„Anlagemärkte können lange irren“
Folge 3 meiner neuen regelmäßigen Kolumne zum Thema Geldanlage bei WiWo.de:
Hohe Kurse und Unsicherheit an den Finanzmärkten locken manche Investoren zur Spekulation auf fallende Kurse. Ein Spiel mit dem Feuer, welches Privatanleger den Profis überlassen sollten.
In der letzten Woche habe ich an dieser Stelle die hohe Bewertung an den Märkten diskutiert. Mit dem einfachen Ratschlag, etwas Risiko zu reduzieren und die Liquidität zu erhöhen. Zwei verschiedene Reaktionen habe ich darauf bekommen. Die Optimisten unter den Lesern verwiesen auf die unbegrenzte Feuerkraft der Notenbanken, die doch per Definition jeden Kursrückgang verhindern können. Die Pessimisten wollten nicht nur die Liquidität erhöhen, sondern gleich auf fallende Kurse setzen, indem sie sich mit Verkaufsoptionen eindecken. Beides halte ich für falsch.
Die Notenbanken sind in ihrem Bemühen, die Realwirtschaft zu beleben und das Finanzsystem zu stabilisieren schon sehr weit gegangen. Die Zinsen liegen nahe null, die Bilanzsummen wurden seit 2007 vervielfacht. Immer mehr Stimmen mahnen, dass den Notenbanken die Munition ausgeht. Zudem wirkt die Politik der Notenbanken immer nur indirekt. Sie können durch tiefe Zinsen und den Aufkauf von Wertpapieren nur mittelbar das Verhalten der Finanzmarktteilnehmer beeinflussen. Ob und wie diese die angebotenen Mittel nutzen, kann die Notenbank nicht beeinflussen. Zudem haben die Maßnahmen immer auch Nebenwirkungen. Tiefe Zinsen mögen den hoch verschuldeten Staaten zwar helfen, erodieren jedoch die Ertragskraft der Banken, die dringend auf eine Verbesserung ihrer Kapitalbasis angewiesen wären.
Natürlich werden die Notenbanken auch bei einem erneuten Einbruch an den Finanzmärkten intervenieren. Diese Interventionen werden jedoch immer geringere Wirkung entfalten, so drastisch sie auch sein mögen: deutlich negative Zinsen, der direkte Kauf von Aktien oder gar die direkte Finanzierung von staatlichen Konjunkturprogrammen – alles ist denkbar. Dies wird aber erst mit zeitlicher Verzögerung passieren, nachdem die Märkte schon deutlich korrigiert haben.
Insofern könnte der Glaube an die Allmacht der Notenbanken in die Kategorie der populären Irrtümer fallen. „This time is different“ hieß es schon so oft – und erwies sich doch so oft als falsch. Warum es auch dieses Mal vermutlich nicht „different“ sein wird, hängt mit schwer kalkulierbarer Psychologie zusammen. Werden die Investoren mit der abnehmenden Wirkung der Maßnahmen der Zentralbank zunehmend enttäuscht, verliert diese ihre schärfste Waffe. Das Vertrauen.
Dann doch lieber gleich auf fallende Kurse setzen und so nicht nur kein Geld verlieren, sondern richtig Geld verdienen, meinen die Pessimisten. Doch auch hier ist Vorsicht angebracht.
Bereits im Dezember 1996 sprach der damalige amerikanische Notenbank Präsident Alan Greenspan mit Blick auf das Bewertungsniveau der US-Börse von „irrationalem Überschwang“. Ein Ausdruck, den der Yale-Professor und spätere Nobelpreisträger Robert Shiller zum Titel seines im Jahre 2000 erschienenen Buches machte. Shiller lag damit – sicherlich mehr zufällig als geplant – zeitlich richtig. Die Aktienmärkte erreichten im Frühjahr 2000 ihren Höhepunkt und fielen danach stark ab.
War die Analyse von Greenspan damit falsch? Keineswegs. Bereits im Jahre 1996 notierten die Aktien rund 20 Prozent über dem langfristig gerechtfertigten Niveau. Ein Jahr später war die Bewertung der amerikanischen Börse so hoch, wie seit 1929 nicht mehr. Wer also auf die fundamentalen Faktoren wie Unternehmensgewinne und Umsatzwachstum achtete, konnte nur zu dem Schluss kommen, dass die Börse viel zu teuer war. Für einen Spekulanten sah das Setzen auf sinkende Kurse wie eine sichere Wette aus. Schließlich haben die Aktienmärkte noch immer zu ihrem fundamental gerechtfertigten Niveau zurückgefunden.
Doch die Party dauerte an. Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2000 notierte der US-Markt bei dem 2,7-Fachen des fundamental gerechtfertigten Wertes. Zum Vergleich: 1929 wurde „nur“ ein Niveau von dem 1,8-Fachen erreicht. Die „Bären“ – also jene, die auf fallende Kurse setzten – verloren immer mehr Geld und mussten aufgeben. Die Crash-Propheten wurden verlacht. Alle waren überzeugt, dass der Internetboom die Wirtschaft fundamental ändern und einen neuen inflationsfreien Boom auslösen würde. Dies würde die Aktienkurse mehr als rechtfertigen. „This time it’s different“, eben.
Auch heute liegen die Bewertungen der Börsen über dem fundamental gerechtfertigten Niveau. Auch heute gibt es die Stimmen, die mit Blick auf die Politik der Notenbanken festhalten, dass es diesmal ganz anders ist. Auch heute gibt es Crash-Propheten, über die man sich in den Medien lustig macht.
Doch auch dieses Mal kann die Überbewertung – wie in den Jahren 2000 und 1929 gesehen – lange anhalten. Schon Keynes soll gesagt haben: „Markets can remain irrational a lot longer than you and I can remain solvent.” Damit hob er auf die Tatsache ab, dass Finanzmärkte weitaus länger von einem gerechtfertigten Preisniveau abweichen können. Nach oben wie nach unten.
Nichts entscheidet so sehr über den Anlageerfolg, wie das Timing. Und nichts ist so schwer, wie es richtig zu machen. Im vergangenen Jahr ist der S&P 500 um 13,69 Prozent gestiegen, der Durchschnittsinvestor in einem Aktienfonds machte dagegen nur 5,5 Prozent Gewinn. Bei Anleihen sah es nicht besser aus: Der Barclays Aggregate Index stieg um 5,97, der Durchschnittsertrag eines Anlegers in Anleihefonds lag bei 1,16 Prozent (Quelle: 21. Ausgabe der Quantitative Analysis of Investor Behavior des Analyseinstituts Dalbar). Dies lag nur zu einem geringen Teil an den Kosten der Fonds. Der Hauptgrund war, dass die Investoren nicht über den gesamten Zeitraum investiert blieben, sondern versucht haben, den Markt zu „timen“, um die Rendite zu steigern. Erreicht haben sie damit das Gegenteil.
Was ist die Lösung? Einseitige Wetten auf den Einbruch von Aktienmärkten und die Veränderung von Währungsrelationen sicherlich nicht – mögen sie auf einer noch so guten fundamentalen Analyse beruhen. Die bessere Antwort auf eine Verzerrung im Kapitalmarkt bleibt das ausgewogene Portfolio. Es schützt vor allzu großen Rückschlägen. Und das ist es, was zählt. Denn in einem Umfeld von Nullzins und dauerhaft mageren Kapitalmarktrenditen kann es Jahre dauern, bis die Verluste aus fehlgeschlagenen Spekulationen wieder aufgeholt werden.