Besser Öko­liberal als Öko­sozialistisch

Morgen (30. Juli 2023) geht es im Podcast um die Gräben in der Klimadiskussion in Deutschland. Diese verhindern offensichtlich rationale, effiziente und effektive Lösungen. Woran das liegt, haben wir in den letzten zwei Tagen hier schon diskutiert. Doch, gäbe es eine Lösung?

Philipp Krohn meint ja. Der Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat ein Buch geschrieben. Titel: Ökoliberal. Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht.

Guter Titel, weshalb er in der morgigen Episode mein Gast ist. Zur Einstimmung ein Beitrag von ihm:

  • „Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich mit dem Versuch verhoben, die Wärmewende mit der Peitsche voranzutreiben. Erst als sein ursprünglicher Gesetzentwurf überarbeitet und entschärft wurde, konnten sich die drei Partner darauf einigen. Nun verbreitet er die Erzählung, mehr sei nicht herauszuholen. Statt die Ursache für die grundlegenden Irritationen zu suchen.“ – bto: Das Grundproblem ist der planwirtschaftliche Ansatz.
  • „In ihrem Koalitionsvertrag fand sie eine gesunde Balance aus Fortschrittsfreude und ökologischem Problembewusstsein. Ein Politikverständnis schien sich zu zeigen, dass den Herausforderungen von Klimawandel und Artenschwund mit Zutrauen in Innovationen begegnet.“ – bto: Das habe ich nie geglaubt. Es geht nur über Verbot, Verzicht, …
  • „Die Grünen vertrauen darauf, Menschen mit dirigistischer Detailliebe zum ökologischen Glück zu führen. Allein die Regelung, dass Bürger ab 80 Jahren von der Pflicht zur erneuerbar betriebenen Heizung ausgenommen werden, hätte die Verantwortlichen stutzig machen sollen. Die FDP dagegen trägt den Begriff der Technologieoffenheit selbst dann wie ein Mantra vor sich her, wenn ihr nachgewiesen wird, dass eine angestrebte Lösung energetisch sinnlos bleiben wird.“ – bto: Das stimmt, ist aber zu kurz gesprungen. Denn natürlich ist die Forderung der Technologieoffenheit grundsätzlicher und wer weiß, was statt Wärmepumpe noch erfunden wird?
  • „Wer sich aber mit der Geschichte des Liberalismus beschäftigt, wird feststellen, dass eine konstruktive Synthese leicht möglich wäre. In Politikerdeutsch formuliert: Die Grünen müssen vom Dirigismus runterkommen, dem (gelenkten) Markt mehr vertrauen und Innovationen ohne politische Vorentscheidungen zulassen. Von der FDP dagegen muss man erwarten können, dass sie ein größeres Problembewusstsein für die Lage der Welt entwickelt: Weg vom Fossilen – selbst wenn das bedeutet, dass Elemente des bisher bekannten Wohlstands verschwinden werden.“ – bto: Die FDP ist doch für CO2-Steuern zur Lenkung.
  • „Der Ökoliberalismus bietet dafür viele gute Anknüpfungspunkte. Drei wesentliche Aspekte zeichnen ihn aus: 1. Eine Anerkennung der biophysikalischen Begrenztheit der Welt. Ihre Missachtung hat die Ökokrise seit dem Moment verschärft, in dem wir davon ein Bewusstsein entwickelt haben – also etwa der Zeit, in der der Bericht Die Grenzen des Wachstums an den Club of Rome erschienen ist (1972).“ – bto: Wobei wir seither große Fortschritte erzielt haben! Das wird gerne unterschlagen.
  • „2. Das Vertrauen darauf, dass die Marktwirtschaft am besten geeignet ist, Ökologie und Freiheit in Einklang zu bringen. Der Emissionshandel hat durch harte Beschränkungen in der Industrie den CO2-Ausstoß seit Einführung im Jahr 2005 im gewünschten Umfang reduziert, warum sollte ihm das nicht auch in den Sektoren Wohnen und Verkehr gelingen?“ – bto: Das stimmt zu 100 %. Die Frage ist natürlich, ob es im Verkehr nicht unglaublich viel aufwändiger ist als in anderen Bereichen.
  • „3. Weil die mangelnde Nachhaltigkeit ihre Ursache in stetig verschobenen Konsumnormen hat, ist eine Rückkehr zum rechten Maß erstrebenswert.“ – bto: Das halte ich für naiv. Das mögen einige mitmachen, nicht die Gesellschaft. Und wenn es Deutschland macht, dann freut man sich so woanders über einen höheren Lebensstandard. Überhaupt: Wer definiert, was nicht mehr „das rechte Maß“ ist?
