The Economist – vom Skeptiker zum Befür­worter von Kryptogeld

Am 14. November 2021 geht es in meinem Podcast um Kryptowährungen. Zu Gast ist (erneut) der österreichische Ökonom und Publizist Rahim Taghizadegan. Taghizadegan leitet die private und unabhängige Bildungs- und Forschungseinrichtung Scholarium in Wien. Zur Vorbereitung ein paar Beiträge, die mir aufgefallen sind.

Ich selbst besitze keine Kryptogelder, was daran liegt, dass mir wohl die grundlegende Fähigkeit abgeht, es zu erfassen. Die FINANCIAL TIMES stellte vor einigen Wochen fest, man müsse drei Dinge verstehen und die meisten Menschen könnten maximal zwei der drei Aspekte verstehen. Die da wären:

  • Kryptografie (um die Integrität von Transaktionen zu gewährleisten);
  • Spieltheorie (um einen Konsens über den Status des Kassenbuches herzustellen);
  • und Wirtschaftswissen (um die richtigen Anreize zu setzen).

Ich würde es einfacher sehen: Man muss IT UND GELD verstehen. Und das ist schon schwer genug.

Interessant ist deshalb, wie der britische The Economist, zweifellos die führende Wirtschaftszeitschrift der Welt, sich dem Thema genähert hat.

Beginnen wir im September 2018, wo der The Economist nach einem deutlichen Kurssturz bei Bitcoin und Co. einen Artikel mit dem Titel veröffentlichte  Bitcoin und andere Kryptowährungen sind nutzlos”.

Dort war dann zu lesen:

  • “Mit wenigen Anwendungsmöglichkeiten, um ihren Wert zu bestimmen, und wenig Regulierung, sind Kryptowährungen zu einem Schwerpunkt für Spekulationen geworden. Einige Leute haben ein Vermögen gemacht, als die Preise für Kryptowährungen gestiegen und gesunken sind. Andere haben Geld verloren. Es scheint unwahrscheinlich, dass dieser jüngste Boom-Bust-Zyklus der letzte sein wird.”
  • “Ökonomen definieren eine Währung als etwas, das zugleich Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit sein kann. Mangelnde Akzeptanz und hohe Volatilität bedeuten, dass Kryptowährungen keines dieser Kriterien erfüllen. Das bedeutet nicht, dass sie verschwinden werden. Aber nach derzeitigem Stand gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass Kryptowährungen mehr bleiben werden als ein überkompliziertes, nicht vertrauenswürdiges Casino.”

Im September 2021 klang das schon anders. The Economist erkannte das betörende Versprechen dezentraler Finanzen in einer TITELGESCHICHTE.

  • “Die Gauner, Narren und Missionare sind abschreckend. Dennoch verdient der Aufstieg eines Ökosystems von Finanzdienstleistungen, das als dezentralisierte Finanzen oder „DeFi“ bekannt ist, eine nüchterne Betrachtung. Es hat das Potenzial, die Funktionsweise des Finanzsystems mit allen damit verbundenen Versprechen und Gefahren neu zu verdrahten. Die Verbreitung von Innovationen in DeFi ist vergleichbar mit dem Erfindungsrausch in der frühen Phase des Webs. In einer Zeit, in der Menschen immer mehr online leben, könnte die Krypto-Revolution sogar die Architektur der digitalen Wirtschaft neugestalten.”

Und damit nicht genug:

  • “Konventionelles Banking erfordert eine riesige Infrastruktur, um das Vertrauen zwischen Fremden aufrechtzuerhalten, von Clearinghäusern und Compliance bis hin zu Kapitalvorschriften und Gerichten. Es ist teuer und wird oft von Insidern ausgenutzt.”

Und genau hier sieht der ECONOMIST die Chance der neuen Technologien. Letztlich die Banken in ihrer heutigen Struktur überflüssig zu machen: Vom Handel an Börsen über die Vergabe von Krediten und die Annahme von Einlagen durch selbstausführende Vereinbarungen, sogenannte Smart Contracts. Alles dezentral organisiert und kontrolliert.

  • “Das Finanzwesen tritt in eine neue Ära ein, in der die drei neuartigen, aber fehlerhaften Visionen von Technologieplattformen, Big Government und DeFi miteinander konkurrieren und sich vermischen. Jeder verkörpert eine technische Architektur und eine Ideologie darüber, wie die Wirtschaft geführt werden sollte. Wie beim Internet in den 1990er Jahren weiß niemand, wo die Revolution enden wird. Aber es wird die Funktionsweise von Geld und damit die gesamte digitale Welt verändern.”

