In die Offensive gehen
Im Jahr 2010 erschien das Buch “Accelerating out of the Great Recession” von meinem Kollegen David Rhodes und mir. Es wurde mit dem “Get Abstract International Book Award” ausgezeichnet und erschien 2011 unter dem deutschen Titel “Nach der Krise ist vor dem Aufschwung”:
→ “Nach der Krise ist vor dem Aufschwung”
Angesichts der wohl größten ökonomischen Krise seit der Weltwirtschaftskrise, dachte ich mir, ich veröffentliche ab sofort Auszüge aus dem Buch auf bto.
Vorletzte Woche Teil 1: → “Selbst in schwersten Zeiten …”
Letzte Woche Teil 2: → “Die Verteidigung zuerst”
Heute die Fortsetzung:
Im Fußball baut der Sieg oft auf einer starken Abwehr auf. Doch ohne effektive Angriffsstrategie kann keine Mannschaft eine erfolgreiche Saison spielen. Das Gleiche gilt in der Wirtschaft. Frühes, entschlossenes Handeln zur Sicherung der finanziellen und geschäftlichen Grundlagen bildet das Fundament für künftigen Erfolg. Doch erst eine Offensivstrategie kann das Unternehmen in einem hart umkämpften, kaum wachsenden Markt voranbringen. Eine solche Strategie umfasst sechs Elemente:
1. Den Fokus auf Innovation legen
2. Von Veränderungen im Umfeld profitieren
3. Marketing und Werbung intensivieren
4. Wettbewerber angreifen
5. In die Zukunft investieren
6. Neue Spielregeln durchsetzen
Den Fokus auf Innovation legen
Innovation – das zeigt die Geschichte – ist die treibende Kraft hinter neuen Wachstumsperioden. Kondratieffs Theorie der langen Wellen der Konjunktur und die hinter den bisherigen Wellen stehenden neuen Industrien haben wir in Kapitel 3 vorgestellt. Selbst wenn man die Theorie der Kondratieff-Wellen ablehnt – in der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre gibt es vielfältige Beispiele dafür, dass Innovation über Wohl und Wehe von Unternehmen entscheiden kann.
Am Beispiel IBM lässt sich das veranschaulichen. Das Unternehmen hat während der Großen Depression Forschung und Entwicklung effektiv miteinander verbunden, technische Fertigkeiten aufgebaut und geschickt auf die veränderten Kundenwünsche und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagiert. Die kleine, aber wachsende Büromaschinenbranche wurde von der Weltwirtschaftskrise mit am härtesten getroffen: Zwischen 1929 und 1932 sank ihre Produktion um 60 Prozent. Viele Unternehmen gingen in Konkurs, die wenigen Überlebenden senkten ihre Kosten radikal.
IBM war damals eines der kleineren Unternehmen und weniger schwer betroffen als die größeren Rivalen. Statt Produktionskapazitäten abzubauen, beschloss es, die eigene Position durch deren Erhalt zu verbessern und mehr Geld in die Innovation zu stecken.
Hinter diesen kühnen Entscheidungen stand die Überzeugung des Präsidenten von IBM, Thomas J. Watson, dass die Branche gewaltiges Wachstumspotenzial hatte. 1929 waren erst 5 Prozent der Buchungsvorgänge automatisiert. Der IBM-Chef glaubte fest daran, dass deren maschinelle Bearbeitung wegen der wachsenden Komplexität der Unternehmensfunktionen eines Tages unerlässlich sein würde. Und er erkannte, dass die von der Krise geschwächten Unternehmen Personalkosten sparen wollten und sich daher der Automatisierung zuwenden würden.
Als die Nachfrage Ende 1929 fiel und die Wettbewerber kürzertraten, beschleunigte IBM die Entwicklung einer hochmodernen Buchungsmaschine und brachte das erste Gerät Anfang 1930 auf den Markt. Das Interesse war groß, der Umsatz gering – die Maschine war zu teuer. IBM korrigierte das rasch, bereits 1931 folgte ein kleineres, preiswerteres Modell. Es sprach Stammkunden an, die sehr preisbewusst geworden waren, und das Unternehmen gewann neue Kunden, hauptsächlich Firmen, für die die großen IBM-Maschinen nicht geeignet waren. IBM bot zudem verstärkt Leasing an, um die finanzielle Belastung für die Kunden zu verringern. Damit wurden auch Unternehmen erreicht, die nicht genug Kapital hatten, um den vollen Preis für die Maschinen auf einen Schlag zu entrichten.
Ab 1932 investierte IBM 6 Prozent der Einnahmen in Forschung und Entwicklung. Um diese Investition bestmöglich zu nutzen, baute der Büromaschinenhersteller ein eigenes Forschungszentrum – das erste seiner Art – und wurde damit zum Vorreiter für andere Unternehmen. Die Forschungsstätte wurde direkt neben dem Fabrikgelände in Endicott, New York, errichtet. Die räumliche Nähe erleichterte den Ideenaustausch innerhalb des F&E-Teams sowie zwischen F & E und Produktion. Der Auftrag an Wissenschaftler und Ingenieure lautete: Konzentriert euch auf praktische Anwendungen, nicht auf reine Forschung.
Die Investition machte sich rasch bezahlt: In den 1930er-Jahren brachte IBM drei Mal so viele neue Produkte auf den Markt wie im Jahrzehnt zuvor.
Vor allem in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre erwiesen sich Watsons Geschäftssinn und sein Verständnis für das Potenzial von Büromaschinen als ungewöhnlich hellsichtig; der Umsatz von IBM explodierte fast. Im Rahmen des New Deal wurden ab 1933 große Regierungsprogramme aufgelegt. Diese Projekte erforderten häufig leistungsstarke Büromaschinen, mit deren Hilfe sich die Verwendung der gewaltigen Summen öffentlicher Gelder nachverfolgen ließ. Die innovativen Produkte von IBM kamen zur richtigen Zeit; das Unternehmen konnte zahlreiche lukrative Verträge mit dem Staat abschließen.
Während des gesamten Jahrzehnts brummten Watsons Fabriken, die Belegschaft konnte gehalten werden, Nachfrage und Umsatz wuchsen. Ging die Nachfrage doch einmal zurück, produzierte IBM auf Halde – Watson glaubte an die Unentbehrlichkeit seiner Büromaschinen. (Zwischen 1929 und 1932 steigerte IBM die Produktionskapazitäten um ein Drittel.) Und er band gute Mitarbeiter mit einer Reihe von Zusatzleistungen an das Unternehmen. IBM gehörte zu den Ersten, die für die Beschäftigten Gruppenlebensversicherungen abschlossen (1934) sowie Hinterbliebenenbezüge (1935) und bezahlten Urlaub (1937) gewährten.
Die Entscheidungen, die in den 1930er-Jahren bei IBM getroffen wurden, verschafften dem Büromaschinenhersteller einen entscheidenden, dauerhaften Vorteil gegenüber den Wettbewerbern. Die Umsätze verdoppelten sich zwischen 1928 und 1938, während die der Branche insgesamt um 2 Prozent zurückgingen. IBM sprang vom vierten auf den zweiten Platz, und der damalige Branchenprimus Remington Rand ist heute so gut wie vergessen.
Watson nutzte die relative Finanzstärke des Unternehmens zum Ausbau der Kapazität und zur Verbesserung der technischen Fertigkeiten, während andere einfach nur Kosten abbauten. Nach dem Ölpreisschock 1973/74 und während der 1990er-Jahre in Japan hatten viele Unternehmen mit einer ähnlichen Strategie Erfolg – und der Ansatz hat bis heute nichts von seiner Relevanz verloren.
F & E und beschleunigte Produktentwicklung
Während der Weltwirtschaftskrise gingen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung stark zurück. In unseren Untersuchungen konnten wir jedoch ein immer wiederkehrendes Muster feststellen: Unternehmen wie IBM, die auf kontinuierliche Forschung und Entwicklung setzten, sichern sich nachhaltige Vorteile. Tatsächlich erweisen sich Investitionen in Zeiten des Abschwungs oft als wertvoller, weil die raren Ressourcen weniger stark umkämpft und damit preiswerter und leichter verfügbar sind. Ein Unternehmen einzuholen, das in Krisenzeiten weiter in die Produktentwicklung investiert hat, ist extrem schwierig.
In den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise genoss die chemische Industrie in den USA eine erfolgreiche Zeit voller Innovationen. Der Erfolg begleitete die Branche noch durch die 1930er-Jahre, trotz heftiger Umsatzrückgänge blieben die Chemieunternehmen in der Gewinnzone. Doch ein Unternehmen überflügelte alle anderen: DuPont. Seine Gewinne stiegen zwischen 1929 und 1937 um 60 Prozent, im selben Zeitraum kletterte DuPonts Anteil am Branchengewinn von 20 auf 32 Prozent. Während der Weltwirtschaftskrise senkte DuPont nur in einem einzigen Jahr seinen Forschungsetat, insgesamt stiegen die Ausgaben für diesen Bereich zwischen 1930 und 1939 um 93 Prozent. Statt nach dem üblichen Krisenmuster bei Forschung und Entwicklung zu sparen, expandierte DuPont, weil es sich mit höheren Investitionen in diesem Bereich einen Abstand zu den Konkurrenten sichern wollte. Die Ressourcen wurden nicht gekappt, sondern vor allem gezielter eingesetzt; das heißt, die verfügbaren Mittel flossen in Projekte, die in kurzer Zeit vermarktbare Produkte versprachen. Diese entschlossene Förderung kurzer Entwicklungszyklen und die Bevorzugung von Investitionen, die eine rasche Amortisierung versprechen, sind für viele erfolgreiche Neuerer in schwierigen Zeiten typisch.
