Sin­kender Wohl­stand ist nur in der Theorie gut

„Wenn die Regierung kein Glück für ihr Volk schaffen kann, dann gibt es keinen Grund für die Existenz der Regierung.“ So formuliert es die Regierung Bhutans, des Landes, in dem die Mehrung des Glücks der Bevölkerung offizielles Staatsziel ist. Operationalisiert wird diese Zielvorgabe auch. Neben dem materiellen Lebensstandard geht es dabei um die Themen Gesundheit, Bildung, saubere Umwelt und sozialer Zusammenhalt.

In der Tat zeigt die ökonomische Glücksforschung, dass das Glücksgefühl der Bevölkerung in hohem Maße von diesen messbaren und von der Regierung beeinflussbaren Faktoren abhängt. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass wohlhabende Länder wie Finnland, Dänemark, Island und die Schweiz die einschlägigen Rankings anführen, während der Libanon und Afghanistan das Schlusslicht bilden. Die Korrelation zwischen dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf und dem Glücksgefühl ist sehr hoch.

Dass Geld aber dennoch nichts alles ist, unterstreicht der Fall der Vereinigten Staaten. Trotz einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen liegen die Amerikaner nur auf Platz 16, was an einer im Vergleich zu ähnlich wohlhabenden Ländern sehr viel niedrigeren Lebenserwartung liegt. Auch die geringere öffentliche Sicherheit dürfte zum relativ schlechteren Abschneiden beitragen.

In Deutschland gibt es eine gleichläufige Entwicklung von BIP und Glück

Ebenso zeigen die USA, dass steigende Einkommen nicht immer zu mehr Lebenszufriedenheit führen müssen. So stieg das BIP pro Kopf in den USA zwischen 1946 und 1970 um 65 Prozent ohne jegliche Wirkung auf das Glücksgefühl. In anderen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen. Für Deutschland hingegen lässt sich in den zehn Jahren vor Corona eine gleichläufige Entwicklung von BIP und Glück zeigen: Wir haben mehr pro Kopf erwirtschaftet und wurden damit glücklicher.

Anders erging es Venezuela. Einst das fünftglücklichste Land der Welt, führten Misswirtschaft, Korruption und ökonomischer Niedergang zu einem starken Rückgang des Glücksgefühls der Bevölkerung. Mit Platz 108 liegt das ehemals reiche Land nun hinter dem Irak. Kein Wunder, sind doch mehr Venezolaner auf der Flucht vor den Folgen sozialistischer Politik als Syrer vor dem Bürgerkrieg.

Nun hören wir angesichts der dramatisch gestiegenen Energiepreise von der Politik, dass „wir alle ärmer werden“. Ganz so, als könnten wir nichts dagegen tun, sollen wir uns in unser Schicksal fügen. Dabei wäre es an der Politik, durch konsequente Maßnahmen gegenzusteuern und dabei lieb gewonnene, aber nicht mehr zeitgemäße Tabus zu überwinden.

Ein Teil der Bürger mag diesen Wohlstandsverlust als Teil der Neuausrichtung auf ein bescheideneres, klimafreundliches Leben begrüßen. Die Erkenntnisse der Glücksforschung dazu sind jedoch eindeutig. Bei 125 untersuchten Ländern wurde kein Fall gefunden, wo ein sinkendes BIP pro Kopf mit einem steigenden Glücksgefühl einherging. In zwei Dritteln der Fälle wuchs das Glück mit dem BIP pro Kopf, in den übrigen blieb es auf unverändertem Niveau.

Abnehmendes Glück, abnehmende Lebenszufriedenheit erhöhen das Risiko des Auftretens gesellschaftlicher, sozialer und politischer Konflikte. Wir können das in einigen Nachbarländern bereits gut beobachten, wo radikale und populistische Kräfte schon länger im Aufwind sind.

Das Problem dabei ist: Je stärker diese Kräfte werden, desto schwerer wird die Behandlung der zugrunde liegenden Probleme, desto größer die Versuchung nach einfachen Lösungen zu greifen.

Wir sollten alles tun, ein solches Szenario für Deutschland zu verhindern. Dafür ist es nicht damit getan, sinkenden Wohlstand zu bedauern und Proteste gegen die Regierungspolitik in der politisch radikalen Ecke zu verorten. Wer soziale und politische Stabilität erhalten will, nimmt seinen Ministerschwur ernst, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden.

→ handelsblatt.com: “Die Forschung zeigt: Arm und glücklich funktioniert nicht