Lagardes Warnung vor Parallelen zu den 1920ern ist berechtigt

Wenn Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), vor bedenklichen Parallelen zwischen den 2020er-Jahren und den 1920er-Jahren warnt, sollte das die Alarmglocken klingen lassen. Doch die Resonanz in den Medien hierzulande war gering. Auch im Handelsblatt wurde bisher nicht über die Rede berichtet, die Lagarde am 20. September beim Internationalen Währungsfonds in Washington hielt.

Dabei hatten ihre Aussagen durchaus das Potenzial für Schlagzeilen. Wie die Geschichte zeigt, legten die 1920er-Jahre die Grundlage für die Große Depression in den USA, die Weltwirtschaftskrise und möglicherweise auch den Aufstieg der Nazis in Deutschland. Ohne dieses wirtschaftliche Desaster wäre der Menschheit viel Leid erspart geblieben.

Die Parallelen zu den 1920ern sieht Lagarde vor allem in zwei Dimensionen. Wie nach dem Ersten Weltkrieg wendet sich die Welt auch derzeit zunehmend von der Globalisierung ab. Statt durch globale Arbeitsteilung die Preise zu senken, droht höhere Inflation durch den Rückbau globaler Wertschöpfungsketten und den zunehmenden Protektionismus – übrigens unabhängig davon, wer die Wahlen in den USA gewinnt. Dies macht es für die Notenbanken schwerer, ihre Inflationsziele zu erreichen.

Auf der anderen Seite erleben wir Lagarde zufolge einen technologischen Boom, der die Wirtschaft beleben wird. Waren es damals Fortschritte in der Produktion – in Europa stieg das Produktivitätswachstum auf über zwei Prozent pro Jahr –, ist es heute die Digitalisierung, die höheres Wachstum verspricht, aber auch mehr Unsicherheit und Volatilität.

Vielleicht erklärt sich das mediale Desinteresse an der Rede dadurch, dass Lagarde diese Parallelen zwar anführte, zugleich aber auf einen entscheidenden Unterschied verwies. Die Notenbanken hätten aus den damaligen Fehlern gelernt, betonte sie. Vor allem die Abkehr vom Goldstandard sei ein großer Vorteil beim Umgang mit Krisen. Die derzeit laufende Überprüfung der EZB-Strategie werde sich deshalb vor allem darauf konzentrieren, wie die Notenbank die Unsicherheit aufgrund des geänderten Umfeldes reduzieren kann.

Zweifel sind angebracht. Denn mindestens zwei weitere Parallelen zu damals liegen auf der Hand. Zum einen die Gefahr, dass die Notenbanken angesichts einer geringen Konsumentenpreisinflation die Zinsen zu stark zu senken. Das hat in den 1920er-Jahren zu einer Aufblähung der Vermögenspreise geführt. Zum anderen die schon jetzt hohe Verschuldung, im Unterschied zu den 1920ern nicht nur im Privatsektor, sondern auch bei den Staaten. Beides erhöht das Risiko einer neuen Finanzkrise.

Womöglich liegt das größte Risiko jedoch in einer weiteren Parallele: Damals wie heute waren die verantwortlichen Notenbanker völlig davon überzeugt, das Richtige zu tun. Die Wahrheit ist jedoch, dass sich auch Notenbanker irren können und keineswegs alles wissen. Im Gegenteil: Ihre Instrumentarien und Analysetools haben sich wiederholt als untauglich erwiesen, wie der ehemalige Chef der britischen Notenbank, Mervyn King, kürzlich festgestellt hat.

Was könnte die EZB in einer künftigen Krise überhaupt noch tun? Die Wirtschaft und die Finanzmärkte mit weiterer Liquidität fluten und noch mehr zweifelhafte Assets auf die eigenen Bücher nehmen? Im Ergebnis würde damit das Vertrauen in die bestehende Geldordnung noch weiter erodieren. Dieses Szenario ist alles andere als beruhigend.