Die Begeisterung von The Economist ging dann so weit, dass das Magazin das Cover-Bild dieser Aussage als Non-Fungible Token (NFT) verkauft hat.

  • Ein Non-Fungible Token (NFT) ist ein nicht ersetzbares (engl.: non-fungible) digital geschütztes Objekt, hinter dem wiederum die Blockchain steht.
  • Die Auktion dieses NFT erlöste 99,9 Ether, was zum Zeitpunkt der Auktion rund 422.000 US-Dollar entsprach. Der Erlös ging an die The Economist Educational Foundation.

Der Markt für NFTs, also die Aufzeichnung digitaler Medien auf einer Blockchain, boomt. Im vergangenen Jahr waren alle NFT zusammen 340 Millionen Dollar wert. Im August lag der Gesamtwert der auf der Ethereum-Blockchain gehaltenen NFTs bei rund 14 Milliarden US-Dollar.

Hm, ich hatte ja Isaac Newton schon.

Aber damit nicht genug. Ende September 2021 erschien ein weiterer Artikel von The Economist, der genau drei Jahre vorher getitelt hatte: Bitcoin und andere Kryptowährungen sind nutzlos mit dem genau entgegengesetzten Titel: “Warum es ratsam ist, Bitcoin zu einem Anlageportfolio hinzuzufügen”

Die Argumentation war dann diese:

  • Die Theorie besagt, dass ein rationaler Anleger seine Renditen im Verhältnis zum eingegangenen Risiko (gemessen an der Volatilität der Renditen) maximieren sollte. Daraus folgt, dass Vermögenswerte mit hohen und zuverlässigen Renditen in einem vernünftigen Portfolio stark vertreten sein sollten. Diversifikation kann die Volatilität reduzieren, ohne die Rendite zu beeinträchtigen.
  • Das basiert auf den Arbeiten des dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichneten amerikanischen Ökonomen Harry Markowitz.
  • Dabei ist es nicht unbedingt das Risiko des jeweiligen Vermögenswerts, welches für einen Investor wichtig ist, sondern die Korrelation zwischen allen darin enthaltenen Vermögenswerten. Ein Anleger, der zwei schwach korrelierte oder nicht korrelierte Vermögenswerte hält, kann sich beruhigt zurücklehnen, wenn er weiß, dass der einen steigt, wenn der andere im Preis fällt.

The Economist stellt dann fest:

  • “Bitcoin mag sehr volatil sein, hat aber während ihrer kurzen Lebensdauer auch hohe durchschnittliche Renditen erzielt. Wichtig ist, dass sie sich auch unabhängig von anderen Vermögenswerten bewegt: Seit 2018 liegt die Korrelation zwischen Bitcoin und Aktien aller Regionen zwischen 0,2 und 0,3. Über längere Zeithorizonte ist sie noch schwächer. Ähnlich schwach ist die Korrelation zu Immobilien und Anleihen. Dies macht es zu einer hervorragenden Quelle für die Diversifikation.”
  • “Dies könnte seine Attraktivität für einige große Investoren erklären.”
  • “Paul Tudor Jones, ein Hedgefonds-Manager, hat angekündigt, etwa 5 % seines Portfolios in Bitcoin zu halten.”
  • “In vier Zeiträumen des letzten Jahrzehnts, die zufällig zum Testen ausgewählt wurden, enthielt ein optimales Portfolio eine Bitcoin-Allokation von 1 – 5 %.”

Allerdings baut The Economist ein Netz ein für den Fall, dass er sich – erneut – als Kontraindikator erweisen sollte, wie schon so oft in seiner Geschichte, ich erinnere an den Öl-Schwemmen-Titel von 1999, nachdem der Preis von unter 10 über 100 Dollar pro Fass stieg:

  • “Die Rendite aus einer Anlage in Aktien ist ein Anteil an den Gewinnen der Unternehmen; bei Anleihen der risikolose Zins zuzüglich Kreditrisiko. Es ist nicht klar, was die Renditen von Bitcoin außer Spekulation antreibt. Es wäre vernünftig zu glauben, dass Bitcoin in Zukunft keine Renditen abwirft.”

ft.com (Anmeldung erforderlich): „Still grappling with crypto basics? You’re not alone”, 4. August 2021

→ economist.com (Anmeldung erforderlich): „Bitcoin and other cryptocurrencies are useless”, September 2018

→ economist.com (Anmeldung erforderlich): „The beguiling promise of decentralized finance”, September 2021

→ economist.com (Anmeldung erforderlich): „Why it is wise to add bitcoin to an investment portfolio”, September 2021