Auf der Suche nach dem Sündenbock
Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal am 13. Oktober 2014 bei bto.
Letzte Woche war ich ein paar Tage in New York und aufmerksame und regelmäßige Besucher meiner Seiten werden hier und da einen raschen Einwurf angesichts der Jahrestagung des IWF (“Weltwirtschaft am Abgrund und Deutschland muss retten”) und der Turbulenzen an den Börsen (DAX unter 9000) erwartet haben. Beides ist nicht überraschend. Jedem, der sich mit den Fakten beschäftigt, ist seit langem klar, dass wir uns am Ende eines jahrzehntelangen Verschuldungsbooms befinden, der jetzt zu einer unangenehmen Phase der Anpassung führen muss. Weil es den Politikern natürlich nicht gefällt, gibt es mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, das Unabwendbare doch noch abzuwenden oder zumindest für den Nachfolger zu hinterlassen. Damit wächst der Schaden jeden Tag weiter an; die Fallhöhe wächst.
Doch nun zu den einzelnen Punkten. Die Weltwirtschaft enttäuscht und Deutschland soll mit mehr (schuldenfinanzierten) Ausgaben endlich zur Wachstumslokomotive werden. So nett das in der Theorie klingt und so sinnvoll es wäre, lieber bei uns die Schulen und Straßen zu reparieren, statt dem Ausland Geld und Autos zu schenken (nichts anderes tun wir, wenn wir weiterhin Forderungen an das Ausland aufbauen, die dann nicht bedient werden), so offensichtlich ist doch die Tatsache, dass Deutschland alleine weder die Eurozone geschweige denn die Weltwirtschaft aus der Krise ziehen kann.
Je deutlicher dies wird, je mehr realisieren auch die Kapitalmärkte, dass die Notenbanken eben nicht in der Lage sind, Wohlstand herbeizudrucken. Und damit geht die Party zu Ende.
→ Zero Hedge: The Narrative Of Central Bank Omnipotence Is Failing, 11. Oktober 2014
Alle Indikatoren sprechen dafür, dass die Talfahrt noch lange nicht beendet ist; der größte Teil dürfte uns noch bevorstehen. Natürlich will ich damit Tage der Euphorie bei Ankündigung neuer Geldregen nicht ausschließen. Doch die Trendumkehr ist da. Mit meiner Warnung vor einem Top anlässlich der Börsengänge von Alibaba und Rocket Internet/Zalando lag ich näher an der Wahrheit, als ich mir gedacht hatte. Finanzmärkte und Realwirtschaft können sich nur temporär von der Realität lösen. Der Einbruch scheint durchaus nicht temporär. Alle wichtigen Stützen wurden durchbrochen, wie der Telegraph zusammenfasst:
→ The Telegraph: FTSE 100 correction ‘more than a dip’ as Europe stares into abyss, 10. Oktober 2014
Wohlstand entsteht durch Arbeit und Innovation, nicht durch Spekulation und billiges Geld. In dieser Hinsicht war der erneute Besuch in New York wiederum eine gute Erinnerung. Immer mehr Talente gehen an die Finanzmärkte, um dort mit überlegenen mathematischen Modellen und IT-Unterstützung für ihre Arbeitgeber und sich selbst Geld zu verdienen. Das Wirtschaftsbuch des Jahres – “Flash Boys” – beleuchtet dabei nur eine der vielen fragwürdigen Spielarten. Echten Wert für die Volkswirtschaft schafft man so nicht. Das sage übrigens nicht nur ich, sondern auch The Economist. Wenn man dann sieht, dass es im Metropolitan Museum ganze Flügel gibt, die nach dem großzügigen Spender benannt sind, und diese Spender über Jahrzehnte mit aggressiven Finanzspekulationen mit billigem Kredit und geringster steuerlicher Belastung (Kapitalgewinne geringer besteuert als Arbeitseinkommen) überhaupt erst zu dem Vermögen gekommen sind, kommt man schon ins Grübeln. Auf jeden Fall wird deutlich, weshalb Piketty mit seinen Thesen auf so einen fruchtbaren Boden getroffen ist. Allerdings bleibt er – wie schon mehrfach ausgeführt – bei den Symptomen stehen und blickt nicht auf die wahre Ursache: die schuldenfinanzierte Party.
Dabei mehren sich die Stimmen, die erkennen, woran wir kranken. So berichten zwei Amerikaner in einem neuen Buch von der “neuen” Erkenntnis, dass die Privatverschuldung das Problem sei. Dies war zwar schon 2009 offensichtlich (und früher, habe ich doch schon 2003 in einem Paper vor der durch zu hoher Verschuldung ausgehenden Deflationsgefahr gewarnt), aber es ist doch schön, dass diese Erkenntnis langsam Allgemeingut wird. Zurecht warnen die Autoren vor der nächsten Schuldenkrise, diesmal in China.
→ The Atlantic: Government Debt Isn’t the Problem—Private Debt Is, 9. September 2014
Martin Wolf von der FT nimmt sich des Themas ebenfalls erneut an. Simple Erkenntnis: Irgendwie ist es keine nachhaltige Strategie, die Wirtschaft durch immer neue Blasen an den Finanzmärkten zu stimulieren. Dieser Boom-Bust-Cycle würde mehr schaden als nutzen.
→ FT (Anmeldung erforderlich): We are trapped in a cycle of credit booms, 7. Oktober 2014
Bleibt die Frage: Wenn es alle schon wissen, warum handelt die Politik dann nicht, sondern führt weiterhin das Theater auf? Offensichtlich, weil die Wahrheit unangenehm ist und der Schaden gerade verteilt wird. Dabei stellt sich die deutsche Politik, wie schon mehrfach kritisiert, nicht klug an. Aus Angst vor der kurzfristigen Kritik werden Schuldenschnitte tabuisiert. Mit der Folge, dass wir am Ende noch weitaus größere Verluste erleiden werden.
Die Suche nach dem Sündenbock geht derweil weiter. Bleibt es bei Deutschland oder werden es doch die geopolitischen Themen, die dann als Ausrede für drastische Maßnahmen herhalten müssen? Nein, ich denke nicht, dass das politisch gewollt ist, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Es zeigt nur, auf welchen tönernen Füßen die Weltwirtschaft steht.