DuPont verstand den Abschwung als Chance: Das Unternehmen unterzog seine F&E-Abteilung einer kritischen Prüfung, eliminierte alles, was wenig Erfolgsaussichten verhieß, und teilte die frei werdenden Mittel Projekten mit mehr Potenzial zu. Die Forschung im Bereich Ammoniak wurde eingestellt und die Gelder in die Entwicklung von Nylon umgeleitet. Dies ermöglichte unter anderem die Markteinführung von Neopren (1931) und Nylon (1939), zwei Produkte, die über Jahrzehnte extrem erfolgreich waren und DuPont Pioniervorteile verschafften.
Auch in Japan wurden während des „verlorenen Jahrzehnts“ die F&E-Budgets zusammengestrichen. Shin-Etsu Chemical hingegen nutzte den Abschwung 2001, um sich die Führungsrolle in einer neuen Technologie zu sichern.
Ende 2000 erkannte Shin-Etsus CEO Chihiro Kanagawa, dass der Trend in der Halbleiterindustrie zu großen Wafern ging: Damals wurden Wafer von 200 Millimeter Durchmesser verwendet, aber neuere Forschungen ergaben, dass sich mit 300-Millimeter-Wafern deutlich billiger produzieren ließ. Einziger Wermutstropfen: Um diese Einsparungen zu realisieren, musste zunächst kräftig in Technologie und Produktionsstätten investiert werden.
Da die Krise im Jahr 2000 die Technologiebranche besonders hart traf, schreckten die japanischen Wafer-Hersteller vor diesen hohen Investitionskosten zurück. Kanagawa jedoch war von dem langfristigen Sparpotenzial der größeren Platten überzeugt, und das Unternehmen besaß die Finanzreserven, die für eine solche Investition notwendig waren. Der CEO wollte zudem den Vorteil der Vorreiterrolle bei einer neuen Technologie nutzen, in der er den künftigen Branchenstandard sah.
Er ging also das kalkulierte Risiko ein und gab Gas: Als erstes Unternehmen baute Shin-Etsu für 700 Millionen Dollar Produktionsanlagen für 300-Millimeter-Siliziumwafer. Damit hatte das Unternehmen ein Jahr Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern, die erst reagierten, als die Nachfrage spürbar anzog. Der frühe Start war ausschlaggebend. Durch die Anpassung der Produktion an die Bedürfnisse der Halbleiterindustrie gewann Shin-Etsu erhebliche Marktanteile. 2004 bediente das Unternehmen fast 50 Prozent des rasch wachsenden Marktes und wurde Marktführer.
Nitto Denko, ein Hersteller von Chemie- und Elektrokomponenten, verfolgte in den 1990er Jahren eine ähnlich aggressive Strategie. Zwischen 1994 und 2003 brachte das Unternehmen eine Reihe von Innovationen auf den Markt, sodass der Anteil der Einnahmen aus neuen Produkten von 28 auf 46 Prozent stieg.
Die Strategie ruhte auf drei Säulen. Erstens nutzte Nitto Denko vorhandene Fertigungsanlagen für die neuen Produkte und rüstete beispielsweise Maschinen, mit denen Isolierband hergestellt worden war, für die Produktion von Paketband um. Zweitens passte es vorhandene Produkte an die Bedürfnisse neuer Kunden und neuer Verwendungsweisen an. So entwickelte das Unternehmen eine Schutzfolie, die speziell für den Transport von Neuwagen für die Automobilindustrie entwickelt worden war, zu einer Folie weiter, mit der sich sämtliche Glas- und Metallprodukte schützen ließen. Drittens verkaufte Nitto Denko vorhandene Produkte in neue Märkte. Zum Beispiel gewann das Unternehmen, nachdem es die Schutzfolien für alle Produkte entwickelt hatte, die Hersteller von Siliziumwafern als Kunden dafür.
Es zeigte sich, dass die Strategie positive Nebenwirkungen hatte. Nitto Denko lernte viel über Kunden und andere Märkte, und diese Informationen erlaubten wiederum eine Expansion in weitere lukrative Nischenprodukte und Nachbarmärkte.
Der Erfolg von Nitto Denko beruhte auf der Strategie, Nischenmärkte mit rund 10 Millionen Dollar Umsatz zu besetzen oder zu schaffen und in ihnen die Marktführerschaft anzustreben. Dafür siedelte das Unternehmen F&E-Abteilungen direkt in den jeweiligen Geschäftsbereichen an und ließ den einzelnen Einheiten bei der Produktentwicklung freie Hand. 1994 hatte Nitto Denko 16 Geschäftsbereiche; jeder bestand aus Forschung und Entwicklung, Herstellung und Vertrieb.
IBM, DuPont, Shin-Etsu, Nitto Denko – für sie alle hat sich der Mut, in schwierigen Zeiten massiv in Innovationen zu investieren, ausgezahlt und ihnen für die Phase danach eine hervorragende Ausgangsposition gesichert.
Von Veränderungen im Umfeld profitieren
Die drei Rezessionen, die wir untersucht haben, wurden von großen Umbrüchen in der Politik, im Verbraucherverhalten, in der Risikoneigung und der Branchenstruktur begleitet. Besonders erfolgreiche Unternehmen erkannten diese Veränderungen früh, sie passten ihr Geschäftsmodell den neuen Verhältnissen an oder entwickelten Produkte, mit denen sie von den Chancen, die diese Veränderungen boten, profitieren konnten. Heutige Unternehmen können einiges von ihnen lernen.
Verändertes Verbraucherverhalten und neue Einstellungen
Die wissenschaftliche Marktforschung, die während der Weltwirtschaftskrise entstand, hat das Verständnis der Konsumgüterindustrie dafür, wie Verbraucher die Produkte wahrnehmen und nutzen, sehr vertieft. Procter & Gamble beispielsweise ist mit Waschmitteln groß geworden, aber der Erfolg geht keineswegs nur auf technische Durchbrüche zurück (auch wenn diese eine wichtige Rolle spielten), sondern auch auf die Marktforschungsmethoden, die P&G in den 1930er-Jahren entwickelte.
Das Unternehmen schickte beispielsweise Frauen mit Collegeabschluss von Tür zu Tür, um Hausfrauen – die Hauptzielgruppe von Procter & Gamble – nach ihren Ansichten über Haushaltsprodukte zu befragen. Diese und andere Marktbeobachtungen waren so nützlich, dass P&G das Budget der Marktforschungsabteilung zwischen 1930 und 1942 mehr als vervierfachte – trotz der schwierigen Wirtschaftslage.
Heute ist Marktforschung selbstverständlich. Doch immer noch gibt es nur wenige Unternehmen, die in schlechten Zeiten so viel Geld für diesen Bereich aufwenden wie Procter & Gamble während der Weltwirtschaftskrise. Wenn Manager sparen wollen, fällt die Marktforschung genauso schnell dem Rotstift zum Opfer wie Forschung und Entwicklung. Doch wer seine Kunden nicht versteht, wer die großen krisenbedingten Umbrüche in ihren Einstellungen verpasst, kann gegenüber Konkurrenten ins Hintertreffen geraten, die sich bei der Entwicklung neuer Produkte an den Veränderungen von Bedürfnissen und Verhalten der Verbraucher orientieren.
1977 – in einem Jahr, als die Inflation im zweistelligen Bereich lag – führte Kimberly-Clark nach einer großen Konsumentenbefragung die Windelmarke Huggies ein. Aufgrund der Marktforschungsergebnisse wurden die Windeln völlig neu konzipiert: eng dem Körper des Babys angepasst, mit neuen elastischen Materialien, Befestigungsbändern, die sich leicht lösen und korrigieren ließen, besonders saugfähig. Um die höheren Produktionskosten aufzufangen, waren die neuen Windeln 30 Prozent teurer als herkömmliche – keine günstige Startvoraussetzung für ein neues Produkt, erst recht nicht in einem inflationären Umfeld. Doch die Qualität setzte sich durch: Drei Jahre nach ihrer Einführung, 1980, lag der Marktanteil der Huggies bei 7 Prozent, 1983 bei 18 Prozent, und nur zwei Jahre später waren sie Marktführer. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte: Verbraucher bezahlen den Aufpreis für ein Produkt, das ihre Bedürfnisse genau erfüllt – selbst in harten Zeiten.
