Die Sanktionen mussten scheitern

Die Sanktionen der Europäischen Union haben die Fähigkeit Russlands, einen Krieg zu führen, bisher nur wenig beeinträchtigt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium bei gleich vier Wirtschaftsforschungsinstituten in Auftrag gegeben hat.

Die russische Wirtschaft wächst angesichts des Rüstungsbooms kräftig. Die Experten hoffen nun darauf, dass die „Sanktionen langfristig wie ein schleichendes Gift“ wirken.

Nüchtern betrachtet muss man die Sanktionspolitik des Westens als gescheitert bezeichnen. Wenn es darum geht, einen Krieg zu beenden, müssen Sanktionen rasch wirken und nicht erst auf sehr lange Frist.

Auf mittlere und lange Sicht wird Russland ohnehin wieder unbeschränkt am Welthandel teilnehmen, ob uns dies nun gefällt oder nicht. Das langfristig wirkende Gift schadet uns dann möglicherweise selbst, zum Beispiel durch höhere Preise für Öl und Gas. Verwundbar dafür geworden sind wir, weil nicht ausreichend in die Förderinfrastruktur investiert wurde.

Man muss sich fragen, wieso der Westen geglaubt hat, man könne durch die Erhöhung der Preise für Rohstoffe den weltgrößten Exporteur ebendieser Rohstoffe „sanktionieren“. Im Juli 2022 habe ich an dieser Stelle gefordert, alles daranzusetzen, den Weltmarktpreis für Öl, Gas, Kohle und Rohstoffe zu senken. Das geht aber nur, wenn die Nachfrage reduziert oder das Angebot ausgeweitet wird.

Beide Wege haben die Politiker des Westens nicht konsequent beschritten. Deutschland hat völlig unnötig die letzten funktionsfähigen Atomkraftwerke abgeschaltet, obwohl unstrittig ist, dass dadurch der Strombedarf anders und eben auch durch Gas gedeckt werden muss.

Statt dazu beizutragen, die weltweite Nachfrage zu senken, wurde sie auf diese Weise sogar erhöht. In die gleiche Richtung wirkten Steuererleichterungen und Subventionen für Kraftstoffe, die die nachfragedämpfende Wirkung steigender Preise verhinderten.

Moral nicht mit Sanktionen verwechseln

Auch auf der Angebotsseite ist nichts passiert. Das ökologisch unbedenkliche Fracking blieb in Deutschland tabuisiert, und im Bereich der Nahrungsmittel hielten EU und Deutschland an den Maßnahmen zur Flächenstilllegung und Reduktion der Produktionsmengen fest.

Den Verzicht auf den Import von Öl und Gas durch die EU mag man moralisch begrüßen. Man sollte ihn aber nicht mit Sanktionen verwechseln. Zum einen, weil einige Länder wie Österreich und Ungarn weiterhin Öl und Gas aus Russland beziehen. Zum anderen, weil auch Deutschland das tut, beispielsweise über den Import von Diesel aus Indien, der mit russischem Öl hergestellt wird. Im Ergebnis bezahlen wir mehr, ohne Russland nennenswert geschwächt zu haben.

Der Versuch, den Export russischen Öls durch einen Versicherungsausschluss für die Öltanker zu behindern, fällt in die gleiche Kategorie. Erfolgreich umgesetzt wäre der Weltmarktpreis von Öl gestiegen – und damit die Einnahmen Russlands.

Wissen über ökonomische Zusammenhänge fehlt

Bleibt das Einfrieren der russischen Vermögenswerte, deren Erträge nun zur Finanzierung der Ukrainehilfe herangezogen werden sollen. Auch dies dürfte Russland nur wenig beeindrucken, dafür umso mehr andere Staaten der Welt, die nun befürchten müssen, ebenfalls einmal Ziel einer solchen Sanktion zu werden.

Seither läuft das große Umschichten aus europäischen und amerikanischen Staatsanleihen in Gold. Die Bemühungen zum Aufbau eines parallelen Währungssystems in Konkurrenz zum US-Dollar bekamen weiteren Auftrieb. Die Meldung von Bloomberg aus der vorletzten Woche, Saudi-Arabien hätte mit dem Verkauf aller Staatsanleihen gedroht, klingt da nicht so unwahrscheinlich.

Wer auch immer für die Ausgestaltung der Sanktionspolitik des Westens zuständig ist, Grundwissen über ökonomische Zusammenhänge und die Rolle von Angebot und Nachfrage scheint nicht vorhanden zu sein. Für diese Erkenntnis braucht man kein Gutachten von vier Wirtschaftsforschungsinstituten.

→ handelsblatt.com: Sanktionen sind gescheitert – Wir zahlen mehr ohne großen Effekt“, 21. Juli 2024