  • „Ein Blick auf die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Freiheit zeigt, dass das Verständnis einiger FDP-Politiker zu bequemen Antworten führt. Natürlich steht die Unversehrtheit des Individuums für Liberale im Vordergrund. Aber schon John Stuart Mill, ein früher Öko, freute sich auf einen Zustand, in dem sich die Wirtschaftsdynamik nicht mehr auf Kosten der Natur fortsetze. John Rawls gibt in Politischer Liberalismus (zuerst 1993) Hinweise darauf, dass der Freiheitsbegriff der FDP (keiner kann mir meinen Porsche, mein Steak und meinen Flug nehmen) zu unterscheiden ist vom Freiheitsbegriff, der konstitutiv für eine Demokratie ist: die fundamentalen Menschenrechte, auf die sich alle Bürger einigen würden, bevor sie sich gemeinsam eine Verfassung geben. Das vermeintliche Recht, energiefressenden Wohlstand zu genießen, verkommt in Rawls‘ Kategorisierung zu einem Interesse auf Parteienebene, das aber durch den Rückgriff auf den Verfassungswert der Freiheit moralisch überhöht wird.“ – bto: Diese Argumentation ist gefährlich nahe an den Aussagen von Habeck in den letzten Wochen. Es geht um keine Freiheit mehr, sondern die Einordnung in die „Freiheit“ des Kollektivs.
  • „Die Initiative ‚Letzte Generation‘ klebt sich auf Straßen und an Pipelines fest, ihre Gründer haben nach der Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Dialog den späteren Bundeskanzler Olaf Scholz regelrecht angeschrien. Dass ihre zwei politischen Hauptforderungen ausgerechnet das für die Bahn defizitäre Neun-Euro-Ticket und das arg defensive Instrument eines Tempolimits auf Autobahnen sind statt ein radikaler Emissionshandel, zeigt die Beschränkung moralischer Politik.“ – bto: Nein. Es zeigt, dass es um etwas ganz anderes geht: den gestern an dieser Stelle so gut beschriebenen Kampf gegen unsere Gesellschaftsordnung.
  • „Das überraschendste Vorbild des Ökoliberalismus ist Friedrich August von Hayek. Er hat die Philosophie Adam Smiths vor dem Hintergrund der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in Weg zur Knechtschaft (zuerst 1944) in die industrielle Zeit übersetzt und im Kern auf dieselben Prinzipien gesetzt: freie Preisbildung, Arbeitsteilung, Wettbewerb. Es sei eine Anmaßung von Wissen, wenn Bürokraten glaubten, technische Entwicklungen voraussehen zu können. In Preisen spiegelten sich Informationen von Tausenden einzelnen Akteuren, ihnen solle man die Lenkungsfunktion überlassen.“ – bto: Dann käme aber beispielsweise heraus, dass das Elektroauto keineswegs die Lösung ist, weshalb es eben eine ineffektive und sehr teure Maßnahme wäre.
  • „Hayek ist zurecht umstritten, weil er einige politische Entwicklungen falsch eingeschätzt hat. (…) Er hatte aber schon in den vierziger Jahren einen klaren Blick auf Grenzen des Marktes. Für Umweltprobleme schlug er vor, was heute als CO2-Preise bekannt ist – und bei schweren Verwerfungen sogar Verbote.“ – bto: … von letzteren kann heute aber keine Rede sein.
  • „Der Ökoliberalismus ist keine zusammenhängende Schule Gleichgesinnter. Er ist eine eklektizistische Denkrichtung, die versucht, die Grenzperspektive, wie sie durch den Club-of-Rome-Bericht sowie die beiden Ökonomen Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen aufgezeigt wurde, mit der Marktperspektive der liberalen Ökonomik von Smith bis Daren Acemoğlu zu vereinen. Deckeln wir den Naturverbrauch und lassen darunter den Markt agieren, statt zu erlauben, dass Achtzigjährige weiter fossil heizen dürfen. Lassen wir den Markt nach Wegen suchen, wie wir mit Erneuerbaren fliegen können. Und finden wir gemeinsam das rechte Maß, ab dem ressourcenfressender und senkenbelastender Konsum nicht mehr adäquat ist.“ – bto: Letzteres klärt auch der Preis. Alles andere ist nichts anderes als Umverteilung und Erfüllung von Neidreflexen.

agora42.de: „Ökoliberal – Lassen wir den Markt nach nachhaltigen Wegen suchen“, 13. Juli 2023