Der „Earned Income Tax Credit“ (EITC ) – das beste Sozialprogramm der Welt
Am 9. Januar 2022 ist Beat Kappeler zu Gast in meinem Podcast. Wir sprechen über die Lehren aus dem “besten Sozialprogramm der Welt” für Deutschland. Wichtige Anregung für die kommende Bundesregierung.
Beat Kappeler studierte Weltwirtschaft und Völkerrecht an der Universität Genf. Arbeitete als freier Wirtschaftsjournalist und war von 1977 – 1992 Sekretär des Schweizer Gewerkschaftsbundes. Von war er 1992 – 2018 Wirtschaftskommentator für die Weltwoche und die NZZ am Sonntag und von 1996 – 2000 a. o. Professor für Sozialpolitik an der Universität Lausanne. Sein letztes Buch trägt den Titel „Der Superstaat – Von Bürokratie und Parteizentralen und wie man den schlanken Staat zurückgewinnt” und erschien bei NZZ LIBRO.
Hier ein Beitrag, den Beat Kappeler zunächst bei Austrian Institute veröffentlicht hat:
Das beste Sozialprogramm der Welt läuft immer noch in den USA, nämlich der „Earned Income Tax Credit“ (EITC). Es ist eine Steuergutschrift für Working Poor, eher eine negative Steuer, wodurch der Staat auszahlt anstatt einnimmt. Das beste Programm wurde es ab 1975, weil arme Verdiener nur wenig Unterstützung verlieren, wenn ihr Einkommen ansteigt, wenn sie also mehr Arbeit finden, mehr Arbeit annehmen.
Im Gegensatz dazu stützen zwar konventionelle Sozialhilfen, vor allem in Europa, die Armen ebenfalls. Doch für jeden Euro (oder Franken), den sie dann selbst verdienen, wird ein Euro von der Hilfe abgezogen. Bis zur Unterstützungsgrenze, bis hinauf zur Schwelle der Armutsdefinition hat eine arme Person oder Familie nichts vom zusätzlichen Arbeitseinsatz. Die Ärmsten unterstehen einer „Steuerbelastung“ von 100 % auf dem Selbstverdienten. Das mutet man keinem Milliardär zu!
Vom Sozialfall zum aktiven Steuerzahler
Die Mechanik des „Earned Income Tax Credit“ kann an einer Familie mit zwei Kindern illustriert werden. Von einem ganz geringen Arbeitseinkommen von null bis 14.950 Dollar zahlt die Steuerbehörde 40 % hinzu. Dabei gilt als Maß das ganze Haushaltseinkommen, also beider Partner. Bei diesem selbst verdienten Einkommen von bereits gut 14.000 Dollar beläuft sich dieser Zuschuss auf 5.980 Dollar, und das Gesamteinkommen des Haushalts erreicht damit 20.930 Dollar. Setzen sich die Mitglieder des Haushalts nun noch mehr ein, nehmen sie mehr Arbeit an, dann bleibt diese Stütze von 5.980 Dollar bis zu einem selbstverdienten Einkommen von 19.520 Dollar konstant (Gesamteinkommen also 25.500 Dollar) und sinkt dann nur um 21 % jedes noch mehr verdienten Dollars. Mit jedem zusätzlichen Arbeitseinsatz hat der Haushalt zu jedem Zeitpunkt mehr Einkommen. Ganz mathematisch baut sich dann die Stützung ab, sie geht bei knapp 50.000 Dollar Einkommen auf null. Von da an wird der Haushalt aktiver Steuerzahler, die negative Steuer ist „ausphasiert“.
Für alleinstehende Working Poor sind die Ansätze deutlich tiefer, aber der Arbeitsanreiz verläuft ebenso. Alleinstehende mit Kindern stellen sich beinahe so gut wie ein verheiratetes Paar, was alleinerziehende Mütter ausreichend durchträgt. Die weiteren Rahmenbedingungen sind ansprechend – die Unterstützungsgrenzen gelten auch für wenig verdienende Selbstständigerwerbende, Bauern. Wer in Not ist, kann die Steuergutschrift laufend beantragen und bekommt sie schon ausbezahlt. Einkommen aus Vermögen (Aktien, Zinsen, Fonds) werden bis 10’000 Dollar jährlich nicht angerechnet.
Der Missbrauch beim EITC durch unterschlagenes Einkommen betrifft etwa 20 % der Fälle, also wie bei den üblichen Steuererklärungen auch. Jedenfalls sind Betrüger danach für Jahre ausgeschlossen.
