Abgeordnete brauchen mehr Wirtschaftskompetenz
Wer kennt die Kritik nicht? Führende Politiker haben keine abgeschlossene Berufsausbildung oder verfügen nicht über persönliche Erfahrung außerhalb des Politikbetriebs. Das zeigt sich auch am Bundestag: 30 Prozent der Abgeordneten stammen aus dem öffentlichen Dienst, immerhin 17 Prozent haben zuvor für Parteien und gesellschaftliche Organisationen gearbeitet.
42 Prozent haben zwar Erfahrungen in der Privatwirtschaft, diese aber überwiegend als Rechtsanwälte gesammelt. Unternehmer sind hingegen mit 1,4 Prozent Mangelware.
Es ist kein böses Vorurteil, wenn man annimmt, dass etwas Erfahrung außerhalb des Politikbetriebs das Verständnis für die Wirtschaft und damit die Schwierigkeit des Erwirtschaftens von Wohlstand schärft und damit zu besseren Entscheidungen führen kann.
Eine Studie von Patricia A. Kirkland von der Universität Princeton hat beispielsweise gezeigt, dass Bürgermeister, die zuvor Unternehmen geführt haben, mehr in die Infrastruktur investieren und gleichzeitig die Umverteilungsausgaben kürzen. Natürlich kann man nicht daraus schließen, dass umgekehrt Politiker mit Hintergrund in der Wirtschaft immer die besseren Politiker sind – man denke nur an Donald Trump.
Die politischen Parteien haben laut Grundgesetz die Funktion, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, und müssen laut Parteiengesetz „zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden“. Diese Aufgabe ist umso wichtiger, je geringer die Durchlässigkeit des politischen Betriebs für Quereinsteiger aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem der Wirtschaft, ist.
Gerade in Deutschland müssten die Parteien deshalb besonders auf die Qualifikation ihrer Führungskräfte achten. Die Wähler haben mit ihrer entscheidenden Zweitstimme bei Bundestagswahlen keinen Einfluss auf die Kandidaten. Sie können sich nur für die von den Parteien auf deren Listen präsentierten Kandidaten in der vorgegebenen Reihenfolge entscheiden. Innerhalb der Parteien liegt deren Nominierung faktisch in der Hand sehr kleiner Zirkel.
Kampf um Geld und Positionen
In Kombination mit enormen finanziellen Anreizen – außerhalb des Politikbetriebs dürften die wenigsten ähnlich hohe Einkommen erzielen – führt dies dazu, dass es zu einem kompromisslosen Kampf um Geld und Positionen kommt, wie der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim bereits vor Jahren feststellte.
Folgt man Berufsportalen, sind neben Allgemeinbildung eine gute Ausdrucksweise, eine charismatische Ausstrahlung und Durchsetzungsfähigkeit die Voraussetzungen für einen Erfolg in der Politik. Vor allem erfordert die politische Karriere wohl noch mehr als die Karriere in Unternehmen einen enormen Zeiteinsatz.
Wer es geschafft hat, sich so im innerparteilichen Wettkampf durchzusetzen, ist wenig geneigt, Platz für Quereinsteiger zu machen. Die Folge: Das politische System wird selbstreferenziell und hat immer weniger echten Bezug zur Außenwelt.
Im bestehenden System wird es den Parteien nicht gelingen, diese Entwicklung umzukehren. Vielmehr spricht alles dafür, dass sich der Trend der vergangenen Jahrzehnte fortsetzt.
Was wäre zu tun? Zu wünschen wäre eine Mindest-Berufserfahrung außerhalb von Parteien und gesellschaftlichen Organisationen für angehende Abgeordnete. Ebenso wichtig wäre eine Begrenzung der Anzahl an Legislaturperioden, in denen man in seinem Leben Abgeordneter sein kann, auf maximal drei.
Damit wäre von Anfang an klar: Politik ist eine Berufung, aber kein Beruf. Angehende Politiker würden im Eigeninteresse einen Beruf erlernen – für die Zeit nach dem Amt. Dass dann auch noch bessere Politik dabei herauskäme, ist mehr als nur ein erhoffter Nebeneffekt.
→ handelsblatt.com: „Abgeordnete brauchen mehr Wirtschaftskompetenz“, 9. Juni 2024