Schluss mit der Mär vom Tauschmittel
Dieser Beitrag erschien bei manager magazin online:
“Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh”, meinte der Autopionier Henry Ford. So gesehen ist es gut, dass eine Umfrage unter britischen Abgeordneten ergeben hat, dass noch 9 von 10 denken, das Geld werde ausschließlich vom Staat geschaffen. Getrost kann man davon ausgehen, dass es um das Verständnis bei unseren Abgeordneten und in der breiten Öffentlichkeit nicht anders gestellt ist.
Geldschöpfung ist mehrheitlich privat
Obwohl die Zentralbanken der Welt einen anderen Eindruck erwecken, haben sie nur sehr indirekt und schwach Einfluss auf die Entwicklung der Geldmenge, nämlich über den Zinssatz und die geforderte Mindestreserve, die Banken bei ihnen hinterlegen müssen. Dabei folgen sie dem was das Bankensystem macht – nicht umgekehrt.
Wenn die Bank einen Kredit gewährt, kann sie dies tun, ohne zuvor eine Spareinlage bekommen zu haben. Sie schafft das Geld also aus dem Nichts ‒ lateinisch “fiat”, weshalb man von einem Fiat-Geldsystem spricht. Dies ist so lange nicht problematisch, wie der Kredit gegen vernünftige Sicherheit begeben wird, denn dann steht dem neu geschaffenen Geld ein entsprechender Vermögenswert entgegen. Das Geld ist also durch ein werthaltiges Asset gedeckt.
Problematisch wird es erst, wenn die Sicherheiten nicht werthaltig sind oder aber ‒ zum Beispiel in einer Blase ‒ zu hoch bewertet waren und plötzlich stark an Wert verlieren. Banken- und Finanzkrisen sind dann die zwangsläufige Folge.
Diese zu verhindern war ein Hauptgrund für die Gründung von Zentralbanken die im Krisenfall als “Lender of Last Resort” einspringen sollten. Allerdings mit harten Auflagen. Walter Bagehot, Herausgeber des Economist und Bankenexperte hat dazu schon 1873 klare Regeln aufgestellt: Demnach sollte die Zentralbank im Krisenfall nur solventen Banken helfen, gegen die Hinterlegung von sehr guten Sicherheiten, zu einem hohen Strafzins. Mit diesen Regeln wollte er sicherstellen, dass die Banken vorsichtig agieren und ihre Geldschöpfungsfähigkeit nicht missbrauchen, um schlechten Schuldnern gegen unzureichende Sicherheiten Geld zu geben.
Mit Blick auf die Eurokrise und vor allem die derzeitige Griechenlandpolitik müssen wir allerdings feststellen, dass die genannten Grundsätze alle über Bord geworfen wurden. Die EZB gibt Banken, die faktisch insolvent sind, Kredite gegen fragwürdige Sicherheiten, zu einem Zinssatz von fast null. Dies zeigt, wie schlimm es um das Finanzsystem nicht nur in Griechenland im Jahre sechs der Krise gestellt ist.
Die Modelle der Ökonomen sind falsch
Nun könnte man meinen, dass es keine Rolle spielt, dass die breite Öffentlichkeit unser Geldsystem nicht versteht, solange es funktioniert und solange die Fachleute zumindest wissen, wie es geht und was zu tun ist, um Krisen zu verhindern. Doch genau dies ist nicht der Fall, wie Zoltan Jakab und Michael Kumhof in einer neuen Studie der Bank of England aufzeigen. Zentrale Aussage: Während die Experten bei Notenbanken, dem IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich das System verstehen, würden in der breiten Volkswirtschaftslehre und auch bei den Bankern selbst, immer noch völlig falsche Vorstellungen von der Funktionsweise des Geldsystems vorherrschen.