Wenn Unternehmen verstehen, wie Verbraucher auf einen längeren Abschwung reagieren, beschränken sie sich manchmal nicht auf die Entwicklung neuer Produkte, sondern ändern sogar ihr Geschäftsmodell. Hätte Kimberly-Clark nicht laufend das Verbraucherverhalten und die Konsumeinstellung verfolgt, wäre die Marke Huggies wahrscheinlich nicht so erfolgreich geworden.
Ähnlichen Nutzen brachte die Anpassung an Verbrauchergewohnheiten auch im Japan der 1990er-Jahre. In dieser schwierigen Zeit, dem „verlorenen Jahrzehnt“, ging der Trend zu Discountern und Supermärkten. Die Kunden waren knapp bei Kasse und kauften, was sie brauchten, so billig wie möglich; dabei bevorzugten sie Eigenmarken gegenüber Markenartikeln.
Seven-Eleven Japan ist die größte Supermarktkette des Landes (dem Inhaber gehört übrigens auch der US-Ableger 7-Eleven) und war für diesen Trend gut aufgestellt. Angesichts der veränderten Nachfrage investierte der Einzelhändler in neue Eigenmarken. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Herstellern entwickelte Seven-Eleven eine Cola-Eigenmarke, die 25 Prozent billiger als Coca-Cola angeboten wurde, sowie eine um 20 Prozent billigere Bier-Eigenmarke. Das Unternehmen nutzte seinen Einfluss auf die Hersteller und überzeugte sie, Eigenmarkenprodukte mit höherer Gewinnspanne zu entwickeln. Die Hersteller, die um ihre Regalfläche fürchteten, ließen sich widerstrebend darauf ein. So konnte Seven-Eleven weitere Marktanteile gewinnen und seinen Platz als Marktführer in einer der wenigen Branchen mit stetigen Zuwächsen während der 1990er-Jahre festigen.
Asahi Breweries nutzte den Trend zu Großeinkäufen beim Discounter auf seine Weise. Die Brauerei wollte Marktanteile gewinnen, erkannte aber rasch, dass dies auf traditionellen Vertriebswegen kaum möglich war. Spirituosenläden etwa waren fest in der Hand alteingesessener Konkurrenten. Asahi konzentrierte sich daher auf Discounter und Supermärkte. Dieses Marktsegment war Anfang der 1990er Jahre zwar klein, Asahi glaubte aber an dessen Expansion. Und die Konkurrenz um die Regalmeter war nicht so stark.
Asahi hatte auf das richtige Pferd gesetzt, wuchs schneller, als es der Brauerei auf den herkömmlichen Vertriebswegen möglich gewesen wäre – und profitierte von der hartnäckigen Ignoranz, mit der seine großen Wettbewerber den Aufstieg der Discounter lange Zeit verschliefen. Erst 1996 richtete einer von ihnen die Aufmerksamkeit auf die Billigmärkte – nachdem er erhebliche Marktanteile an Asahi verloren hatte. Asahis gut getimter Schachzug führte das Unternehmen schließlich an die Spitze und zur Marktführerschaft.
Der Trend zu Eigenmarken ist bis heute ungebrochen. Lidl und Aldi wachsen, auch andere Einzelhandelsketten reservieren ihren Eigenmarken immer größere Regalflächen, und die Hersteller erweitern ihre Produktlinien am unteren Ende der Preisspanne.
Staatliche Interventionen
Während der Weltwirtschaftskrise entstanden durch die wachsende Rolle des Staates für einige Unternehmen außergewöhnliche Chancen. Sowohl General Electric als auch IBM verstanden es, diese Möglichkeiten zu nutzen.
Die Weltwirtschaft ist heute nicht so geschwächt wie 1932. Trotzdem werden Regierungsprogramme auch in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Erholung spielen – und vielen Unternehmen beträchtliche Chancen bieten. Die Größenordnungen sind dabei noch höher als während der Weltwirtschaftskrise: Wie wir bereits an anderer Stelle erwähnten, wurden weltweit ca. 2,5 Millionen US-Dollar zur Nachfragestimulierung in der Realwirtschaft zur Verfügung gestellt.
Der staatliche Anteil an der Wirtschaft ist heute insgesamt größer. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise lag der Anteil der US-Regierung am Bruttoinlandsprodukt unter 10 Prozent, um während der Großen Depression auf 15 Prozent zu steigen. 2008 betrug dieser Anteil bereits fast 20 Prozent, und im Lauf der nächsten Jahre wird er zweifellos weiter wachsen.
Die Programme zur Stimulierung der Wirtschaft sind gezielt auf bestimmte Branchen gerichtet, darunter Gesundheitswesen, Infrastruktur, Umwelttechnik und Bildung. Die Wirkung der Maßnahmen wird jedoch über die Grenzen dieser Branchen hinaus zu spüren sein und die Nachfrage in Zulieferbereichen erhöhen.
Zwei der über Jahrzehnte stärksten Unternehmen – General Electric und IBM – gehörten während der Weltwirtschaftskrise zu den Nutznießern der Ankurbelungsprogramme. Vor der Großen Depression verfolgte die Regierung unter Präsident Hoover eine Wirtschaftspolitik, bei der sich der Staat möglichst wenig einmischte. 1932 wurde dann Franklin D. Roosevelt gewählt und mit ihm eine demokratische Mehrheit im Kongress. Roosevelt hatte im Wahlkampf eine Erholung der Wirtschaft durch staatliche Interventionen versprochen. Seine Regierung gab das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts auf und mobilisierte für den seinerzeit historisch beispiellosen Stimulierungsplan nach heutigem Wert rund 500 Milliarden Dollar. Im Verhältnis zu den damaligen Wirtschaftsdaten war das eine enorme Summe – der Anteil des New Deal am Bruttoinlandsprodukt der USA lag während dreier Jahre bei rund 16,5 Prozent.
Für den Ausbau der Highways und die Elektrifizierung der ländlichen Gebiete erhielten einige wenige Unternehmen, die diese Chance vorausgesehen hatten, Großaufträge. Sie hatten die wirtschaftlichen Auswirkungen derartiger Programme früh begriffen, und das war ihr entscheidender Vorteil gegenüber den Wettbewerbern. Die Geldbeträge, die in die Programme flossen, waren so bedeutend, dass einige Unternehmen zu geschickten Lobbyisten bei staatlichen Stellen und Politikern wurden, um Einfluss auf die Verteilung der Gelder zu nehmen.
General Electric hat das Potenzial, das in staatlichen Aufträgen lag, früh erkannt. Ab 1931 warb der Präsident von GE, Gerard Swope, aktiv für eine keynesianische Wirtschaftspolitik. General Electric kam bei einer Reihe von neuen Bundesprogrammen zum Zuge. Die Tennessee Valley Authority, zuständig für die wirtschaftliche Entwicklung des armen ländlichen Südens der USA, begann mit dem Bau von Staudämmen. Der Bau der neuen Elektrizitätsinfrastruktur sicherte GE einen großen Markt für seine Produkte im Bereich Stromerzeugung und -transport.
Zusätzlich profitierte das Unternehmen von den Nebeneffekten der Elektrifizierung. 1930 hatten nur 10 Prozent der Amerikaner auf dem Land Strom. 1940 waren es 90 Prozent. Während dieser Zeit stieg natürlich die Nachfrage nach langlebigen elektrischen Verbrauchsgütern sprunghaft an. General Electric wandte sich immer mehr dem wachsenden Konsumgütermarkt zu. Weil es das Potenzial erkannte, das die Elektrifizierung der ländlichen Regionen bot, beschleunigte das Unternehmen die Entwicklung von Konsumgütern. 1930 kam die elektrische Waschmaschine auf den Markt, gefolgt von Mixern, Staubsaugern und Klimaanlagen. Um den Kunden den Kauf zu erleichtern, gründete GE 1932 die General Electric Credit Corporation und vergab (ähnlich wie IBM) Kredite, weil die Banken dazu nicht in der Lage waren.
Auch IBM profitierte von Sekundäreffekten des New Deal: Die Nachfrage nach modernen Büromaschinen stieg. IBM erhielt den größten Auftrag in der Ära des New Deal: Das Unternehmen stattete die 1935 geschaffene Social Security Administration, also die Sozialbehörde des Bundes, mit Maschinen aus. Die Behörde musste pro Jahr 120 Millionen Anfragen von 27 Millionen Antragstellern bearbeiten, und das Geschäft lohnte sich für IBM nicht nur wegen der Maschinen, sondern auch wegen der Lochkarten, die damals vor Erfindung der Computer in Gebrauch waren. Dank dieses und anderer Regierungsaufträge wuchsen die Einnahmen von IBM zwischen 1935 und 1940 jährlich um durchschnittlich 16 Prozent.
General Electric und IBM erkannten das Potenzial der staatlichen Aufträge früh und schufen die notwendigen Voraussetzungen, um davon zu profitieren. Die meisten Unternehmen heute sind sich der Rolle des Staates für ihre Planungen noch nicht vollkommen bewusst, aber einige haben die darin liegenden Chancen entdeckt.
Peter Löscher, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, sagte gegenüber der FINANCIAL TIMES, die weltweit initiierten Infrastrukturprogramme und Anschubfinanzierungen für grüne Technologien würden das Wachstum im industriellen Sektor vorantreiben und Siemens sei entschlossen, diese Chancen zu nutzen. Die Mehrheit (56 Prozent) der von uns im September 2009 befragten Unternehmensleiter teilte diese Sichtweise.
