„Für Panik ist es längst zu spät“
Die Börsen sind angeschlagen und es geht weiter bergab. Disziplin und Strategie bleiben gefragt.
„If you`re going to panic, panic early“, lautet ein Bonmot an der Wall Street. Auf heute übertragen, bedeutet dies: Jetzt ist es zu spät, um in Panik zu verfallen. Regelmäßige Leser dieser Kolumne waren ohnehin vorgewarnt, spätestens als ich – sicherlich mit viel Glück im Timing – anlässlich der US-Zinserhöhung die Baisse ausgerufen habe. Und auch das war schon spät, sind doch die Profis bereits im Sommer ausgestiegen. Dennoch: Angesichts der Entwicklung bis heute können sich alle, die im Dezember aus den Märkten ausgestiegen sind, glücklich schätzen.
Doch das ist alles nur Taktik. Viel wichtiger ist es, gerade in Zeiten, in denen andere in Panik verfallen, an der Strategie festzuhalten. Denn genau dafür haben wir die Strategie. Diese muss berücksichtigen, dass
- wir uns in einer Überschuldungssituation befinden, die durch die Politik der Notenbanken in den letzten Jahren weltweit verschärft wurde;
- diese Überschuldung zunehmend die Realwirtschaft erdrückt und zu Stagnation und Deflation führt;
- die Kooperationsbereitschaft auf globaler Ebene abnimmt, und immer mehr Länder versuchen, durch eine Schwächung der eigenen Währung einen (kurzfristigen) Vorteil zu erzielen, und dies perspektivisch auch den Euro bedroht;
- die Bewertungen an den Finanzmärkten sich (immer noch) auf weit überhöhtem Niveau befinden, weshalb auch ohne Crash nur maue Renditen zu erwarten sind;
- Politik und Notenbanken im Falle einer neuen Krise radikale Maßnahmen ergreifen werden: Negativzinsen, Bargeldverbot und Helikopter-Geld, also die direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbanken.
Unser Portfolio muss deshalb alles überleben: Deflation, Zahlungsausfälle, Inflation. Wie hier immer wieder betont, geht es nicht um einen kurzfristigen Gewinn, sondern um den langfristigen kaufkraftbereinigten Vermögenserhalt – plus x. Natürlich sollte x möglichst groß und idealerweise positiv sein. Doch befinden wir uns mitten in einer Phase massiver Vermögensvernichtung und da ist schon derjenige Gewinner, der die Verluste in Grenzen hält.
Zur Erinnerung: Das „Stelter-Portfolio“ ist weder neu noch originell: Je 25 Prozent sollten in Aktien, Gold, Liquidität und Immobilien angelegt sein, dies mit nur vorsichtiger Verschuldung und vor allem international gestreut. Eine Anpassung sollte turnusmäßig erfolgen, mindestens einmal im Jahr und möglichst kostengünstig erfolgen. Wer so aufgestellt ist, hat zwar gegenüber dem Höchststand vom letzten Jahr einige Verluste erlitten, diese wurden aber durch die Erholung bei Gold etwas kompensiert. Hinzu kommt, dass Aktien, die unter Qualitätsgesichtspunkten ausgewählt werden – wie hier erläutert –, deutlich weniger Kursverluste erzielen als der breite Markt. So finden sich in meinem Portfolio schon lange keine Finanzwerte mehr. Ich kaufe keine Aktien von Unternehmen, deren Bilanzen ich nicht verstehe, die vor allem den Ertrag der Mitarbeiter steigern und deren Strafzahlungen die Dividenden übersteigen. Deshalb halte ich auch nichts von Indexfonds, die zwangsläufig Unternehmen enthalten, deren Geschäftsmodell zerstört wurde (Versorger) oder die strukturell noch nie Geld verdient (Fluggesellschaften) haben.
Sollte man angesichts der angeschlagenen Börsen jetzt etwas ändern? Nun, zunächst ist es richtig, dass die Aktien noch viel weiter fallen können. Die Analysten der Societe Generale rechnen vor, dass für den Fall, dass die Bewertungen sich früheren Krisenniveaus annähern und zugleich die Gewinne um 25 Prozent sinken, die Aktien sich auch von heutigem Niveau aus noch mal halbieren können. Dies ist ein ernst zunehmendes Szenario. Doch was wäre die Schlussfolgerung daraus? Alle Aktien verkaufen und das Geld
- in Anleihen stecken, wo es positive Zinsen nur noch bei schlechten Schuldnern und/oder langen Laufzeiten gibt? Wenn, dann wohl am ehesten US-Treasuries, die aber einem Wechselkursrisiko unterliegen, sobald die Fed die Schleusen wieder öffnet. Und das wird sie!
- in Gold stecken, welches sich trotz der Erholung immer noch in einem langfristigen Abwärtskanal befindet? Ja, aber es gibt keine Garantie, dass Gold im Zuge einer deflationären Welle nicht auch fällt.
- auf dem Bankkonto parken? Wo es dem erheblichen Risiko unterliegt, bei der nächsten Welle der Bankenrettung konfisziert zu werden?
- oder doch als Bargeld, wo neben Lagerproblemen das ernsthafte Risiko besteht, dass man schon in wenigen Jahren den Nachweis erbringen muss, woher genau diese Scheine stammen?
Wir bleiben in einer Welt gefangen, die sich am Ende eines jahrzehntelangen Super-Schulden-Zyklus befindet, der alle Vermögenswerte überteuert hat. Schuld daran sind vor allem die Notenbanken. Und diese werden trotz der erwiesenen realwirtschaftlichen Wirkungslosigkeit ihrer Maßnahmen die Dosis weiter steigen. Das Helikopter-Geld wird kommen und wie hier beschrieben, ist Vermögenserhalt in Zeiten des Helikopter-Geldes eine große Herausforderung.
Vor allem werden die Helikopter kommen, bevor die Aktienmärkte wirklich billig geworden sind. Auch im Jahre 2009 waren US-Aktien gerade mal auf den langfristigen Durchschnitt gefallen. Ganz anders Anfang der 1980er-Jahre, als wirklich eine eklatante Unterbewertung vorlag. Deshalb können wir nicht ganz auf Aktien verzichten, deshalb sollten wir nicht von der Strategie abweichen.
Ein Einstieg drängt sich allerdings noch nicht auf. Für jene, die noch nicht bei der idealen Portfoliostruktur angekommen sind, nähert sich jedoch der Zeitpunkt, bei Aktien aufzustocken. Immer im Bewusstsein, dass es den perfekten Zeitpunkt immer in der Theorie und nur selten in der Praxis gibt. Alle anderen warten auf den nächsten geplanten Termin zur Portfolio-Rebalancierung.
→ WiWo.de: „Für Panik ist es längst zu spät“, 11. Februar 2016