Über dieses Versagen der Volkswirtschaftslehre könnte man lachen, wenn es nicht so fatale Wirkungen hätte. Nach Analyse der beiden Autoren führt eine korrekte Abbildung der Arbeitsweise von Banken zu ganz anderen Ergebnissen bei der volkswirtschaftlichen Analyse. Die Veränderungen der Bankbilanzen ‒ also die Großzügigkeit oder Zurückhaltung bei der Vergabe von Krediten und damit der Schaffung von Geld ‒ passieren viel schneller als die Volkswirtschaftslehre denkt und haben vor allem deutlich größere Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
Betrachtet man die Banken nicht als neutrale Vermittler zwischen Ersparnissen und Investitionen, wie dies viele Lehrbücher tun, erkennt man auch, dass die Banken einen erheblichen prozyklischen Einfluss auf die Wirtschaft haben. In guten Zeiten, in denen die Einkommen sicher und die Vermögenspreise hoch sind beziehungsweise weiter steigen, geben Banken gerne Kredit. In schlechten Zeiten hingegen halten sie sich zurück. Die Volkswirte erwarten in ihrem Vermittlermodell genau das Gegenteil: Weil in schlechten Zeiten die Ersparnisse zunehmen, gehen sie davon aus, dass die Banken mehr Kredite anbieten. Eine völlig falsche Annahme wie die Studie zeigt.
Diese Erkenntnis hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik. Solange mit falschen Annahmen zur Funktionsweise der Banken gearbeitet wird, laufen wir Gefahr, die falsche Medizin zu verordnen. Die Regulierung setzt an den falschen Hebeln an und die Geldpolitik verfolgt eine falsche Strategie.
Weg vom Krisenzyklus
Das prozyklische Verhalten der Banken führt dabei nicht nur zu einer regelmäßigen Abfolge von Booms und Krisen, sondern tendenziell zu immer größeren Krisen. Blicken auf die letzten 40 Jahre zurück, so sehen wir eine konstant steigende Verschuldung der westlichen Welt, die sich zudem ungebremst fortsetzt. Dies ist so zu erklären: Banken vergeben zunächst Kredite an solvente Schuldner mit guten Sicherheiten. Damit wächst die Geldmenge. Die Wirtschaft läuft gut, die Einkommen steigen und auch die Vermögenspreise gehen nach oben. Kommt es zu einem Abschwung, stellen die Banken fest, dass sie zu großzügig waren. Sie erleiden erste Verluste, die Sicherheiten fallen im Wert und sie halten sich mit neuen Krediten zurück.
Für die Banken war damit eines klar: Das eigene Risiko wurde immer kleiner, weil der Lender of Last Resort, anders als von Bagehot gefordert, immer bereit zu helfen war und zwar zu günstigen Konditionen. Wir haben deshalb mit der Finanzkrise keine normale Krise im Rahmen des typischen Auf und Ab des Kreditzyklus gesehen, sondern eine Krise, die nach mehreren Jahrzehnten des Kreditbooms das Finanzsystem an die Grenze des Zusammenbruchs geführt hat.
Was nötig wäre, liegt auf der Hand: deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen, echtes Konkursrisiko, Zentralbanken, die zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Geldpolitik zurückkehren, und ein Instrumentarium, um das prozyklische Verhalten der Banken zu verhindern. Letzteres wäre möglich, in dem man zum Beispiel in Zeiten starken Kreditwachstums, die erforderliche Eigenkapitalhinterlegung erhöht und in Zeiten geringen Wachstums verringert.
Dafür müssten die Entscheidungsträger allerdings verstehen, wie das System funktioniert und bereit sein, es zu ändern. Zweifel an beidem sind angebracht.
→ manager-magazin.de: „Warum die Politik die Geldwirtschaft falsch versteht“, 15. Juni 2015
Hallo Herr Stelter,
ein Instrumentarium gegen prozyklisches Verhalten gibt es seit 2014 in der Schweiz und kommt dort auch zum Einsatz: Der antizyklische Kapitalpuffer http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/konjunktur/Boom-am-Immobilienmarkt-SNB-mahnt-weitere-Massnahmen-an/story/29331145
LG Michael Stöcker
In Deutschland wird das Instrument ab 2016 zur Verfügung stehen: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2014/08/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-1-ausschuss-fuer-finanzstabilitaet.html#doc324366bodyText15
LG Michael Stöcker
Zu Henry Ford´s Spruch: Ja, wir hätten eine Revolution, wenn die Zahl der “Geld-System-Verständigen” steigen würde.