Diese Chancen beschränken sich nicht auf steuerliche Anreize. Die Unternehmen sollten genau beobachten, in welche Richtung die Staaten ihre Industriepolitik weiterentwickeln, oder – besser noch – ihren Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Politik geltend machen.
So oder so: Der Versuch, aktiv nach Chancen zu fahnden, lohnt sich. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die Regierungen den Geldhahn irgendwann wieder zudrehen werden. 1939 stellte US-Finanzminister Henry Morgenthau fest: “Wir haben es mit Geldausgeben versucht. Wir geben mehr aus als je zuvor, aber es funktioniert nicht … Nach acht Jahren ist die Arbeitslosigkeit noch genauso hoch wie zu Beginn, und wir haben einen großen Schuldenberg!”
Werbung und Marketing intensivieren
Normalerweise gelten die Ausgaben für Werbung und Marketing als verzichtbar, sie fallen zuerst dem Rotstift zum Opfer, wenn eine Rezession einsetzt, noch vor Forschung und Entwicklung, denn ihr Beitrag zum Umsatz lässt sich schwer nachweisen. Wegen dieser reflexartigen Reaktion in den meisten Unternehmen fallen die Aufwendungen für Werbung in Abschwungphasen dramatisch – in den USA zwischen 1929 und 1932 um 29 Prozent.
Heute lässt sich das gleiche reflexhafte Handeln beobachten. Aber weil das so ist, fallen auch die Anzeigenpreise, und deswegen gilt: Wer trotz Krise weiterhin aggressiv wirbt, zieht für weniger Geld deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich.
Das kann, wie Procter & Gamble während der Weltwirtschaftskrise herausfand, eine sehr wirksame Kombination sein. Auch wenn die Konsumgüterbranche damals nicht so stark betroffen war wie andere Wirtschaftszweige, strichen viele Konsumgüterhersteller ihre Anzeigenbudgets zusammen. Procter & Gamble ging stattdessen neue Wege und erkannte die Gelegenheit, seine Hauptzielgruppe, die „Hausfrauen“, über das Radio zu erreichen. 1933 lief die erste Herz-und-Schmerz-Serie im Tagesprogramm, und P&G schaltete einen Werbespot – für Seife. Es dauerte nicht lange, da hatten die Herz-und-Schmerz-Serien einen neuen Namen: Soap-Operas – Seifenopern.
Der Erfolg dieses Versuchsballons ermutigte Procter & Gamble zu weiteren Vorstößen. Ende der 1930er-Jahre gehörte der Waschmittelkonzern zu den größten Werbekunden der Rundfunksender. Zwischen 1935 und 1937 verdoppelte das Unternehmen die Ausgaben für Radiospots, von 1937 bis 1939 verdoppelte es sie ein weiteres Mal – während derselben Zeit verharrten die Marketingausgaben in den Vereinigten Staaten insgesamt praktisch auf demselben Niveau.
Nicht nur große Unternehmen können im Abschwung durch Werbung zu günstigeren Preisen mehr Sichtbarkeit und Markenwahrnehmung aufbauen als im Aufschwung. Wie in der Weltwirtschaftskrise bietet das heutige Umfeld gute Chancen für innovative Unternehmen, die sich auf das untere Marktsegment fokussieren. Auch der Erfolg von Chrysler beruhte nicht zuletzt auf der massiven Werbung und den Marketingkampagnen für den neuen Plymouth Anfang der 1930er-Jahre.
1931 begann der Verkauf eines überarbeiteten Plymouth-Modells mit einer neuartigen Motoraufhängung, die Vibrationen und Lärmentwicklung minderte. Das neue Merkmal wurde „Floating Power“ getauft und die Markteinführung des Plymouth PA von einer Werbekampagne begleitet, in der die überlegene Technik herausgestellt wurde. Die Printanzeigen warben mit dem Slogan „So sanft wie ein Achter, so wirtschaftlich wie ein Vierer“ und suggerierten damit, dass der Käufer für den Preis eines 4-Zylinder-Modells einen 8-Zylinder-Luxuswagen bekomme. Als preiswerte Form der Öffentlichkeitswerbung nutzte Chrysler auch Autorennen; 1932 stellte ein Plymouth PA Sedan einen neuen transkontinentalen Geschwindigkeitsrekord für eine Nonstop-Fahrt von San Francisco nach New York und zurück auf. Zwischen 1930 und 1931 stieg der Absatz von Plymouth-Wagen um 66 Prozent.
Die Ausgaben zahlten sich nach der Weltwirtschaftskrise aus, Chrysler stand fortan in dem Ruf, eines der innovativsten Unternehmen der Autoindustrie zu sein. Die ungewöhnlichen, aerodynamischen Autos von Chrysler wurden, als die Nachfrage sich belebte, sehr populär. Der Mut, solche Autos nicht nur während einer einschneidenden Krise zu entwickeln, sondern auch noch zu bewerben, schuf die Grundlage für den Erfolg im Aufschwung.
Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Modekette Uniqlo. Der japanische Bekleidungsfilialist verband ebenfalls die Entwicklung neuer Produkte mit aggressivem Marketing. Ende der 1990er Jahre dominierten Designermarken mit hochwertigen Kleidungsstücken zu hohen Preisen den Markt. Uniqlos Fokus auf preiswerte Freizeitkleidung fiel aus dem Rahmen. Die meisten Kleidungsstücke auf den Ständern und in den Regalen von Uniqlo konnten von beiden Geschlechtern getragen werden, waren erschwinglich und gut verarbeitet. Mitte der 90er, ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung, war die Kette noch ein vergleichsweise kleiner Fisch mit 7 Prozent Marktanteil.
1998 startete Uniqlo eine Kampagne für eine neue Fleecejacken-Kollektion, die es in 13 verschiedenen Farbtönen gab und die mit 1.900 Yen (rund 14 Dollar) sehr preiswert waren. Der Werbefeldzug kostete 18 Milliarden Yen (137 Millionen Dollar) – ein aufsehenerregender Betrag in einer Branche, die gewöhnlich nicht einmal die Hälfte dieser Summe für Werbung ausgab. Es waren die ersten Fleecejacken, die in Japan überhaupt verkauft wurden; entwickelt hatte Uniqlo sie in Zusammenarbeit mit Toray Industries, einem Garn- und Stoffhersteller.
Die Kampagne war ein durchschlagender Erfolg. In der Herbst/Winter-Saison 1998 setzte Uniqlo rund 2 Millionen Jacken ab. Bis 2000 waren es 20 Millionen, und die massive Werbung hatte nicht nur Fleece als Material bekannt gemacht, sondern auch die Marke Uniqlo. Am Ende des Jahrzehnts war die Kette Marktführer mit 23 Prozent Marktanteil – vor dem Hintergrund der schwierigen Wirtschaftslage in Japan ein sensationelles Wachstum.
Aus Uniqlos Erfolgsgeschichte lassen sich drei Lehren ziehen. Erstens kaufen Kunden auch in schweren Zeiten gern ansprechende neue Produkte, besonders wenn diese auch noch preiswert sind. Zweitens ist Geld für die Entwicklung und Bewerbung neuer Produkte gut angelegt. Und drittens ist es in ökonomisch schwierigen Zeiten leichter, die Aufmerksamkeit der Verbraucher über Werbung zu gewinnen. Während eines Aufschwungs würde derselbe Grad an Aufmerksamkeit viel mehr Ressourcen verschlingen – im besten Fall. Im schlimmsten Fall wäre er gar nicht erreichbar.
Den Wettbewerb gezielt unter Druck setzten
Wenn die Märkte in einer Rezession schrumpfen und die Unternehmen Überkapazitäten haben (zu viele Mitarbeiter, zu viele Produktionsanlagen, zu viele Produkte), wird der Konkurrenzkampf härter. In wachstumsarmen Perioden werden Unternehmen ihren Marktanteil mit Zähnen und Klauen verteidigen und versuchen, ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten – sei es durch Expansion in andere Regionen, neue Produkte oder Dienstleistungen oder die Ansprache neuer Zielgruppen. Unternehmen müssen also mit neuen Wettbewerbern rechnen, die aus ganz verschiedenen Ecken kommen – aus anderen Ländern ebenso wie aus anderen Branchen.
Schon vor dem Abschwung machten Unternehmen aus China, Indien oder anderen Schwellenländern den etablierten Unternehmen der Industrieländer ernsthaft Konkurrenz, und dieser Wettbewerbsdruck wird in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen. In den Schwellenländern fiel die Finanz- und Schuldenkrise milder aus als in den Industrienationen; sie gehen gestärkt daraus hervor – zum Nutzen ihrer Unternehmen.
