Wie die EU-Büro­kratie dem Gesund­heits­wesen schadet – und Patienten

Statt weniger wird es immer mehr. Die Wirtschaft in Deutschland und der EU klagen seit Langem über die immer weiter um sich greifende Bürokratie. Immer größere Ressourcen werden durch die Bearbeitung staatlicher Auflagen gebunden, was die Kosten in die Höhe treibt und Prozesse verlangsamt.

Das Klagen war offenbar so laut und deutlich, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höchstselbst und natürlich rechtzeitig vor der Europawahl einen Bürokratieabbau versprochen hat. Bleibt nur zu hoffen, dass nach der Wahl auch wirklich etwas passiert.

Denn die EU-Bürokratie ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern erweist sich als Innovationsbremse, die im Extremfall Menschenleben kosten kann. Das droht zum Beispiel als Folge der EU-Medizinprodukteverordnung, die 2021 in Kraft getreten ist – und dazu geführt hat, dass Ärzten wichtige Medizinprodukte fehlen.

Auslöser für die Neuregelung der Zulassung medizinischer Produkte in der EU war der Skandal um undichte oder reißende Brustimplantate. Ob das Ziel einer höheren Produktsicherheit durch die Verordnung erreicht wird, ist nicht einmal sicher – handelte es sich bei dem Brustimplantate-Skandal doch um eindeutigen Betrug mit erheblicher krimineller Energie.

Was jedoch erreicht wurde, ist eine massive Kostensteigerung für die Hersteller von Medizinprodukten. Umfragen der Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) legen Kostensteigerungen im Zulassungsprozess von weit über 100 Prozent nahe.

Pharmafirmen beklagen hohe bürokratische Kosten

Hinzu kommt, dass die Bearbeitungszeit sich deutlich erhöht hat, auch weil gemäß Verordnung bereits zugelassene Produkte erneut zugelassen werden müssen. Für 37 Prozent der von der DIHK befragten Unternehmen ist die Verfahrensdauer heute dreimal so lang wie vor Inkrafttreten der Verordnung.

Unternehmen berichten von Fällen, in denen nach einer zweijährigen Bearbeitungszeit die Zulassung verweigert wurde, weil die in den Unterlagen angeführten Quellen „veraltet seien“, was einzig und allein auf die langsame Bearbeitung durch die Behörde zurückzuführen war.

Die Folgen dieses bürokratischen Behördenversagens sind erheblich. Die Kosten der Produkte müssen deutlich steigen, was die ohnehin angespannten Budgets des Gesundheitssystems zusätzlich belastet. Patienten bleibt nicht selten der Zugang zu innovativen Produkten verwehrt, was Heilungschancen reduziert und Lebensqualität kostet.

Damit nicht genug. Die Verordnung schadet dem Innovationsstandort EU massiv. Zum einen können gerade kleinere Unternehmen die erheblichen Kosten einer EU-Zulassung ihrer Produkte immer weniger finanzieren. Dies befördert eine Konsolidierung der Industrie, weil es Großunternehmen begünstigt. In der Folge dürften sich Gründer eher in anderen Märkten ansiedeln, allen voran den USA.

Die USA haben in den vergangenen Jahren die Zulassungsprozesse medizinischer Produkte deutlich beschleunigt. In einem kooperativen Verfahren mit deutlich geringeren Kosten als in der EU entscheidet die zuständige Behörde innerhalb von 90 Tagen. Andernfalls gilt die Zulassung als erfolgt. Kein Wunder, dass viele Unternehmen ihre neuen Produkte zuerst in den USA zulassen, die zudem noch der größere und profitablere Markt sind.

Die Reform muss also dringend reformiert werden. Das ist auch bis nach Brüssel vorgedrungen. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament hat entsprechende Forderungen an die EU-Kommission gerichtet. Hoffentlich werden sie rasch umgesetzt, bevor Europa eine weitere wichtige Industrie verliert.

→ handelsblatt.com: „Wie die EU-Bürokratie dem Gesundheitswesen schadet – und Patienten“, 26. Mai 2024