Wirtschaftsnobelpreis: Mütter- statt Frauenförderung
Am Sonntag (15.10.2023) geht es im Podcast unter anderem um die diesjährige Trägerin des von der Schwedischen Reichsbank anlässlich ihres 300-jährigen Bestehens ins Leben gerufenen „Wirtschaftspreis im Gedenken an Alfred Nobel“. Die Harvard-Professorin Claudia Goldin ist Pionierin in der Forschung über die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt. Ihre Forschung hat maßgeblich zum Verständnis der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede beigetragen.
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) würdigte sie so:
- „Das Lebenswerk Goldins deckt die wandelnde Rolle arbeitender Frauen von der Agrargesellschaft bis zur heutigen modernen Technologie- und Dienstleistungsgesellschaft ab. Dazu hat sie mehr als 200 Jahre in die Geschichte der USA zurückgeblickt. Die Untersuchungen zur Erwerbsbeteiligung konzentrierten sich lange Zeit nur auf die Arbeit der Männer. In historischen Quellen war kaum oder nur lückenhaft von Frauen die Rede, die ausser Haus arbeiteten. Angesichts des fehlenden Datenmaterials zu kapitulieren, war nicht Goldins Sache. Sie machte sich stattdessen auf die Suche nach anderen Quellen, grub in alten Arbeitsrapporten, Volkszählungen und Industriestatistiken.“ – bto. Es ist also ein Preis für eine empirische Arbeit mit hoher gesellschaftspolitischer Relevanz.
- „Ihre Detektivarbeit zeigte, dass der Status ‚Frau‘ nicht bedeutete, dass eine solche nur den eigenen Haushalt führte, sondern auch tatkräftig im Bauern- oder Familienbetrieb ihres Mannes arbeitete oder Lohnarbeiten ausführte. In Statistiken waren Frauen klar unterrepräsentiert; laut Goldin waren Ende des 19. Jahrhunderts dreimal so viele Frauen erwerbstätig wie offiziell angegeben.“ – bto. Es war eben Arbeit, die nicht erfasst wurde. Nun könnte man auch sagen, dass der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts durch höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen auch nur ein Messfehler ist.
- „Statt einer kontinuierlich steigenden Kurve bildet die Zahl der erwerbstätigen Frauen während der vergangenen 200 Jahre eine U-förmige Kurve (und dies nicht nur in den USA, auf die sich Goldins Forschung konzentrierte). Während um 1790 mehr als die Hälfte der verheirateten Frauen arbeitete, waren es 1919 bloss noch 10 Prozent, um bis heute wieder auf die einstigen Niveaus zu steigen. Die Industrielle Revolution schuf zwar Hunderttausende Arbeitsplätze, erschwerte oder verunmöglichte den Müttern jedoch die Kombination von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit, so dass sie Erstere wählten.“ – bto: Wobei zu der Zeit der Alleinverdiener auch so viel verdiente, dass es für die Frauen wirtschaftlich nicht nötig war, zu arbeiten – würde ich meinen.
- „Wie ist zu erklären, dass die Beschäftigungsquote der Frauen nicht im Gleichschritt mit dem wirtschaftlichen Fortschritt gestiegen ist? Warum sind die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt nicht automatisch verschwunden? Laut Goldins Forschung hat das jahrzehntelange Abseitsstehen der Frauen vom Arbeitsmarkt trotz der steigenden Nachfrage mehrere Erklärungsfaktoren.“ – bto: Das wiederum überrascht nicht.
