Bei Antitrust geht es um mehr als reine Größe
Am Sonntag (19. November 2023) geht es im Podcast um Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung bis hin zum Monopol. Zur Einstimmung einige Artikel, die ich zu dem Thema gelesen habe.
Beginnen wir mit dem Economist, der Kritik an den Kartellwächtern übt:
- „In recent years trustbusters have made no secret of their distaste for big firms and big deals. Lina Khan, the head of America’s Federal Trade Commission (ftc), came to office after saying that the agencies had failed for decades to do enough proper policing. In addition to suing Amazon and Google for abusing their market power, regulators sought to block Microsoft’s $69bn acquisition of Activision Blizzard and are holding up the purchase of Horizon Therapeutics by Amgen, a health-care firm. The activist approach has been mirrored in Europe. Britain’s trustbusters have been conspicuously aggressive, and on July 12th the European Commission slapped a €432m ($480m) fine on Illumina, a biotech giant, for buying Grail, a cancer-screening firm.“ – bto: Ich muss gestehen, dass ich eher gut finde, wenn die Kartellbehörden kritischer vorgehen.
- „And all the while, the obsession with size may have distracted policymakers from tackling genuine hurdles to competition, to the detriment of consumers. In principle trustbusters’ zeal is welcome, because vigorous competition is essential in any free-market economy. After the 1980s, deference to business curbed regulators and courts in America. From the 1990s to the 2010s, the average number of mergers investigated yearly by the Department of Justice fell from 180 to 70. Corporate profits are a sign of market power and, depending on how they are measured, they have been 20-40% higher in the past decade than in the three decades before that. Mergers such as the one between Whirlpool and Maytag in 2006 led to higher prices. The past 20 years have seen nearly 2,000 hospital mergers; on average, prices have risen while the quality of care has stagnated.“ – bto: Ich finde es ein interessantes Zeichen, dass es zu dieser deutlichen Margensteigerung kommt.
- „Yet, (…) bigness need not be bad. The five largest tech firms pay for a quarter of all research and development in America. True, corporate concentration has risen across the decades in both America and much of Europe. But this expansion appears to have been caused mainly by growing economies of scale from technology, not market power.“
- „Moreover dealmaking, even involving big firms, is a vital part of healthy capitalism. Microsoft’s purchase of Activision promises to make gaming more competitive, by developing the nascent subscription and cloud-gaming markets that could challenge the status quo.“ – bto: Das macht es natürlich für die Regulierer nicht leichter.
- „The consequences of regulators’ emphasis on size are starting to be felt. Nearly any deal involving a large tech firm is scrutinised. (…) Although the overall volume of deals has fallen only a little, their average value has shrunk by about 40% this year compared with the past half-decade, suggesting that larger deals are being deterred. Since 2020, the share of deals involving the five largest tech giants has been cut in half.“ – bto: Aber ist das wirklich so schlecht? Es geht um finanzielle Marktmacht ebenso.
- „Two principles should guide the regulators. The first is that size alone should not warrant alarm. Needless scrutiny uses up regulators’ resources and damages their credibility and the morale of their staff. Plenty of industries in America with persistently high profits and low innovation deserve attention, including hospitals and their intermediaries, and credit-card firms.“ – bto: Man muss also mehr Intelligenz bei der Analyse anwenden.
- „The second principle is to acknowledge the limits of antitrust. (…) Firms are being protected by rising barriers to trade. Such things win fewer headlines than targeting blockbuster deals. But tackling them would at least boost competition.“ – bto: … also intelligentere Regulierung.
” Plenty of industries in America with persistently high profits and low innovation deserve attention, including hospitals and their intermediaries, and credit-card firms.”
Kartellrecht sollte immer nur die Grenze sein. Es geht ja hier nicht nur um Monopolbildung, sondern auch um Preissetzungsmacht.
Solange die Preissetzungsmacht nicht durch Absprachen mißbraucht wird, muss dies hingenommen werden. Die Oligopole haben sich eingerichtet. Sie werden natürlich nur dann in einen Preiswettbewerb treten, wenn es für sie vorteilhaft ist. Sehen sie dafür keine Anreize, werden die Preise relativ statisch bleiben, ebenso die Marktanteile. Dies hindert aber Dritte nicht, in den Markt einzutreten.