Man stelle sich einmal vor, Lieschen Müller (LM) gewährt Max Meier (MM) einen Privatkredit derart, dass LM gegen die Herausgabe einer Sicherheit von MM, demselben einen Kredit aus privat geschöpften Geld gewährt. Und man stelle sich einmal vor, das wäre würden alle machen. Klar die Geldmenge würde explodieren, an die verlangten Sicherheiten würden immer geringere Anforderungen gestellt und die Inflation würde nicht galoppieren, sie würde in den Tiefflug übergehen.
Die Menschen würden ja völlig zu recht fragen, warum sie nicht das gleiche Recht wie Banken genießen: Geld gegen die Herausgabe von Sicherheiten zu schaffen. Diejenigen, die das “dürfen”, sind die systemimmanent Priviligierten und ihr Privileg ist derzeit unschlagbar und uneinholbar.
Ich muss mich leider wiederholen: Banken schaffen kein Geld aus dem ‘Nichts’. Ich hatte dies bereits an anderer Stelle kommentiert: http://think-beyondtheobvious.com/staatsueberschuldung-bargeldverbot-und-vollgeld-aus-demokratischer-sicht/#comment-13407.
Und selbstverständlich können LM und alle anderen Kreditverträge abschließen wie sie möchten. Wir leben in einem System, das Vertragsfreiheit im Rahmen der Rechtsordnung garantiert. LM und Co. müssen aber genauso wie Banken das Liquiditätsproblem lösen. Denn das Erfüllungsmedium von Kreditverträgen lautet nun mal auf Zentralbankgeld. Und das können Banken nicht schaffen. Korrekt ist allerdings, dass die Banken über den Zugang zu den Zentralbanken einen anderen Status aufweisen als LM. Herr Stelter hat darauf verwiesen, dass Banken immer zuerst den Kredit vergeben und sich anschließend über eine eventuelle Refinanzierung Gedanken machen. Details hierzu finden Sie hier; insbesondere auch in meiner Antwort auf einen Kommentar von Fabian Lindner vom IMK: https://zinsfehler.wordpress.com/2014/09/04/bankmythen/comment-page-1/#comment-160. Auch diese Antwort auf einen Kommentar kann für ein tieferes Verständnis hilfreich sein: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/01/20/qe-versus-ml/comment-page-1/#comment-206
@ Stefan Ludwig: Ich bemühe mich aufrichtig, ruhig und geduldig zu erklären, auch wenn es mir nicht immer gelingen mag und ich sicherlich auch nicht immer den richtigen Ton treffe. Aber ich arbeite daran. Hier noch ein ergänzender Link (mit weiterführenden Links) zu dem, was Herr Stelter hier sehr schön ausgeführt hat: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/06/02/zombinomics-oder-die-pfahlung-der-loanable-funds-theorie/
LG Michael Stöcker
Sehr anschauliche Analyse, besonders die Bezugnahme auf die historischen Wurzeln und Rahmenbedingungen des Lender of last resort Gedankens. Das wissen nämlich auch nicht viele Menschen, dass zumindest die amerikanische Zentralbank schon immer nur eine Selbsthilfeeinrichtung des Geschäftsbankensystems war. Faktisch ist es überall sonst mittlerweile auch so. Die Geschichte von der Bundesbank als geistige Mutter der EZB mag stimmen, das Kind ist aber längst erwachsen geworden und hat sich in die falschen Kreise begeben.
Hallo Herr Stelter,
Zitat: “…Zentrale Aussage: Während die Experten bei Notenbanken, dem IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich das System verstehen, würden in der breiten Volkswirtschaftslehre und auch bei den Bankern selbst, immer noch völlig falsche Vorstellungen von der Funktionsweise des Geldsystems vorherrschen.”
Wenn die Zentralbanken, IWF und IZB das System WIRKLICH verstehen würden würden sie nicht so handeln wie sie es tun. Es mag ja sein das sie verstehen was die Banken am liebsten wollen – ich bin aber der Meinung ein umfassendes Gesamtverständnis haben sie nicht. Wenn sie ein Gesamtverständnis hätten wäre es ja purer “ist mir alles Scheißegal”-Zynismus so zu handeln. Das will ich (noch) nicht glauben.
Nun ja man darf gespannt sein wie es weitergeht. Behält Martin Armstrong recht der prognostiziert, dass es zur Erdenzeit 2015,75 (also Ende September) zum großen Crash kommt?
mit freundlichen Grüßen
Stefan Ludwig