Technologiefirmen werden ebenfalls Konkurrenz aus unerwarteter Richtung bekommen: Hardware- und Softwarehersteller dringen wechselseitig in die bisher aufgeteilten Gebiete vor. Cisco expandiert über den angestammten Kernmarkt der Netzwerkkomponenten hinaus, versucht sich in über 30 „Nachbarmärkten“ wie dem virtuellen Gesundheitswesen, der Unterhaltungselektronik oder Telefonkonferenzen. Den Abschwung begreift Cisco als Gelegenheit, mit seiner Diversifizierungsstrategie in die Offensive zu gehen.
In einer solchen Umgebung können sich Unternehmen nicht ausschließlich auf Defensivstrategien verlassen – sie müssen ihre Wettbewerber bekämpfen. Manche brauchen dafür „nur“ ihre Stärken auszubauen, andere müssen sich jedoch komplett neu erfinden – und versuchen, die Spielregeln zu ändern.
Im Japan der 1990er-Jahre
Während des „verlorenen Jahrzehnts“ schrumpften die Umsätze vieler Branchen aufgrund von Wachstumsschwäche und zeitweiliger Deflation. Der Bierabsatz stagnierte beispielsweise zwischen 1990 und 2003. Zugleich machte die Branche tief greifende Veränderungen durch: Am Ende der 1990er-Jahre hatte Asahi den Marktführer (der einst 50 Prozent des Marktes beherrschte) abgelöst. Dieser Erfolg verdankte sich nicht nur der Fokussierung auf den Vertrieb durch Discounter und Supermärkte. Asahi forderte die Wettbewerber zudem mit einer „Rückrufaktion“ heraus.
1997 hatte die Branche intern vereinbart, das Verfallsdatum neun Monate nach dem Tag der Produktion anzusetzen. Kurz darauf gab Asahi bekannt, es würde alle Produkte, die älter als drei Monate seien, vom Markt nehmen, ab jetzt hätten Asahi-Biere ein Verfallsdatum von höchstens drei Monaten – und Asahi startete eine große Werbekampagne für sein besonders frisches Bier.
Die Konkurrenten wurden auf dem falschen Fuß erwischt und sahen sich gezwungen, zu enormen Kosten die Lagerbestände zu verjüngen. Asahi hatte die Aktion natürlich gründlich vorbereitet und musste praktisch keine Ware aus den Läden zurückrufen.
Auch in den darauffolgenden Jahren attackierte Asahi die Wettbewerber furchtlos. 1993 warb die Brauerei mit dem ersten nicht wärmebehandelten Bier – Asahi No. 1 – und sicherte sich das Image des Vorreiters. 1996 musste sogar der Marktführer nachziehen und bei der Bierherstellung auf die Erhitzung verzichten, so sehr hatte Asahi die Erwartungen aufseiten der Verbraucher verändert. Für den Marktführer ging der Schuss nach hinten los: Das neue Brauverfahren veränderte den Geschmack des Premium-Biers und ließ die Nachfrage sinken.
Ein ähnliches Beispiel gab es in der japanischen Unterhaltungselektronik. Yamada Denki, eine mittelgroße Kette, griff Mitte der 1990er-Jahre den Marktführer Kojima frontal an, um ihm Marktanteile abzujagen. Yamada eröffnete Läden direkt neben den Kojima-Filialen, bezeichnete sich in Anzeigen als Nummer 1 unter den Billiganbietern und garantierte Niedrigstpreise: Wenn ein Kunde ein Produkt anderswo billiger sah, gewährte Yamada einen Nachlass von 3 Prozent gegenüber dem Preis des Konkurrenten.
Die Rechnung ging auf, auch weil Yamada über ein ausgereiftes Informations- und Lagerwirtschaftssystem verfügte, dank dessen es die gängigsten Produkte stets vorrätig hatte. Die Kette verdiente zwar an dem einzelnen Produkt weniger, aber sie hatte auch weniger Verkaufs-, Gemein- und Verwaltungskosten. Yamada nutzte diesen Kostenvorteil gegenüber den Konkurrenten, steigerte dank der niedrigen Endpreise die Verkaufsmenge – und der Coup gelang: Kojima wurde in die Defensive gedrängt. Im Jahr 2000 hatte Yamada den zweiten Platz erobert und wurde ein Jahr später Marktführer.
Asahi und Yamada Denki waren kleinere Player, die durch einen aggressiven Wettbewerb zu Marktführern aufstiegen. Seven-Eleven Japan hingegen verteidigte seine führende Position erfolgreich. Die Supermarktkette war 1990 Marktführer, ruhte sich aber nicht auf dem Erreichten aus. Während des „verlorenen Jahrzehnts“ zwischen 1990 und 1999 verdoppelte Seven-Eleven die Zahl seiner Filialen von 4.000 auf 8.000 und sicherte sich damit eine überlegene Stellung gegenüber Wettbewerbern wie Lieferanten.
Der Handelskonzern nutzte seine Stellung als Marktführer und seine Bekanntheit, um die großen japanischen Lebensmittelhersteller als Partner bei der Entwicklung von Produkten zu gewinnen, die exklusiv unter einem gemeinschaftlichen Label bei Seven-Eleven verkauft wurden. Anders als die üblichen Eigenmarken, die Markenartikel im Preis unterbieten, können diese Produkte zu denselben Preisen wie Markenartikel angeboten werden – das war in diesem Bereich neu. Das Unternehmen kannte die Bedürfnisse der Verbraucher genau, nutzte dieses Wissen für die Entwicklung der Eigenmarkenprodukte und realisierte so wachsende Gewinnmargen. Natürlich geschah das zulasten der Lieferanten, doch beschwerten sich diese nicht, gewannen sie doch exklusiven Zugang zu Seven-Eleven-Filialen und profitierten vom wachsenden Absatzvolumen.
Ein bekanntes Beispiel ist die Eiscreme, die Seven-Eleven zusammen mit Partnern entwickelte. 1994 tat sich das Unternehmen mit fünf großen Lebensmittelherstellern zusammen, darunter Morinaga und Yukijirushi, und diskutierte mit ihnen in „Eiscreme-Workshops“ zwei Mal pro Monat über neue Produktideen. Daraus ging eine ganze Palette gemeinsam entwickelter Produkte hervor, die die Hälfte der bisherigen Eiscremeprodukte aus den Kühltruhen in den Seven-Eleven-Filialen verdrängten. 2000 kreierte Seven-Eleven zusammen mit dem Spitzen-Nudelhersteller Nissin eine Produktlinie, deren Sorten nach berühmten Nudelrestaurants benannt wurden. Exklusiv bei Seven-Eleven verkauft, wurden sie mit einem fünf Mal höheren Absatz als die Markennudeln ein Riesenerfolg.
Abgesehen von der gemeinsamen Produktentwicklung hatten die Gemeinschaftsmarken auch positive Effekte auf die Lagerwirtschaft. Seven-Eleven gab täglich Bestell- und Bestandsdaten an die Hersteller weiter, und diese beispiellose Zeitnähe erlaubte eine rasche Anpassung an Nachfrageschwankungen.
Mit seinem dichten Filialnetz verfügt Seven-Eleven über die Marktmacht, um Exklusivverträge abzuschließen; für die großen japanischen Nahrungsmittelproduzenten ist der Handelskonzern ein attraktiver Partner. Andere Einzelhandelsketten wie Lawson oder Family Mart kupferten die Strategie ab, vor allem nach dem Erfolg der neuen Eiscremeprodukte von Seven-Eleven; aber sie sind kleiner, für die Hersteller nicht so attraktiv und damit auch weniger erfolgreich.
In den USA nach dem Ölschock
McDonald’s erklärte den anderen Fast-Food-Ketten, vor allem Burger King, während der Ölkrise in den USA den Kampf, indem es die Eröffnung neuer Filialen beschleunigte. Vor 1973 hatte McDonald’s 300 Filialen jährlich eröffnet, ab 1973 gab die Kette noch mehr Gas: 445 neue Filialen 1973, 515 im Jahr 1974, 474 im Jahr 1975. Burger King hatte in den späten 1960er Jahren ähnlich viele Neueröffnungen vorzuweisen wie McDonald’s, teilweise sogar mehr, doch nach dem Verkauf an die Pillsbury Company fuhr der McDonald’s-Konkurrent einen vorsichtigeren Kurs und begnügte sich mit unter 200 neuen Filialen jährlich.
Am Ende des Jahrzehnts blies Burger King dann zur Aufholjagd, doch jetzt war McDonald’s nicht mehr einzuholen. Jim McLamore, Mitbegründer von Burger King, geht davon aus, dass die verlangsamte Expansion während der 1970er-Jahre die Ursache für die 2,2:1-Führung ist, die McDonald’s gegenüber Burger King in den 1990ern beim Hamburger-Umsatz innehatte. An diesem Beispiel zeigt sich zweierlei: das Risiko, das man eingeht, wenn man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht mit aller Kraft auf die Herausforderung eines Wettbewerbers reagiert – und die Belohnung, die der Angreifer erringen kann, wenn er seine Chance zu nutzen versteht.