Mergers & Acquisitions erzeugen Skalenvorteile und auch mit der Größe mehr Preissetzungsmacht.
Zusätzliche Gewinne haben die Konzerne durch die Globalisierung erzielen können, indem Produktionen in Niedriglohnländer ausgelagert wurden. Letzteres entlastet die Kostenseite erheblich und führt damit zu einem Wettbewerbsvorteil.
Daneben treten neue, ungelöste Herausforderungen auf, was IT betrifft. Hier dürfte es aber nicht allein um Größe der Firmen gehen, sondern um Marktmacht, Marktzutritt, Bündelung von System und Apps etc., ein juristisch sehr schwieriges Feld.
Dann taucht die Künstliche Intelligenz auf. Ein rechtliches Neuland. Kritisch vor allem bei Preis-Algorithmen: Was passiert, wenn verschiedene Firmen zur Preisbildung den gleichen Algorithmus verwenden. Entstehen dann indirekte Preisabsprachen, weil das Ergebnis ja in ungefähr gleicher Preissetzung mündet.
In den kommenden Jahren ein spannendes Thema im Feld zwischen Urheberrecht, Wettbewerbsrecht und Kartellrecht. Tech-Mergers werden bestimmt zu neuen Regulierungen führen müssen.
@Gnomae
“Solange die Preissetzungsmacht nicht durch Absprachen mißbraucht wird, muss dies hingenommen werden. Die Oligopole haben sich eingerichtet. Sie werden natürlich nur dann in einen Preiswettbewerb treten, wenn es für sie vorteilhaft ist. Sehen sie dafür keine Anreize, werden die Preise relativ statisch bleiben, ebenso die Marktanteile. Dies hindert aber Dritte nicht, in den Markt einzutreten.”
Für so eine Oligopolisten-Predigt sind amerikanische Krankenhäuser aber ein ganz unpassender Aufhänger. In der Branche funktioniert es in den USA nämlich so, dass die in einer Region schon aktiven Krankenhausbetreiber entscheiden, wo und von wem in der Region ein neues Krankenhaus eröffnet werden darf. Raten Sie mal, nach welchen Gesichtspunkten diese Entscheidungen dann fast immer getroffen werden…
Das wichtigste Grundproblem ist, dass die Tecs, die nun im Wandel von G3 zu G4 raus- bzw. hochkamen (also die heute marktkapitalisierungsstärksten U der Welt), sich durch die ganze Struktur der Realwirtschaft durchfasern, und am Ende auch das Nervensystem, also die Finanzbranche “übernehmen” werden – oder lax gesagt: ohne einen Bezug zu ihnen kann heute keiner mehr irgend etwas produzieren; hier geht es nicht um Wertschöpfungsketten, es geht um Wertschöpfungsvoraussetzungen! So ist es halt, wenn durch das Internet (und man bedenke auch die Vorphase mit Computer bzw. PC seit den 70/80ern) ein neues Verbreitungsmedium f. Komm. auftaucht und damit also die Grundelemente der gesamten Gesellschaft betroffen sind – das ist keine gewöhl. ind. Rev. wie die Dampfmaschine oder so.
Und das kann man mit Wettbewerbsrecht nicht stoppen – das wieder einmal viel zu kurz gedacht bzw. ohne Ahnung, was wirklich vor sich geht. Cleverer wäre ein anderer Weg. Lasst die machen und sich mglst. monopolisieren, um sie am Ende zu verstaatlichen, denn dann können wir Richtung dig. Zentralverwaltungswirtschaft voranschreiten. Ich meine das kommt eh früher oder später, aber warum den Prozess nicht schon mal heuristisch abschätzen und proaktiv framen.. v.a deshalb, weil es bzgl. der Zukunft auch mgl. ist, dass diese U. sowas selbst verhindern werden können, zumindest zeitweise, wie ich nur meine (weil sie von Systemtheorie eben auch nur ansatzweise Ahnung haben; aber eben noch mehr als die meisten anderen Gesellschaftsteilnehmer, quasi zwecks ihres originären Geschäfts, was ihnen, mehr als jedem W.-oder.Sozialwissenschaftler empirisch zeigt (zumindest im Rohmaterial), wie die soziale(psychologische) Realität bzw. Menschen und Gruppen funktionieren!)
