Grüne Identität ist schwere Hypothek für rationale Energiepolitik
Der entschiedene Widerstand gegen die Atomkraft ist ein zentrales Gründungsmotiv der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Historisch betrachtet entstand die Partei aus der Verschmelzung zweier Bewegungen, der Neuen Linken der 1960er-Jahre und der Ökologiebewegung der 1970er-Jahre, wie der Würzburger Politikwissenschaftler Dr. Thomas Kestler in seiner Habilitationsschrift erklärt. Besonders die Anti-Atomkraft-Bewegung bildete das ideelle Fundament der Partei. Die Ablehnung der Kernenergie wurde zum identitätsstiftenden Anker und zum integrativen Moment. Auf Parteitagen diente das Thema regelmäßig dazu, Einigkeit herzustellen und die kollektive Identität zu festigen.
Schwere Bürde für die Volkswirtschaft
Die Grünen waren damit durchaus sehr erfolgreich. Sie sind nicht nur fest in der deutschen Parteienlandschaft etabliert und saßen und sitzen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in Regierungen. Sie haben es außerdem geschafft, ihr zentrales Anliegen, den Ausstieg aus der Kernenergie, durchzusetzen. Obwohl es am Ende dann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war, die den von Rot-Grün im Jahr 2000 beschlossenen Atomausstieg aus wahltaktischen Gründen und unter dem Eindruck der Tsunami-Folgen von Fukushima vollzogen hat, nachdem sie ihn erst kurz zuvor rückgängig gemacht hatte.
Was für die Grünen ein Sieg war, entpuppt sich nun zunehmend als schwere Bürde für die deutsche Volkswirtschaft und den Wohlstand im Lande. Hunderte Milliarden Euro an Ausgaben für die Energiewende – genaue Zahlen gibt es nicht, und es war auch aus Sicht der letzten Bundesregierung nicht sinnvoll, diese zu erheben, wie sie auf Anfrage erklärte – haben letztlich nur bewirkt, CO2-freien Atomstrom durch weniger CO2-freien Strom aus erneuerbaren Energien zu ersetzen.
Zugleich führte die Energiewende zur Abhängigkeit von russischem Gas, da nur so die Zeiten der Dunkelflaute – kein Wind weht, und Sonne scheint auch nicht – einigermaßen kostengünstig zu überbrücken waren. Heute bleibt hiesiger Strom aufgrund der Abhängigkeit von Kohle der zweitdreckigste in der EU, und die Strompreise sind zugleich mit die höchsten.
Studien zeigen, dass ein ideales Stromsystem auf die Kombination von erneuerbaren Energien und Kernenergie setzt. So gelingt es, die Stromversorgung klimaneutral zu gestalten und zugleich die Kosten zu senken. Man benötigt weniger Netzinfrastruktur, weniger Speicher und weniger Back-up-Kraftwerke, und die auf den ersten Blick hohen Investitionskosten für Kernkraftwerke relativieren sich mit Blick auf die Gesamtmenge an Energie, die über einen sehr langen Zeitraum gewonnen werden kann – in ersten Ländern wird eine Laufzeit von 100 Jahren angestrebt –, als eben doch nicht so hoch. Es ist also kein Wunder, dass Länder wie Schweden weiter auf einen Anteil Kernenergie im Strommix setzen.
Und was machen wir in Deutschland? Obwohl die Mehrheit der Bürger mittlerweile eine Rolle der Kernenergie befürwortet, findet sich dafür keine Mehrheit im Bundestag. Bei diesem Thema ist wohl die Angst vor dem Mobilisierungspotenzial der Grünen bei Union und SPD zu groß. Ob zu Recht, darf bezweifelt werden. Und selbst wenn: Dass mit Blick auf den Klimawandel die Kernenergie ein wichtiger Bestandteil der Lösung sein kann, wissen auch die grünen Parteien in anderen Ländern. Aufzuzeigen, dass Deutschlands Grüne für einen Alleingang stehen, wäre so gesehen genau richtig.
Die Grüne Partei in Deutschland steht mit ihren Befindlichkeiten in der Energiepolitik für einen internationalen Sonderweg. Für energieintensive Industrien ist diese Politik existenziell, und sie reagieren mit Abwanderung. Künstliche Intelligenz ist ebenfalls energieintensiv, aber sie ist die Zukunft, und zwar ganz abseits von Befindlichkeiten.