Ein gutes Gegenbeispiel dazu ist die Reaktion von Kimberly-Clark im Markt für Damenhygiene. 1971 brachte Johnson & Johnson die erste Binde auf den Markt, die nicht in ein Spezialhöschen eingebunden, sondern in einen ganz normalen Slip eingeklebt wurde. Die neue Bequemlichkeit fand viele Anhängerinnen, und Kimberly-Clark erkannte die Gefahr – binnen sechs Monaten legte es eine eigene selbsthaftende Binde vor. Mit dieser raschen Antwort konnte der Hygieneartikelhersteller einen Teil des Bodens, den er an seinen Konkurrenten verloren hatte, wiedergutmachen.
Durch entschiedenes Handeln gelang es den dargestellten Unternehmen, sich ein größeres Stück aus dem kaum wachsenden Kuchen zu schneiden. Wichtiger noch: Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist ein Angriff auf das Herzstück der Profitabilität von Wettbewerbern oder die Freisetzung überproportionaler Mittel, etwa für eine Expansion, für den Angegriffenen sehr viel gefährlicher. Unternehmen, die am Herkömmlichen festhalten und nur Defensivstrategien nutzen, riskieren ihren Untergang.
Zukunftsinvestitionen durch M & A oder Desinvestition
Zu den gewaltigsten Waffen im Arsenal der Unternehmen gehört die Restrukturierung des Konzernportfolios – sei es durch Wachstum über Fusionen und Übernahmen (M & A), sei es durch Verkleinerung über gezielte Verkäufe.
Gunst der Stunde für Übernahmen nutzen
In Phasen niedrigen Wachstums kann die Übernahme schwächerer Konkurrenten eine höchst effektive Wachstumsstrategie sein. Es lässt sich jedoch nachweisen, dass Fusionen und Übernahmen während einer Rezession häufiger zum Erfolg führen, weil die Preise tiefer und die Gelegenheiten zahlreicher sind. Abschwungphasen bieten exzellente Chancen, sich günstig Rivalen einzuverleiben, deren finanzielle Möglichkeiten eingeschränkt sind. Untersuchungen von BCG zeigen, dass während eines Abschwungs durchgeführte Fusionen langfristig erfolgreicher sind als solche, die während eines Aufschwungs erfolgten: Der Total Shareholder Return liegt im Durchschnitt um 14 Prozent höher.
Die Gannett Company verfolgte diese Strategie während der Rezession der 1970er-Jahre. Der Zeitungsbranche setzten damals steigende Kosten auf der einen Seite, sinkende Einnahmen auf der anderen doppelt zu. Gannett packte die Gelegenheit beim Schopf, um kleine Ketten von Lokalzeitungen aufzukaufen, die kurz vor dem Bankrott standen. So gewann das Unternehmen Größenvorteile sowohl beim journalistischen Niveau als auch bei der Anzeigenwerbung. Zwischen 1970 und 1980 wuchs der EBIT von 16 auf 25 Prozent; Gannett lag damit vor seinen drei großen Konkurrenten in den USA.
Procter & Gamble sowie IBM nutzten während der Weltwirtschaftskrise Fusionen und Übernahmen, um ihre Produktportfolios zu diversifizieren. Um die Position als Marktführer bei Seifen in den USA auszubauen, kaufte Procter & Gamble in den 1920er-Jahren zwölf Marken auf und plante bereits die Akquisition weiterer Unternehmen, als die Weltwirtschaftskrise einsetzte. Statt die Pläne jetzt auf Eis zu legen, kaufte Procter & Gamble im Juni 1930 unbeirrt James S. Kirk & Co. Im selben Jahr stieg das Unternehmen durch den Erwerb von Fairy und Monsavon in den britischen und den französischen Markt ein. 1937 folgte die japanische Firma Monogen. Wenn man die erworbenen Marken dazuzählt, brachte Procter & Gamble in den 1930er-Jahren mehr erfolgreiche Produkte auf den Markt als im vorausgehenden oder im folgenden Jahrzehnt.
DuPont verfolgte eine unübliche Strategie opportunistischer Übernahmen. 1930 litt das Unternehmen unter Engpässen bei den Rohstoffen, weil etliche seiner Lieferanten vor dem Aus standen. Einer davon war Roessler & Hasslacher Chemical. DuPont schluckte die Firma, und die Akquisition beseitigte nicht nur den Engpass bei unverzichtbaren Rohstoffen für die eigene Produktion. DuPont verschaffte sich darüber hinaus Zutritt zur Elektrochemie mit einer Produktpalette, die beim Galvanisieren, Kühlen, Bleichen, Desinfizieren und in der Insektenbekämpfung Verwendung finden sollte.
Strategische Desinvestitionen
Die Entscheidung, eine Geschäftseinheit abzustoßen, fällt immer schwer. Doch in einer Zeit knapper Ressourcen können Desinvestitionen Kapital freisetzen, mit dem sich das Unternehmen stärker auf sein Kerngeschäft fokussieren kann.
Unsere Forschungen haben ergeben, dass Unternehmen, die Geschäftseinheiten veräußern, daraus erhebliche Vorteile ziehen. Unabhängig vom Konjunkturzyklus reagiert die Börse mit einem außerordentlichen Kursgewinn, wobei in Abschwungphasen die Reaktion des Kapitalmarktes deutlich positiver ausfällt. Je früher in der Rezession die Entscheidung für den Verkauf fällt, desto höher liegt in der Regel der Preis und desto größer ist auch die Chance des Verkäufers, das eigene Unternehmen für die Zukunft besser aufzustellen.
Chihiro Kanagawa wurde Anfang 1990 CEO von Shin-Etsu Chemical. Zu seinen ersten Entscheidungen gehörte es, das nicht als Kernbereich angesehene Finanzgeschäft abzustoßen und sich bei der Kunststoffproduktion auf Polyvinylchlorid zu konzentrieren. Dank des Verkaufs genoss das Chemieunternehmen einen frühzeitigen Vorteil und ging schlanker als die meisten Konkurrenten in die Krise. Shin-Etsu schwamm gegen den Strom – noch die ganzen 1990er-Jahre hindurch herrschte in Japan das Credo der Diversifizierung. Heute zeigen Studien über das „verlorene Jahrzehnt“, dass Diversifikation die Performance deutlich negativ beeinflusste, aber diese Erkenntnis setzte sich erst zu Beginn des neuen Jahrtausends durch – woraufhin es zu einer Welle von Desinvestitionen kam.
Walgreens schaffte den Turnaround in der 1970er-Rezession der USA nur dank Desinvestition. Während der 1960er- und frühen 1970er-Jahre hatte die Drogeriekette drei Restaurantketten, eine Warenhauskette und eine Optikerkette gekauft. Keine dieser Erwerbungen passte zum Kerngeschäft. 1977 traf der neue CEO, Charles R. Walgreen III, die Entscheidung, alle nicht zum Kerngeschäft gehörigen Bereiche abzustoßen. In den folgenden elf Jahren veräußerte Walgreens sieben große Geschäftsbereiche. Mit dem Geld aus diesen Verkäufen konnte das Unternehmen seine Drogeriefilialen stärken und in die Gewinnzone zurückkehren.
Zur selben Zeit investierte Kimberly-Clark den Erlös aus dem Verkauf seiner verlustreichen Sparte für beschichtetes Papier in die Forschung und Entwicklung im Bereich Konsumgüter. Ergebnis waren die erfolgreichen Huggies-Windeln, für deren Marketing jetzt genügend Mittel zur Verfügung standen.
Takeda, Marktführer unter den Pharmaherstellern Japans, war fast bis zum Ende des „verlorenen Jahrzehnts“ ein diversifiziertes Konglomerat und folgte damit der typischen Strategie japanischer Unternehmen. Neben dem Kernbereich Pharma betrieb Takeda Joint Ventures in den Bereichen Tiermedizin, Vitamine, Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Produkte, Chemie und Harze.
Durch den unablässigen Fokus auf Kostensenkungen verbesserte Takeda seine Position gegenüber den Konkurrenten. 2002 beschloss die Unternehmensleitung einen Paukenschlag: Alle Geschäftsbereiche, die nicht zum Kerngeschäft Pharmazie gehörten, wurden veräußert. CEO Kunio Takeda reagierte mit diesem Entschluss auf die Tatsache, dass der Pharmabereich 80 Prozent der Umsätze erzielte und den höchsten Gewinn abwarf. Einfach war der Verkauf nicht, denn Takeda kontrollierte zwischen 34 und 49 Prozent der Joint Ventures in den sechs Produktkategorien. Zudem war es ein für diese Zeit ungewöhnlicher Schritt, denn Diversifizierung war in Japans Pharmabranche die Norm; profitable Geschäftsbereiche fingen die Verluste anderer Unternehmensteile auf. Für Takeda sollte sich die Entscheidung lohnen: Die Gewinnmarge stieg von 2002 bis 2003 um 2,5 Prozent, der EBIT machte einen Sprung von 29 Prozent.
Die Beispiele zeigen, welche Bedeutung eine geschickte Desinvestitionsstrategie haben kann. Doch nur wenige Unternehmen überprüfen ihre Geschäftsbereiche rechtzeitig. Lediglich 44 Prozent der von uns befragten Führungskräfte gaben an, 2009 Schritte in Richtung Desinvestition unternommen zu haben, für 2010 lag die entsprechende Zahl noch niedriger. 73 Prozent hatten dagegen für das Jahr 2010 eine Ausweitung ihrer M&A-Aktivitäten vorgesehen.
