Ein Nobelpreisträger rechnet mit den Ökonomen ab
Morgen (29. Oktober 2023) gibt es eine Premiere in meinem Podcast. Zum ersten Mal habe ich einen Nobelpreisträger zu Gast. Sir Angus Deaton lehrt in Princeton und hat gerade ein Buch veröffentlich, in dem er sehr kritisch mit der eigenen Profession umgeht. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fand das nicht so überzeugend:
- „In aller Regel versuchen Preisträger, der eigenen Disziplin zu mehr Gewicht zu verhelfen. Angus Deaton, der 2015 für seine Arbeiten zu Konsum, Armut und Wohlfahrt den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, geht den umgekehrten Weg: Er warnt die Öffentlichkeit vor seiner Zunft.“ – bto: Das ist ja durchaus mal etwas Interessantes.
- „Was Deaton in seinem neuen Buch ‚Economics in America‘ präsentiert, ist schwere Kost für viele Ökonominnen und Ökonomen. Gut kommen sie darin nämlich nicht weg. (…) Wobei er sich selbst, zumindest ein Stück weit, ebenfalls auf die Anklagebank setzt. An viele Glaubenssätze, die heute als Mythen entlarvt seien, habe er früher selber geglaubt, schreibt Deaton – und entlockt sich ein ‚mea culpa‘.“ – bto: Gemeint sind Markteffizienz und Wohlfahrt.
- „Scharf attackiert wird vor allem Lawrence Summers. Der frühere Chefökonom der Weltbank besetzte in den Regierungen von Bill Clinton und Barack Obama einflussreiche Ämter. (…) Summers, so der Vorwurf von Deaton, habe seinen Intellekt und seine Überzeugungskraft nicht zuletzt dazu genutzt, um Hindernisse für spekulative Kapitalflüsse und Finanzinstrumente aus dem Weg zu räumen. Diese Deregulierungen hätten in der Folge nicht nur zur Asien-Krise beigetragen, sondern Jahre später auch zur Finanzkrise von 2008. Wobei damals sehr viele Ökonomen – unter ihnen auch Deaton – davon überzeugt gewesen seien, dass man wachstumshemmende Vorschriften am Finanzmarkt gefahrlos entfernen könne. Das Vertrauen in die Stabilität von Wirtschaft und Konjunktur schien grenzenlos.“ – bto: Das ist sicherlich ein berechtigter Kritikpunkt.
- „Das Beispiel ist insofern repräsentativ, als Deatons Breitseite vor allem den angeblichen ‚Marktfundamentalisten‘ gilt. Der Schotte outet sich dabei als Keynesianer alter Schule und als Verfechter eines ziemlich dirigistischen Staates. (…)“ – bto: Das ist ja durchaus populär.
- „So unterstellt er seinen Kollegen, die Fundierung der klassischen Ökonomie in der schottischen Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts vergessen zu haben. ‚Nicht alles sollte gehandelt werden. Unser Berufsstand hat sich zu sehr von der Vorstellung leiten lassen, dass Geld alles ist und dass alles in Geld gemessen werden kann. Philosophen haben nie akzeptiert, dass Geld der einzige Maßstab für das Gute ist.‘“ – bto: Das kann man sicherlich kritisieren.
- „Deaton ortet blinden Ökonomismus, einen fixen Glauben, dass Effizienz dasselbe sei wie Wohlfahrt, dass das Einkommen der Reichen sukzessive in untere Gesellschaftsschichten durchsickere. Und er prangert eine Unkultur der Verantwortungslosigkeit an: Wenn eine Brücke in einen Fluss stürze oder eine Rakete im Weltraum explodiere, müssten sich Ingenieure harte Fragen gefallen lassen. Wenn hingegen Amerikas Kapitalismus, wie heute der Fall, nur noch einer kleinen Elite diene, frage niemand, ob allenfalls auch die Ökonomen dafür verantwortlich seien.“ – bto: Naja. Ich würde die Notenbank als Schuldige identifizieren.
- „Es ist ein unrühmliches Bild, das der 77-Jährige von seinen Kollegen zeichnet. Sie seien Apostel einer Globalisierung, die Millionen von Arbeitsplätzen zerstöre, den Reichtum von unten nach oben umverteile, Gemeinden aushöhle – und abgehängte Arbeiter in die Arme von Donald Trump treibe. Wobei die Kritik primär auf die USA zielt. Als er noch im englischen Cambridge gearbeitet habe, sei Ungleichheit ein wichtiges Thema gewesen. In den USA – und vor allem in Chicago – habe es aber zum guten Ton gehört, Probleme der Ungleichheit schlicht zu negieren.“ – bto: Chicago ist sicherlich die extreme Version. In Deutschland habe ich den Eindruck nicht.
- „(…) wenn Deaton schreibt, Amerika sei in den vergangenen Jahrzehnten eine ‚dunklere Gesellschaft‘ geworden, tut er dies nicht aus einer Laune heraus. Vielmehr hat er – wie kaum ein anderer Akademiker – die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten in den USA exakt vermessen. Sein 2020 zusammen mit seiner Frau Anne Case veröffentlichtes Buch ‚Tod aus Verzweiflung‘ ist ein bedrückendes Zeugnis für den Niedergang der amerikanischen Arbeiterklasse und des amerikanischen Traums.“ – bto: Das stimmt zweifellos und wird auch in dem Gespräch deutlich.
- „Dass Globalisierung und Automatisierung neben Gewinnern auch Verlierer verursachen, ist unumstritten. Das Standardargument der Ökonomen für mehr Globalisierung lautet jedoch, dass die Gewinne so groß seien, dass die Verlierer kompensiert werden könnten. Deaton hält wenig von dieser Sicht. Erstens gehe es eben nicht immer nur ums Geld, sondern auch um sozialen Status. Zweitens finde in der Realität nie eine Kompensation der Verlierer statt. Dies nicht nur aufgrund einer Aversion gegen Markteingriffe, sondern auch, weil die Profiteure überzeugt seien, dass ihnen ihr Gewinn zustehe und sie nichts abgeben müssten.“ – bto: Und das ist ein Argument, dem ich nicht wirklich widersprechen würde.
- „Auch diese Kritik trifft auf die USA stärker zu als auf Europa. So ist das Netz der sozialen Absicherung in Amerika viel löchriger als hierzulande, oft ist es inexistent. Wer in den USA den Job verliert, ist auf sich gestellt. Der Marie-Antoinette-Ratschlag vieler Ökonomen an Arbeitslose, eben in Städte mit neuen Stellen umzuziehen, ist laut Deaton wenig hilfreich: Erstens seien in diesen Zentren das Wohnen und Leben oft unbezahlbar. Zweitens erforderten die meisten neuen Jobs etwas, was die Benachteiligten der Globalisierung selten hätten: einen Hochschulabschluss.“ – bto: Insofern folge ich ihm hier auch.
- „Der Vorwurf der Weltfremdheit trifft für Ökonomen, die sich gern in abstrakten Modellwelten aufhalten, zweifellos zu. Das gilt aber nicht nur für rechte Ökonomen, von Deaton als Konservative tituliert, sondern ebenso für linke oder sogenannt Progressive. Zwar gesteht Deaton ein, dass auch Linke irren können: ‚Wenn die Rechte die Fehler der Märkte nicht sehen kann, kann die Linke ebenso blind sein für die Fehler der Regierung.‘ Dieser Einschub ändert aber wenig daran, dass Deaton das Staatsversagen im Vergleich zum Marktversagen stark unterbelichtet.“ – bto: Das sehe ich wiederum auch als problematisch an.