Deutschland droht zum Verlierer des Welthandels zu werden
Es ist nicht das erste Mal, dass die Globalisierung den Rückwärtsgang einlegt. Der Wirtschaftshistoriker Harold James hat sieben, zum Teil heftige Globalisierungskrisen seit 1850 identifiziert. Diese mündeten zwar jeweils in eine neue Phase der Globalisierung, aber es ist keineswegs ausgemacht, dass die bisherigen Gewinner der Globalisierung auch die künftigen Gewinner sein werden.
Als regelmäßiger „Exportweltmeister“ war Deutschland bisher ein Gewinner der Globalisierung. Dass es eine Herausforderung ist, diese Stellung zu bewahren, hat die deutsche Politik zumindest verbal erkannt.
Viel ist davon die Rede, Abhängigkeiten vor allem von China zu reduzieren und die Produktion kritischer Produkte wieder nach Europa und Deutschland zu holen. Subventionen sollen die zum Teil erheblichen Kostennachteile einer Fertigung vor Ort im Vergleich zu Importen kompensieren.
Nicht weniger herausfordernd ist es, den Zugang zu Energie und kritischen Rohstoffen zu sichern. Dort wird es angesichts der chinesischen Strategie der Monopolbildung in einigen Bereichen nicht nur teuer, andere Quellen zu erschließen, sondern auch Jahre dauern.
Die Wirtschaftsweisen mahnen in ihrem jüngsten Gutachten zu Recht konsequentes Handeln an. Angesichts der hierzulande vorherrschenden Haltung, lokale Vorkommen nicht nutzen zu wollen – von Erdgas bis Lithium –, dürfte die Abhängigkeit vom Ausland jedoch bestehen bleiben und sich zunehmend als Wettbewerbsnachteil erweisen.
Immerhin hat der Bundestag endlich das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifiziert. Weitere Abkommen, vor allem mit den USA müssen rasch folgen, denn mit wem sonst sollten wir Freihandel in einer deglobalisierten Welt treiben, wenn nicht mit den Ländern, die unsere Werte teilen?
Zugleich müssen wir anerkennen, dass es vorerst nicht möglich sein wird, unser Verständnis von Menschenrechten global durchzusetzen. Wir werden weiter mit Ländern handeln müssen, die andere Werte haben als wir, wie der jüngste Gas-Deal mit Katar unterstreicht. Andere Staaten zeigen sich da weitaus pragmatischer, wie die USA und Frankreich mit Blick auf Venezuela gerade demonstrieren. Das muss kein Nachteil sein, reduziert der Austausch von Waren doch die Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen.
Maßnahmen wie Freihandelsabkommen, eine gesicherte Rohstoffversorgung und verringerte Abhängigkeiten reichen aber nicht, um den Wohlstand in Deutschland zu sichern. Um dauerhaft im Rahmen des Freihandels hohe Einkommen zu erwirtschaften, muss man in margenstarken, zukunftsfähigen Geschäftsfeldern zur Spitzengruppe gehören.
Laut Gutachten der Wirtschaftsweisen haben wir nur in traditionellen Technologien noch einen deutlichen Vorteil und hinken bei den Zukunftstechnologien wie Internet of Things, Big Data und Künstlicher Intelligenz hinterher.
Es braucht mehr Investitionen in die Bildung
Gleichzeitig sind die Risiken für die angestammten Bereiche offensichtlich. Die Automobilindustrie steht inmitten eines fundamentalen Wandels, und die Sorge ist berechtigt, dass in Deutschland erhebliche Kapazitäten verloren gehen. Auch in anderen Bereichen stehen wir nicht erst seit dem Energiekostenschock unter Druck.
Wollen wir auch in der nächsten Phase der Globalisierung ein führender Spieler sein, ist es dringend erforderlich, die Energiekosten dauerhaft zu dämpfen und vor allem mehr in Bildung, Forschung und Innovation zu investieren.
An Politikerreden zu diesem Thema mangelt es nicht, wohl aber an Taten. Dass nach Daten des Ifo-Instituts fast jeder vierte Jugendliche in Deutschland die Schule ohne grundlegende Fähigkeiten verlässt, ist nicht nur ein Vergehen an der kommenden Generation, sondern ein Warnsignal erster Güte.
Wenn die Politiker es ernst meinen mit ihrem Wunsch, westliche Werte in die Welt zu exportieren, müssen sie dafür sorgen, dass wir eine starke Handelsnation bleiben. Wirtschaftliche Stärke ist die beste Grundlage für Menschenrechtspolitik. Es wäre schön, wenn die Ampel das erkennen würde.
→ handelsblatt.com: “Deutschland droht zum Verlierer des Welthandels zu werden”, 11. Dezember 2022