Neue Spielregeln durchsetzen
Erschütterung und Erneuerung gehen Hand in Hand – das ist der große Vorteil einer Krise: Sie schafft Raum für neue Regeln. Neue Spielregeln beruhen letztlich auf zündenden Ideen für Geschäftsmodelle. Auch wenn dabei einzelne Elemente der Strategien verwendet werden, mit denen wir uns bereits beschäftigt haben, hebt sich die Erfindung eines Geschäftsmodells durch eine Vielzahl strategischer Neuerungen davon ab.
Für Unternehmen, die nicht nur eine Komponente, sondern einen großen Teil oder gar das gesamte Geschäftssystem ändern, kann die jüngste Krise zur Weichenstellung werden. Unsere Analysen zeigen, dass Innovationen beim Geschäftsmodell kurz- wie langfristig größere Erträge abwerfen als Innovationen bei einzelnen Verfahren, Produkten oder Dienstleistungen. Im Schnitt erwirtschafteten Unternehmen drei Jahre nach der erfolgreichen Einführung eines neuen Geschäftsmodells einen Total Shareholder Return, der 8,5 Prozent über dem der Konkurrenten lag. Der Vorsprung beim TSR gegenüber solchen Unternehmen, die nur ein Verfahren oder ein Produkt neu entwickelt hatten, betrug immerhin 6,8 Prozent. In einem schwierigen und hart umkämpften Umfeld sind das eindrucksvolle Ergebnisse.
Es gibt viele Beispiele für Innovationen beim Geschäftsmodell; manche davon sind für die aktuelle Lage noch besser geeignet, als es in früheren Rezessionen der Fall war. Wir wollen uns einige dieser Innovationen näher ansehen.
Billiganbieter werden
Verbraucher geben weniger Geld aus, die Unternehmen kürzen – die richtige Antwort darauf könnte ein Low-Cost-Geschäftsmodell sein. Dank niedriger Verkaufspreise schafft ein solches Geschäftsmodell Chancen auf größere Absatzmengen, außerdem steigert es die Führungsdisziplin, verlangt eindeutige Wertversprechen an die Verbraucher; und es kann sogar die Kundentreue erhöhen. Low-Cost-Geschäftsmodelle können sowohl unter guten wie unter schlechten wirtschaftlichen Bedingungen funktionieren. Werden sie in einer Phase mit langsamem Wachstum eingeführt, können sie die Margen sichern und eine offensivere Preisgestaltung erlauben.
Vier Elemente sind für Low-Cost-Geschäftsmodelle wesentlich:
- Den Preis immer so weit wie möglich absenken. Auf alle überflüssigen Produkteigenschaften verzichten, kostspielige Treueprogramme abschaffen.
- In allen Bereichen sparen – nur bei Werbung und Marketing nicht! (Immerhin: Selbst hier können die Kosten durch intelligente Beschaffung gesenkt werden.) Fortlaufende, rotierende Verfahren sind bei der Suche nach Einsparpotenzialen hilfreich. Der Preis sollte die zentrale Werbebotschaft sein.
- Ein gutes Produkt liefern. Niedriger Preis heißt nicht niedriger Wert, sondern Entsprechung von Preis und Wert.
- Personal flexibel einsetzen und die Bandbreite der Aufgaben erhöhen. Bei den Billigfliegern beispielsweise ist es ganz normal, dass Stewardessen und Flugbegleiter zwischen den Flügen die Kabine aufräumen und reinigen.
Am Beispiel des Stahlproduzenten Nucor lässt sich zeigen, dass ein Low-Cost-Modell es mit vielen Konkurrenten aufnehmen kann. Mitte der 1970er-Jahre war Nucor ein Mini-Mill-Stahlerzeuger unter vielen anderen. Er verwendete die gleiche Technik wie diese und produzierte in hocheffizienten Elektrolichtbogenöfen aus Recyclingstahl einfache, billige Teile.
In der zweiten Hälfte der 1970er baute Nucor eine Reihe weiterer Fabriken, die alle die gleichen billigen Stahlprodukte herstellten und in gleichmäßigen Abständen über die ganzen USA verteilt waren, um Transportzeiten und -kosten zu sparen. Gleichzeitig dezentralisierte Nucor die Managementstrukturen und achtete darauf, dass keine Gewerkschafter unter den Mitarbeitern waren. Dieses Geschäftsmodell würde man heute ein Low-Cost-Modell nennen. Es brachte Nucor schnell Größenvorteile gegenüber anderen, kleineren Stahlproduzenten.
Nach diesem Erfolg nutzte Nucor das Geschäftsmodell zum Angriff auf die großen, integrierten Stahlwerke, die hochwertige Produkte herstellten, aber unter hohen Kosten litten. In den 1980er-Jahren arbeitete sich Nucor schrittweise die Wertschöpfungskette hoch und übernahm integrierte Stahlwerke mit ganz unterschiedlichen Produktkategorien. Gleichzeitig konzentrierte sich das Unternehmen auf Massenproduktion und widerstand der Versuchung, die gleiche Art spezialisierter Produkte herzustellen wie die integrierten Stahlwerke der Konkurrenz. Als im inflationären Umfeld Ende der 1970er bis Anfang der 1980er-Jahre viele Unternehmen ihre Kostenbasis reduzieren mussten, konnte Nucor zahlreiche Kunden abwerben, die zuvor langjährige Geschäftsbeziehungen mit den integrierten Stahlwerken gepflogen hatten.
Nicht Produkte, sondern Dienstleistungen oder Ergebnisse verkaufen
In einer wachstumsschwachen Wirtschaft kann ein neues Geschäftsmodell auch so aussehen, dass man statt eines Produkts eine Dienstleistung oder ein Ergebnis verkauft. Statt ein Produkt zu erwerben und aus ihm Nutzen zu ziehen, dreht das Modell die Gleichung um: Man nutzt das Produkt, um eine Dienstleistung oder ein bestimmtes Ergebnis zu verkaufen. Die Geschichte von IBM in der Weltwirtschaftskrise und die von Cessna Anfang der 1980er-Jahre sind gute Beispiele für diesen Weg.
Die Idee, Büromaschinen auch zu vermieten, statt nur zu verkaufen, war so erfolgreich, weil sie den Investitionsaufwand der Unternehmenskunden senkte. Büromaschinen, mit denen sich die Buchhaltung automatisieren ließ, waren begehrt; sie steigerten die Effizienz und verringerten die Kosten. Im Wege standen nur die hohen Anfangsinvestitionen. Außerdem konnte IBM durch den Verleih der Maschinen mehr Kunden gewinnen, die dann auch Lochkarten benötigten – ein Geschäft mit hohen Margen. Dieselbe Methode wird heute von den Druckerherstellern genutzt. Damit das Modell funktionierte, musste IBM allerdings Cashflow-Management, Preisgestaltung und Vertriebsprozess neu aufstellen und sich einen anderen Umgang mit Restwert und Bestandsverwaltung einfallen lassen.
In der Rezession Anfang der 1980er-Jahre wurde die Jet-Division des Flugzeugherstellers Cessna heftig gebeutelt. Das Unternehmen reagierte darauf mit einem Leasingprogramm für Jets. Cessna schnürte ein Gesamtpaket: Flugzeug leasen, dazu einen Abstellplatz im Hangar, Auftankservice und Piloten. Damit bot Cessna den Kunden ein höheres Wertversprechen und reduzierte gleichzeitig deren Anfangsinvestition sowie das Risiko. Auch Cessna musste dafür neue Fähigkeiten entwickeln.
In der jüngsten Krise bedienten sich etliche Unternehmen vergleichbarer Modelle. Im März 2009 stellte Daikokuya einen neuen Service vor: Der japanische Anbieter von Luxushandtaschen verlieh die teuren Statussymbole für kurze Zeit an Kundinnen. Wollte sich die Kundin nicht mehr von dem Stück trennen, konnte sie die Differenz zwischen Leihgebühr und Kaufpreis bezahlen und es behalten. Daikokuya senkte also die Hemmschwelle, die der hohe Preis bildete, und ließ Kundinnen die Produkte ausprobieren. So erreichte das Unternehmen nicht nur neue Käuferschichten, sondern band auch treue Kundinnen an sich, die unter der Wirtschaftskrise litten.
Dekonstruktion
Dekonstruktion heißt, die Wertschöpfungskette in ihre Bestandteile zu zerlegen und zu überlegen, wie man zu schnelleren, zuverlässigeren, preiswerteren Produkten und Dienstleistungen gelangen kann. Im Grunde bedeutet es, bisher als intern angesehene Funktionen an effizientere Dienstleister auszulagern – oder solche als eigenes Geschäft zu entwickeln.
Diese Innovation des Geschäftsmodells kann drei Formen annehmen:
- Gemeinsame Entwicklung senkt den Kapitalbedarf und verteilt das Risiko auf mehrere Lieferanten.
- Orchestrierung verbessert die Zusammenarbeit mehrerer Lieferanten, ermöglicht größere Flexibilität, spart Kosten und führt meist auch zu besseren Produkten.
