . Deflation bei wachsender Wirtschaft ist gut, bei schrumpfender und hoch verschuldeter Wirtschaft fatal.
- Die Kapitalmärkte stört dies nicht: Italien hat noch NIE so wenig Zinsen zahlen müssen. Spanien zahlt weniger als drei Prozent für Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit. Die Investoren verdrängen das Konkursrisiko völlig (bto: oder setzen auf Deflation und damit auf hohe Realrenditen und eine „Rettung“ durch Deutschland).
- Wie verkehrt die Welt sich darstellt, zeigt Spanien: Da feiern wir ein Quartal mit 0,4 Prozent Wachstum. Allerdings bei einem Rückgang des sogenannten BIP-Deflators um ebenfalls 0,4 Prozent. Ergebnis: Das nominale BIP wächst nicht. Doch genau darauf kommt es an, wenn man Schulden bedienen will. Schulden sind eine NOMINALGRÖSSE.
- In jedem Quartal 2013 ist das nominale BIP in Spanien geschrumpft. Und das bei Gesamtschulden von 340 Prozent vom BIP (Staat und Privatsektor) ‒ übrigens deckungsgleich mit der Analyse in meinem neuen Buch.
- Italien das gleiche Bild: Alles Sparen hilft nicht, wenn der Nenner schneller schrumpft als der Zähler!
- Die derzeitige Politik der EZB führt zudem dazu, dass der Euro übermäßig teuer ist und deshalb den Wirtschaftsaufschwung zusätzlich hemmt.
- Ergo die Forderung: Die EZB soll endlich aggressiv in QE einsteigen.
Hier der Artikel:
→ The Telegraph: ECB is delighted by the splendid prospect of deflation, 7. Mai 2014
Hier der Redetext:
→ BIS: Global economic and financial challenges: a tale of two views, Mai 2014
Hier eine Studie der BIZ zu historischen Deflationen:
→ BIS: Back to the future? Assessing the deflation record, März 2004
Die Analyse teile ich, wie gesagt, aber nicht die Schlussfolgerung. Geld zu drucken hilft nicht gegen Deflation:
Und auch Zero Hedge zeigt diesen Zusammenhang klar auf:
- Die Zinsen sinken nicht für alle. Wenn Regierungen sich freuen, heißt das noch lange nicht, dass auch die Unternehmen und Haushalte entsprechend günstig Kredit erhalten. Der Risikozuschlag scheint eher zu steigen.
- Die Nachfrage nach Krediten ist entsprechend gedämpft. Klartext: Egal was die EZB macht, sie kann hoch verschuldete Konsumenten und Unternehmen nicht zu mehr Schulden zwingen.
Wie immer in einfachen Bildern:
→ Zero Hedge: Why European QE Will Not Help (In 2 Simple Charts), 6. Mai 2014
Die Quintessenz ist allerdings nicht schön: Ohne Inflation wird es irgendwann knallen. Gut möglich, dass wir noch ein paar Jahre so weitermachen wie bisher. Aber nicht ewig.