Es tobt ein Wirtschafts­krieg um eine neue Welt­ordnung

Die Welt war überrascht, als Iran und Saudi-Arabien, seit Jahren Erzfeinde, beschlossen, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Kaum jemand hatte mit dieser Annäherung gerechnet, weder im Nahen Osten noch in den USA. Was das Ganze noch bedeutsamer macht, ist die Tatsache, dass es chinesische Diplomatie war, durch die dieser Durchbruch gelang.

Nicht überrascht hat es den Credit-Suisse-Analysten Zoltan Pozsar. In einer Serie von Aufsätzen hatte er schon im vergangenen Jahr aufgezeigt, wie umfassend und strategisch China seit Jahren an einer neuen Weltordnung arbeitet.

Dabei sicherte sich China zunächst den Zugriff auf Energie und Rohstoffe. Im Gegenzug für Milliardeninvestitionen liefert der Iran Öl an China deutlich unter Weltmarktpreis, ebenso wie Russland und Venezuela. Zusammen stehen die drei Länder immerhin für rund 40 Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölreserven.

Saudi-Arabien wird künftig sein Öl gegen die chinesische Währung Renminbi verkaufen. Im Gegenzug baut China im Königreich Industrien und Raffineriekapazitäten. Die anderen Staaten am Golf dürften dem saudischen Vorbild folgen. Da sie nicht wie Russland oder Venezuela mit Sanktionen belegt sind, verkaufen sie das Öl zu Marktpreisen, aber eben nicht mehr gegen Dollar, die sie dann im Westen anlegen, sondern gegen Investitionen Chinas.

Damit verbunden ist der Wunsch Chinas, eine Gruppe von Staaten um sich zu scharen, die der westlichen Weltordnung skeptisch gegenüberstehen. Neben den bereits genannten Ländern sind das vor allem Brasilien, Argentinien, Indonesien, aber auch Indien, um nur einige zu nennen. Afrika steht schon lange unter russischem und chinesischem Einfluss.

Viele Länder wollen sich vom US-Dollar lösen

Ziel ist es, einen Block zu bilden, der miteinander handelt und dabei den US-Dollar meidet. Dazu passt das sogenannte mBridge-Projekt, ein internationales Zahlungssystem basierend auf digitalem Zentralbankgeld unter chinesischer Führung. Es soll die direkte Abwicklung von Zahlungen zwischen Ländern ohne den bisher üblichen Umweg über den US-Dollar ermöglichen.

Durch die Sanktionen gegen die russische Notenbank haben die Bemühungen vieler Länder, sich vom US-Dollar zu lösen, zusätzlichen Auftrieb bekommen. Viele Regierungen fürchten, sie könnten eines Tages ähnlich sanktioniert werden und wollen sich daher vorsorglich vom US-Dollar unabhängig machen. Denn die Sanktionsmacht der US-Regierung fußt darauf, dass sie anderen Ländern den Zugang zum dollarbasierten Zahlungsverkehr abschneiden kann.

Für Pozsar sind dies Elemente eines Wirtschaftskrieges zwischen den Blöcken einer neuen Weltordnung mit erheblichen Folgen. Der Westen muss sich demnach auf dauerhaft hohe Rohstoffpreise einstellen, nicht nur für Energie. Bestrebungen Indonesiens zur Errichtung eines Lithium-Kartells ähnlich dem Erdölkartell OPEC unterstreichen dies. Die Inflation in den westlichen Ländern wird sich deshalb, so die These, als hartnäckig erweisen.

Zudem muss der Westen in großem Umfang in die Ausstattung des Militärs und in die Rückgewinnung strategischer Autonomie bei wichtigen Technologien wie Chips und den Umbau der Energieversorgung investieren. Dies treibt die Nachfrage nach Kapital, zu deren Befriedigung die Staaten aus dem chinesischen Lager nicht mehr als Finanziers zur Verfügung stehen.

Zinsen dürften länger höher bleiben

In der Folge dürften die Zinsen steigen. Pozsars prognostiziert, dass dies die Notenbanken dazu bringen werde, die Geldpolitik am Ziel einer Dämpfung der Zinsen auf Staatsanleihen auszurichten, wie das die japanische Notenbank bereits seit einigen Jahren tut.

Aus meiner Sicht dürften die Zinsen dennoch länger höher bleiben als von vielen erwartet. Sie könnten die Achillesferse des Westens treffen: Verschuldung und Vermögenspreise, die sich nach Jahrzehnten der Politik des billigen Geldes auf Rekordniveau befinden.

Die Turbulenzen an den Finanzmärkten in den vergangenen Wochen, in deren Strudel ausgerechnet Pozsars Arbeitgeber Credit Suisse geraten ist, geben einen Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Jahren bevorsteht. Sind die Notenbanken gezwungen, erneut zugunsten der Finanzstabilität zu intervenieren, dürfte das die Inflation zusätzlich befeuern.

Der russische Revolutionsführer Wladimir Lenin soll gesagt haben: „Der beste Weg, das kapitalistische System zu destabilisieren, ist, die Währung zu entwerten.“ Gut möglich, dass China und Co. sich daran erinnern.

→ handelsblatt.com: “Es tobt ein Wirtschaftskrieg um eine neue Weltordnung”, 2. April 2023