- „Heute ist das Ausbildungsniveau der Frauen in vielen Industrieländern generell höher als dasjenige der Männer. Obwohl die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern während der vergangenen fünfzig Jahre sanken, sind sie nicht verschwunden. Laut OECD verdienen Frauen durchschnittlich unerklärte 13 Prozent weniger als Männer. Um diese Entwicklung zu analysieren, tauchte Goldin erneut tief in die Geschichte ein. Dabei konnte sie unter anderem aufzeigen, dass die Lohndifferenzen 1820–1850 sowie 1890–1930 abnahmen, also lange bevor die Geschlechterfrage ein Thema war. In den darauffolgenden fünfzig Jahren jedoch schloss sich die Schere nicht weiter, obwohl die Frauen besser ausgebildet waren, ihre Erwerbsbeteiligung stieg und trotz kräftigem Wirtschaftswachstum.“ – bto: Ich bleibe ja bei meiner These, dass es nicht nur um die formale Ausbildung geht. Also Master ist nicht gleich Master, es hängt auch vom Fach ab.
- „In einem 2010 zusammen mit Katz und Marianne Bertrand publizierten Artikel formulierte Goldin die später von anderen Forschern bestätigte These, wonach Mutterschaft die scheinbar unerklärbaren Lohnunterschiede von Frauen und Männern erklärt. In der modernen Arbeitswelt wird erwartet, dass Arbeitskräfte flexibel und ständig bereit sind – eine Anforderung, die Frauen oft nicht erfüllen, da sie mehr Verantwortung für Nachwuchs und Heim übernehmen, was sich laut Goldin direkt in Lohnentwicklung und Karrieremöglichkeiten von Frauen spiegelt.“ – bto: … weshalb man auch keine Frauenförderung braucht, sondern eine Mütterförderung.
Auch die Finanz und Wirtschaft (FuW) hat eine Würdigung veröffentlicht. Hieraus ergänzend:
- „‚Sie stellte fest, dass der Anteil der Frauen an der amerikanischen Erwerbsbevölkerung Ende der Achtzehnhundertneunzigerjahre wesentlich höher war als in den offiziellen Statistiken ausgewiesen‘, schreibt die Akademie. So zeigten ihre Korrekturen, dass die Beschäftigungsquote verheirateter Frauen fast dreimal so hoch war wie die in den Volkszählungen registrierte. Ein weiteres Ergebnis ihrer neuen Quellen war: Mit dem Aufkommen der Industrialisierung Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen rapide gesunken. Ein Grund dafür war, dass die Industrialisierung es vielen verheirateten Frauen erschwerte, von zu Hause aus zu arbeiten und so Beruf und Familie zu vereinbaren.“ – bto: Das hatte die NZZ auch schon, aber die FuW gönnt dem Beitrag noch ein Chart:
Quelle: Finanz und Wirtschaft (FuW)
- „Der Tiefpunkt ist demnach zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erreicht worden, seitdem steigt die Erwerbsbeteiligung der Frauen wieder. ‚Heute wissen wir, dass diese U-Form keineswegs nur für die USA gilt, sondern auch in vielen anderen Ländern zu beobachten ist‘, schreibt die Akademie.“ – bto: Es ist also eine empirische Fleißarbeit, die in diesem Jahr geehrt wird.
- Und die FuW weist dann noch auf ein interessantes Detail hin: „Zugleich wies Goldin nach, dass die Lohndiskriminierung mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors im zwanzigsten Jahrhundert gestiegen ist: also die Lohnunterschiede, die sich nicht durch Unterschiede in der Produktivität, Bildung und Alter erklären lassen. Grund dafür war, dass die Akkordverträge des alten Industriesystems zunehmend zugunsten von Lohnsystemen auf der Grundlage eines Monatslohns aufgegeben wurden. Dadurch wurden aber männliche Arbeitnehmer mit langen und ununterbrochenen Berufslaufbahnen begünstigt.“ – bto: … weil es um Leistung über Zeit, nicht innerhalb einer Zeit ging.
- „Damit ist klar, dass es nicht ausreicht, wenn Frauen die gleichen Bildungsvoraussetzungen wie Männer haben: Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen bleibt bestehen. Die Möglichkeit, den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Geburt von Kindern zu planen und zu finanzieren oder flexibler zu arbeiten, ist damit von entscheidender Bedeutung.“ – bto: Eben. Mütter gehören gefördert, nicht Frauen.