>Corporate profits are a sign of market power and, depending on how they are measured, they have been 20-40% higher in the past decade than in the three decades before that.
Das könnte auch (in Teilen) am ganzen Outsourcen inkl. Globalisierung liegen und dass die Corporations ihre Zulieferer “auspressen”. Also Gewinnsteigerung durch Kostenreduktion bei inflationsbereinigt gleichbleibenden Preisen für Konsumenten.
Generell betrachten die “Trustbuster” m.W. auch, ob die Konsolidierung gut oder schlecht für Verbraucher / Märkte ist. Konzentration auf weniger Unternehmen kann auch zu sinkenden Preisen führen, z.B. durch weniger Overhead, höhere Einkaufspower, Standardisierung / Professionalisierung. Hatte hierzu auch mal Beispiele gelesen; erinnere mich aber nicht mehr…
die politik hat sich vom kapital korrumpieren lassen.
die tendenz ist, dass das großkapital (institutionen) schon längere zeit die politik bestimmt;
es gibt nahzu keine großen unterschiede weltweit in der stärke des einflusses.
neben den hauptfehler des schuldgeldsystems, ist es das unbegrenzte größenwachstum von kapitalorganisationen
diese erreichen monopolartige strukturen und erpressen alles, was ihnen im wege steht.
das großkaital hat die medien in der hand und somit alles steuerungsmöglichkeiten fürt, oder gegen die komplette gesellschaften.
dies kann nur geändert werden, wenn demokratisch starke andere wahlergebnisse heraus kommen, oder mit einer
friedlichen revolution durch das volk!
@ foxxly
“das unbegrenzte größenwachstum von kapitalorganisationen”
“Unbegrenztes” Größenwachstum kann es nicht geben. Alle Ressourcen sind endlich.
Wenn damit “unreguliert” gemeint sein sollte, so ist dies nicht zutreffend. Es gibt zu viel Regulierung, in der EU-ohnehin.
Im übrigen existiert “das Großkapital” nicht. Eine Einbildung.
Bitte keine Revolution. Wir benötigen keine Kalifate.
@ gnomae,
es ist für mich unerheblich, wie sie es benennen und wortklauberei betreiben.
beim großkapital stecken immer menschen dahinter, welche nach interessenslage agieren. und die summenbzw. größe, ist ein machsthebel in politik und gesellschaft.
das können sie drehen und negieren, wie sie wollen; ändert aber nichts!
beispielhaft ist zb. bill gates: er spielt seine impfideologie mit seiner (kapital-)macht voll aus.
herr soros schadet mit seiner zuwanderungssponsoring, europa!
ich schätzte bisher ihre intelligenz so ein, dass sie die zusammenhänge, wie ich sie beschreibe, voll kennen
The Economist: “In recent years trustbusters have made no secret of their distaste for big firms and big deals.”
Ein echter Economist-Moment.
Die würden sich auch drüber aufregen, dass das die Ghostbusters öffentlich zeigen, dass sie keine Geister mögen, wenn das irgendwie den finanziellen Interessen der Eigentümer dieses Magazins dienen würde…
@totalConfuser
??? Was ist das denn wieder?
Ein Unternehmer/n muss seine finanziellen Interessen im Auge haben. Sonst Ende.
Droht Ihnen wegen Altruismus ja offenbar auch (siehe unsere Erdgasdiskussion).
@der Economist-Fanboy
Lesen Sie auch unironisch die Artikel aus den Zeitungen der SPD-Mediengruppe um sich “objektiv” über die Innenpolitik in Deutschland zu informieren?
Die sind auch nur Unternehmer, die ihre finanziellen Interessen im Auge haben, wenn auch in einem leicht anders organisierten Konglomerat als es die Familien Agnelli, Cadbury und Rothschild beim “Economist” haben…