Das drittgrößte Sozialprogramm – gefährdet durch die Covid-Hysterie
Der EITC wird in den USA von den beiden im Kongress vertretenen Parteien seit je unterstützt, er wurde eingeführt unter dem republikanischen Präsidenten Reagan, massiv ausgebaut unter dem demokratischen Präsidenten Clinton. Er ist heute mit deutlich über 60 Milliarden Kosten das drittgrößte Sozialprogramm der USA nach Medicaid und den Food Stamps. Letztere unterstützen Bedürftige, die überhaupt nicht arbeiten.
Eigentlich würde der EITC weitestgehend ausreichen, denn seine Dollaransätze sind für US-Verhältnisse stattlich, sie reichen bis in die untere Mittelschicht, nämlich zu den untersten 40 % der Einkommenspyramide. In der Covid-Hysterie aber überboten sich schon die Republikaner unter Präsident Trump, heute unter Präsident Biden, mit bedingungslos überwiesenen Schecks an alle Haushalte (bis zu einem Paar-Einkommen von 150.000 Dollar), mit zusätzlichen Arbeitslosengeldern, und dazu noch mit Steuergutschriften für Kinder. Die Bedingung der Eigenanstrengung entfiel, und es ist für viele Ökonomen kein Wunder, dass die Arbeitsbeteiligung der Unqualifizierten in den USA derart fiel, dass nun Lastwagenfahrer, Kellner, Hilfskräfte in alarmierendem Maß fehlen.
Mythen: Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn
Dieses Sozialprogramm des EITC ist auch die Antwort auf die unbedachten Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dies wäre über alle Maßen teuer. Statt – wie der EITC – Anreize zur Arbeit zu schaffen, würde es davon abhalten. Unbedachtes Schwadronieren mit diesen Grundeinkommen leistete sich auch der frühere Notenbankchef Bernanke, der es ins Spiel brachte – und dies unter Berufung auf den konservativen Ökonomen Milton Friedman. Doch ausgerechnet Friedman hatte sich gegen das Grundeinkommen gewandt und – lange vor 1975 – ein System wie den EITC empfohlen. Das war gerade in sozialer Hinsicht erfolgreich und hat den US-Arbeitsmarkt deutlich gestärkt.
Manche denken, unter einem EITC könnten die Firmen die Löhne senken, weil ja der Staat dann diesen Zuschuss aufbringt. Doch zu dicht sind allerorts Mindestvorschriften zu Löhnen, Arbeitsbedingungen, sodass der EITC keine Lohnsenkungen veranlasst. Dass Mindestlöhne laufend angehoben werden sollen, ist eher ein Mythos, wie jener des Glückes durch ein Grundeinkommen.
So leben in den USA nur 30 % der Mindestlohnempfänger in tatsächlich armen Haushalten. Der große Teil sind Studenten, gelegentlich arbeitende Frauen, landwirtschaftliche Aushilfen, weiterarbeitende Rentner etc., die sich als Mindestlohnbezüger einfach einen kleinen Zusatzverdienst, nicht aber das tägliche Brot erarbeiten. Mindestlöhne wirken daher als Gießkanne, nicht als gezielte Armutsbekämpfung – der EITC hingegen leistet genau das.
Sozialpolitisch wirksamer und integrativer EITC
Wenn wir schon bei den Mythen sind – der neueste Nobelpreis an den US-Ökonomen David Card soll gemäß den schwedischen Sponsoren seinen Beleg belohnen, dass die Einführung eines Mindestlohns die Beschäftigung nicht senke. Doch die Studie von David Card untersuchte (zusammen mit dem bereits verstorbenen Alan B. Krueger) Fälle in den fernen 80er-Jahren im Restaurantsektor New Jerseys. Das aber sind Stellen, die an Ort gebraucht werden und nicht der Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt sind. Da werden wie immer nur die gefälligen Rosinen herausgepickt, ohne dass man den Text genau lesen würde (wobei diese Studie schon seit langem in der Kritik steht).
Jenseits von solchem Streit aber sind Ökonomen und Forscher in den USA sich einig, dass der EITC Millionen von Haushalten hilft, auf eigenen Füßen zu stehen, dass er Millionen von Menschen Anreize verschafft, mehr zu arbeiten, Arbeit also belohnt, und dass mit seiner Hilfe eine Million Kinder der Kinderarmut entkommen sind.
Der EITC also fördert und belohnt als Sozialprogramm das Arbeiten, er integriert die Menschen in die Gesellschaft. Er wertet die Arbeit nicht ab, wie dies ein Grundeinkommen täte.