Schulden und Krisen – der Zusammenhang

Regelmäßige Besucher dieser Seiten wissen, dass ich die exzessive Verschuldung von Staaten und privaten Sektoren als Hauptursache der Krise und die schwache Erholung von derselben sehe. Ein mehr als dreißigjähriger Verschuldungszyklus nähert sich dem Ende, indem sich die Schulden in den westlichen Industrienationen relativ zum BIP mehr als verdoppelt haben. Verschiedene Studien haben untersucht, ob und inwiefern Schulden eine Wirkung auf Tiefe und Verlauf von Wirtschaftskrisen haben und wie Schulden das Wachstum einer Volkswirtschaft beeinflussen.
Als erste haben die US-Professoren Reinhart und Rogoff gezeigt, dass eine Staatsverschuldung von 90 Prozent oder mehr relativ zum BIP zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führt:

Reinhart/Rogoff: Growth in a Time of Debt, Januar 2009

Die 90-Prozent-Grenze hat dann die wirtschaftspolitische Diskussion geprägt und das Augenmerk zu einseitig auf die Staatsschulden gelenkt. Hinter vielen Maßnahmen der Politik in den letzten Jahren stand genau diese Hürde. Als dann ein Berechnungsfehler entdeckt wurde, die Autoren hatten Länder falsch gewichtet, war der Aufschrei groß. Das mit den 90 Prozent wäre wohl doch nicht so wichtig, und Staaten könnten und sollten weiter mehr Schulden machen. Dabei wurde dann übersehen, dass auch nach Korrektur des Fehlers die Empirie dasselbe Ergebnis zeigt: Höhere Staatsschulden sind schlecht für Wirtschaftswachstum.

Schon im Jahre 2011 haben Wissenschaftler der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel eine weitere Studie vorgestellt. Sie untersuchten die Wirkung von Schulden generell, also nicht nur von Staatsschulden, sondern auch von Schulden der Nicht-Finanzunternehmen und der privaten Haushalte.

Cecchetti et al: The real effects of debt, September 2011

Das klare Ergebnis: Sobald einer der drei Sektoren über der magischen Grenze von 90 Prozent liegt, verlangsamt sich das Wachstum der Wirtschaft. Schulden sind also ab einem bestimmten Niveau nicht mehr wachstumsfördernd, sondern ein Wachstumshemnis. Aus unserer Sicht bedarf es dafür auch keiner umfangreichen Studien, da man sich diesen Zusammenhang einfach ableiten kann. Eine Wirtschaft wächst langfristig im Einklang mit Arbeitskräftepotential und Produktivität pro Kopf. Eine zunehmende Verschuldung führt zu einer Stimulierung der Wirtschaft über diesen Trend hinaus. Es gibt Mehrnachfrage mit entsprechend höheren Wachstumsraten und höheren Einkommen. Sobald jedoch die Wirkung dieser Zusatzverschuldung nachlässt, verringert sich das Wirtschaftswachstum. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verschuldung überwiegend dem Konsum oder der Spekulation gedient hat, nicht der Erhöhung des Produktionspotentials. Sobald die Schuldner sich weniger neu verschulden können und sogar beginnen, Zinsen aus eigenem Einkommen zu zahlen statt über weitere Kredite, sinkt die Nachfrage. Folge: weniger Wachstum.

Doch weniger Wachstum muss nicht zwangsläufig eine Krise bedeuten. Es gibt Staaten wie Italien, die mit hoher Verschuldung und geringen Wachstumsraten einen schleichenden Niedergang erleben, ohne in eine tiefe Krise zu fallen. Erst wenn der Trend lange anhält, kommt es zu einer Zuspitzung, wie wir sie derzeit erleben, weil immer klarer wird, dass der Staat seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.

Eine neue Studie der Universität Bonn geht der Frage nach, ob private oder staatliche Schulden gleichermaßen ursächlich für Finanzkrisen sind. Dazu untersuchten Wissenschaftler 95 Finanzkrisen in 17 Industrieländern seit 1870.

Jorda et al: Sovereigns versus Banks: Credit, Crises, and Consequences, September 2013

Die Kernaussagen:

  • Es sind nur selten Staatsschulden, die zur Krise führen. Griechenland wäre demnach eine Ausnahme. Industrieländer haben es zumeist geschafft, ihre Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Ich würde ergänzen: Nicht selten hat Inflation dabei geholfen.
  • Finanzkrisen sind zumeist die Folge eines sehr hohen Kreditwachstums im privaten Sektor.
  • Zu Krisen der Staatsfinanzen werden diese vom Privatsektor ausgelösten Krisen erst dadurch, dass die Staaten eingreifen müssen, um Banken und Privatwirtschaft zu stabilisieren – so zu beobachten in Irland und Spanien (Portugal hingegen ist in allen drei Sektoren bereits vor Krisenausbruch hoch verschuldet gewesen, was es als noch problematischer als Griechenland erscheinen lässt).
  • Zum Krisenverlauf stellten die Forscher fest, dass es einen umso milderen Verlauf der Krise gibt, je geringer verschuldet der Staat vor Krisenausbruch war. Einleuchtend. Denn nur dann haben die Staaten genügend Verschuldungskapazität, um gegenzusteuern. Müssen die Staaten hingegen zeitgleich mit dem Privatsektor sparen, ist eine tiefe Rezession die Folge. Eine Volkswirtschaft als Ganzes kann sich nur dann entschulden, wenn sie einen Außenhandelsüberschuss erzielt. Dies ist in einem Umfeld flexibler Wechselkurse offensichtlich leichter zu erzielen, als in einem Fixkurssystem wie dem Euro. In diesen Kontext passt auch die mehrmals hier angesprochene Kritik an den deutschen Außenhandelsüberschüssen. Wenn die Krisenländer Überschüsse brauchen, um die Schulden abzubauen, müssen andere Länder Defizite machen – sonst geht es nicht auf.
  • Stimmt die Analyse der Forscher, ist die Schlussfolgerung für die Politik in der Eurozone klar: Sie wirkt krisenverstärkend und adressiert nicht die Kernursachen der Krise: Die Verschuldung wächst im Gegenteil weiter.

Das Handelsblatt hat die Studie besprochen und ein kleines Interview mit mir geführt. Darin plädiere ich erneut für eine geordnete Schuldenrestrukturierung auf europäischer Ebene.
Viel interessanter ist die Frage nach den Schlussfolgerungen für die Zukunft. Zunächst ist klar, dass die Krise in Europa noch lange nicht ausgestanden ist. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach China erneut. Dort lag das Kreditwachstum der letzten fünf Jahre auf einem Niveau über dem von USA und UK vor der Finanzkrise!

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