Deutschland droht den Anschluss zu verlieren
Deutschlands Erwerbsbevölkerung steht vor einer massiven Schrumpfung. Die scheidende Bundesregierung schätzt in ihrem letzten Jahreswirtschaftsbericht das Potenzialwachstum deshalb nur noch auf 0,5 Prozent jährlich. Massive Verteilungskonflikte sind in der alternden Gesellschaft vorprogrammiert.
Hoffnung läge in deutlichen Produktivitätsfortschritten. Die Unternehmensberatung McKinsey zeigt in einer aktuellen Studie, wie deutlich die Steigerung ausfallen müsste: Unter der Annahme, dass die Zahl der pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden im gleichen Tempo wächst wie im letzten Vierteljahrhundert, müsste sich das durchschnittliche jährliche Produktivitätswachstum von 0,7 Prozent im letzten Jahrzehnt künftig auf 1,5 Prozent erhöhen und damit mehr als verdoppeln.
Eine echte Herkulesaufgabe. Die anzugehen sich aber lohnt, sind Produktivitätsfortschritte doch der Weg mit den geringsten gesellschaftlichen und politischen Schmerzen. McKinsey rechnet vor, dass man es auch mit einer massiven Erhöhung der Arbeitszeiten versuchen könnte. Diese Möglichkeit durchzusetzen, ist schwer vorstellbar in einer Gesellschaft, die ernsthaft die Viertagewoche diskutiert.
Dass eine deutliche Steigerung der Produktivitätsfortschritte möglich ist, machen die USA seit Jahren vor. Studien erhoffen sich beispielsweise einen Produktivitätszuwachs von bis zu 40 Prozent durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Der technologische Fortschritt bei Automatisierung und KI wäre natürlich auch in Deutschland und Europa nutzbar. Allerdings müssten wir dazu dringend an verschiedenen Hebeln arbeiten.
Da ist zum einen der strukturelle Rückstand bei der Digitalisierung. Im Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission belegt Deutschland nur Platz 13 von 27 EU-Ländern. Besonders besorgniserregend ist unser Rückstand bei der Integration digitaler Technologien in Unternehmen, wo wir nur auf Platz 18 liegen.
Zum anderen wäre da der signifikante Kostennachteil bei der Energie. KI-Systeme, insbesondere das Training von Modellen, sind energieintensiv. Mit einem der höchsten Industriestrompreise der Welt ist Deutschland als Standort für KI denkbar ungeeignet. Unternehmen, die auf KI setzen wollen, werden eher nach Frankreich oder in die USA ausweichen.
Beides ließe sich jedoch ändern. In der Energiepolitik müsste das Ziel sicherer und vor allem billiger Energieversorgung in den Mittelpunkt treten. Bei der Digitalisierung brauchen wir endlich mehr echtes Handeln und nicht nur ein Extra-Ministerium. Ein deutlich schnellerer Ausbau von Glasfasernetzen und 5G ist dabei nicht mehr als eine Grundvoraussetzung. Wenn wir nicht nur die vor allem in den USA entwickelte KI anwenden wollen, dann müssen die Ausgaben für die KI-Forschung deutlich erhöht werden.
Die scheidende Bundesregierung hat zwar rund 2,5 Milliarden Euro in den letzten Jahren für KI zur Verfügung gestellt, aber im Vergleich zu den 91 Milliarden Dollar, die China und den 300 Milliarden Dollar, die die USA laut OECD bis 2030 investieren wollen, ist das zu wenig. Dies gilt auch für die Förderung von KI-Start-ups. Der Rückstand wird noch größer werden, hat doch der neue US-Präsident Donald Trump direkt nach Amtsübernahme die Forschung an KI dereguliert und Investitionen von 500 Milliarden Dollar innerhalb von vier Jahren für KI-Infrastruktur bekannt gegeben.
Von grundlegender Bedeutung ist die Modernisierung unseres Bildungssystems. Schulen und Universitäten müssen Programme für KI und MINT-Fächer massiv ausbauen, und bereits in Grundschulen müssen digitale und KI-bezogene Kompetenzen vermittelt werden. Länder wie Estland machen das seit Jahren vor. Gleichzeitig ist es nötig, dass Arbeitnehmer durch Weiterbildungsprogramme fit für die KI-Zukunft gemacht werden.
Dies alles ist nicht neu. Umso schlimmer ist, dass Deutschland angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, seit Jahren die Probleme analysiert, aber nicht zum Handeln kommt. Auf keinen Fall dürfen wir so weitermachen wie bisher. Dass es mehr als 20 Jahre gedauert hat, eine digitale Patientenakte zu entwickeln, gibt allerdings wenig Anlass zur Hoffnung.