Auf das Ergebnis kommt es an

In der vergangenen Woche sorgte eine Studie des Münchener Ifo-Instituts für Aufsehen. Die Forscher um den Bildungsökonomen Ludger Wößmann zeigten auf, dass Kinder aus sozial benachteiligten Schichten auf Gymnasien immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Deutschlandweit besuchen der Studie zufolge 27 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium, aus günstigen Verhältnissen sind es 60 Prozent.

Die Forscher konstatieren einen erheblichen Verstoß gegen die Chancengerechtigkeit, der uns alle teuer zu stehen komme, verdienen doch Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur.

In der Tat tut sich das deutsche Schulsystem seit Jahrzehnten schwer damit, Kinder aus sozial schwachen Schichten ausreichend zu fördern. Im Zuge der stark gestiegenen Zuwanderung wirkt das besonders negativ, wie die massiven Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in der letzten Pisa-Studie unterstreichen.

Deshalb sind die Forderungen der Ifo-Forscher so zutreffend wie bekannt: eine gezielte Unterstützung von Eltern und Schulen in herausfordernder Lage, eine datenbasierte Sprachförderung sowie Mentoring-Programme.

Hingegen verwundert die Feststellung, dass ausgerechnet Berlin und Brandenburg für ihre relativ höhere “Chancengerechtigkeit” gelobt werden. Hier liegt der Verdacht nahe, dass dieses Ergebnis nicht die Folge besserer frühkindlicher Förderung ist, sondern mit einem allgemein tieferen Leistungsniveau zusammenhängt. Sachsen und Bayern, die beiden “Schlusslichter” wenn es um die Chancengerechtigkeit geht, weisen seit Jahren deutlich bessere Resultate bei Leistungstests auf. Eine hohe Bildungsrendite dürfen wir nur erwarten, wenn nicht nur auf die Quantität – Anzahl der Abiturienten – sondern auch auf deren Qualität geachtet wird.

Leider gibt es nur wenige Studien, die versuchen den Ursachen des unterschiedlichen Leistungsniveaus zwischen den Bundesländern auf den Grund zu gehen, die sehr wahrscheinlich systembedingt, zudem alles andere als neu und nicht durch Migration hervorgerufen aber massiv verstärkt werden. Vermutlich haben die jeweiligen Regierungen aus unterschiedlichen politischen Gründen kein Interesse an derartigen Untersuchungen, könnten doch die Resultate den eigenen Vorstellungen widersprechen.

Zu diesem Schluss muss man jedenfalls kommen, wenn man eine der wenigen Untersuchungen zu diesem Thema liest. Der Bildungsforscher Professor Heiner Rindermann von der Universität Chemnitz stellt darin fest, dass die Unterschiede im Leistungsniveau die Folge einer strengeren, traditionellen und leistungsorientierten Bildungspolitik sind und zudem von einem geringen Anteil von Schülern mit Migrationshintergund profitieren.

Widersprechen sich die Studien also? Keinesfalls. Man muss sie in Verbindung sehen. Wir können es uns nicht leisten, viele Jugendliche unzureichend auszubilden. Wir können es uns nicht leisten, weiterhin einem so hohen Anteil an Jugendlichen – mit oder ohne Migrationshintergrund – keine Chancengerechtigkeit zu geben.

Die Lösung ist aber nicht eine (weitere) Absenkung des Leistungsniveaus, sondern im Gegenteil verpflichtender Kindergartenbesuch bei fehlender Sprachkenntnis, Disziplin und Noten bereits in der Grundschule und gezielte Förderung benachteiligter Kinder. Schulen mit zu hohem Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund brauchen mehr Lehrpersonal, um einer zusätzlichen Standardsenkung entgegenzuwirken.

Deutschland war in den letzten Jahren das Ziel von netto über sechs Millionen Zuwanderern. Wenn wir es schaffen wollen, deren Kinder zu integrieren, damit sie einmal in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ihren Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens zu leisten, dann können wir es uns nicht länger leisten, die Augen vor dem signifikanten Ergebnisproblem unseres Bildungssystems zu verschließen und die Standards immer weiter senken. Was sind eigentlich die Erfolgsfaktoren eines modernen Bildungssystems außerhalb der Grenzen unseres Jetzigen? Wann wird ernst genommen, dass das Zulassen von Migration auch bedeutet, Integration durchzusetzen? Und wie wird das möglich? Auf diese Fragen müssen wir dringend Antworten finden, wenn wir Chancengerechtigkeit nicht nur im Mund führen, sondern umsetzen wollen.

→ handelsblatt.com: „Die Schulen brauchen mehr Disziplin – und gezielte Förderung der Schwachen“, 19. Mai 2024