- Facilitation verbindet den Käufer direkt mit einer Reihe von Lieferanten; das Unternehmen ist dann weniger Mittelsmann als Förderer zwischen Abnehmer und Anbieter.
Der Erfolg von RadioShack in den 1970er-Jahren ging zu großen Teilen auf dieses dekonstruierte Modell der Produktentwicklung und -herstellung zurück. Durch die Zusammenarbeit mit japanischen Firmen konnte RadioShack neue Unterhaltungselektronikprodukte als Eigenmarken entwickeln und herstellen.
Für die Produktion orchestrierte RadioShack zahlreiche Hersteller von Elektronikteilen und kontrollierte den gesamten Prozess sehr eng. So konnte das Unternehmen bei vergleichsweise geringem Risiko unter seinem eigenen Label innovative und überlegene Unterhaltungselektronikprodukte zu günstigen Preisen anbieten.
1973 wies RadioShack einen EBIT von 7 Prozent aus, 1975 lag diese Marge dank der Expansion mit Eigenmarkenprodukten bereits bei 12 Prozent. Das ist eine beachtliche Leistung, erreichte der Einzelhandel 1975 insgesamt doch nur eine EBIT-Quote von 7 Prozent.
Neue Geschäftsfelder
Trotz aller Schwierigkeiten wurden sogar während der Weltwirtschaftskrise neue Unternehmen gegründet, und kleine Firmen schafften den Aufstieg in die erste Liga, wie wir am Beispiel Chrysler gesehen haben. Revlon ist ein Fall von Neugründung: Der heute klangvolle Name gehört einer Firma, die 1932 im schlimmsten Jahr der Großen Depression den Betrieb aufnahm. In den 1970er-Jahren wurde FedEx mitten in der Inflationszeit gegründet, während Wal-Mart der Aufstieg gelang – nicht trotz, sondern wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Zeit. Geldentwertung und Wachstumsschwäche waren für viele Unternehmen ein Riesenproblem, doch die innovativen Geschäftsmodelle von FedEx und Wal-Mart profitierten von diesen Bedingungen.
Federal Express bot 1973 eine völlig neue Dienstleistung an: eine Fluglinie, die sich ausschließlich auf Frachtflüge beschränkte und Zustellung über Nacht versprach. Damals benötigte der schnellste Luftpostanbieter der USA zwei Tage für Pakete; sie wurden über die nationalen Fluggesellschaften an ihren Bestimmungsort gebracht.
Federal Express trat mit einem vollkommen neuen Geschäftsmodell an. Das Unternehmen besaß eine eigene Flotte kleiner Jetflugzeuge und ein Verteilerkreuz in Memphis. Alle Pakete, egal woher, wurden nach Memphis geflogen, in der Nacht sortiert und am nächsten Morgen an ihren Zielort gebracht.
Die frühen 1970er-Jahre waren kein günstiger Zeitpunkt für Unternehmensgründungen. Ein halbes Jahr nachdem Federal Express den Geschäftsbetrieb aufgenommen hatte, kam der Ölschock. Öl wurde knapp, innerhalb weniger Monate vervierfachte sich der Preis für Flugbenzin. Für einen Dienstleister, der in so hohem Maß von Treibstoffen abhängig war, stellte das natürlich eine enorme Belastung dar. Und doch sah die Unternehmensleitung in der Krise eine Chance.
Viele Unternehmen sparten bei den firmeneigenen Jets – sie konnten sich diese in der Krise nicht mehr leisten. Gebrauchte Flugzeuge wurden billig, und Federal Express kaufte. Die Gelegenheit war günstig, zwischen April 1973 und Mai 1974 vergrößerte sich die Flotte von 6 auf 25 Flieger. Der gewonnene Größenvorteil führte den Neuling schnell in die Gewinnzone: Schon 1976 schrieb Federal Express erstmals schwarze Zahlen.
Wal-Mart nutzte ebenfalls die Wachstumschancen der 1970er-Jahre. Die Einzelhandelskette war seit ihrer Gründung 1962 langsam und schrittweise gewachsen. Ab 1970 ging es dann Schlag auf Schlag, die Zahl der Filialen stieg binnen einer Dekade um 26 Prozent. Auch die Umsätze schossen in die Höhe, vor allem zwischen 1973 und 1977. Damals vervierfachten sich die Einnahmen, und es ist kein Zufall, dass dieses spektakuläre Wachstum in die Zeit einer Rezession bei hoher Inflation fiel. Wal-Marts innovatives Geschäftsmodell setzte auf niedrige Preise, und das kam bei den sehr preisbewussten Verbrauchern an.
Wie jedes Unternehmen mit einem solchen Ansatz nutzte Wal-Mart jeden erdenklichen Weg, um die Kosten niedrig zu halten. Spektakuläre Erfolge erzielte es dabei im Bereich der Logistik, Kosten sparte es auch über eine Expansionsstrategie, die sich von allen anderen Wettbewerbern unterschied. Konkurrent K-Mart beispielsweise gründete in verschiedenen Städten neue Filialen, behielt aber die zentral organisierte Belieferung bei und dehnte damit das Distributionsnetzwerk über immer größere Distanzen aus.
Wal-Mart ging umgekehrt vor: Erst entstand ein Auslieferungslager an geeigneter Stelle, von der aus ein Ballungsgebiet versorgt werden konnte, anschließend wurden so viele Filialen eingerichtet, wie das Gebiet verkraftete. Das Schema wiederholte Wal-Mart in anderen Ballungsräumen, zunächst im Süden, dann in den ganzen USA.
Diese lokale Distributionsstrategie in Kombination mit einem hochmodernen computerbasierten Bestandsmanagement sparte angesichts der rapide steigenden Benzinpreise erhebliche Kosten. Die revolutionäre Logistik ermöglichte der Kette zudem, die Preise niedrig zu halten, als die Inflation galoppierte. Die Kunden wussten das zu schätzen. Zwischen 1970 und 1977 wuchs der Umsatz von Wal-Mart um 171 Prozent stärker als der des Wettbewerbers K-Mart. Auch in der jüngsten Krise hat sich Wal-Mart mit seinem Fokus auf niedrigen Preisen und dem besten Distributions- und Logistiksystem der Branche außerordentlich gut behauptet. Wal-Mart übertraf 2008 die Konkurrenz mit einem Rekord-EBIT-Wachstum von 7 Prozent. Die zehn größten Wettbewerber in den USA mussten dagegen einen EBIT-Rückgang von durchschnittlich 5 Prozent verkraften.
Uniqlo – Freizeitkleidung als Erfolgsgeschichte
Uniqlo hat in einem hart umkämpften, unsicheren Markt das Geschäftsmodell geändert, um zu wachsen. Die Marke wurde 1984 gegründet und positionierte sich zunächst als Billiganbieter für Freizeitkleidung. Gründer Tadashi Yanai setzte darauf, dass die Japaner bald Designerklamotten satthaben und zu legerer Kleidung greifen würden. In den Vereinigten Staaten war das so gekommen. Nach dem Vorbild von Gap und Limited wollte Yanai eine Marke schaffen, die alle ansprach.
Zunächst konzentrierte sich das Geschäftsmodell auf preiswerte, qualitativ hochwertige Produkte. Produziert wurde in China und Hongkong, verkauft auf großen Flächen in billigen Lagen, etwa in Vororten. Die Unternehmensphilosophie lehnte sich stark an die Fast-Food-Ketten an und mündete in einer starken Standardisierung.
Die Verkaufsflächen von Uniqlo waren alle identisch ausgelegt, das Warenangebot wurde über eine zentrale Datenbank gesteuert. Die Filialleiter hatten kaum Spielräume und waren angehalten, in allen Fragen des Tagesgeschäfts einem vorgegebenen Anweisungskatalog zu folgen. In der Tat – das war die Übertragung des Fast-Food-Modells auf das Bekleidungsgeschäft: eine effiziente, zuverlässige Lieferkette für weitgehend standardisierte Produkte.
Das Modell erwies sich als erfolgreich. Die Zahl der Niederlassungen wuchs von 29 im Jahr 1991 auf 300 im Jahr 1997, der Marktanteil steigerte sich von 1 Prozent 1991 auf 7,3 Prozent 1996.
Trotzdem blieb Uniqlo ein vergleichsweise unbedeutender Player im Geschäft mit Oberbekleidung. Das Image der Kette roch nach Vorortambiente und Kleinstadtflair – keine guten Voraussetzungen, um mit den großen Filialisten zu konkurrieren.
Das Management erkannte das Problem und traf in den späten 90er-Jahren eine Reihe wichtiger Entscheidungen. Aus dem regionalen Anbieter von Standardware wurde ein nationaler Händler, der für seine kundenorientierten Innovationen bekannt ist.
Bis 1996 teilten sich Markenkleidung und Eigenmarken die Regale von Uniqlo. 1997 beschloss das Management, die Markenkleidung zu verbannen, nur noch die Eigenmarke zu vertreiben und dieser ein klares Profil zu geben. Gleichzeitig gestaltete die Unternehmensspitze das Image neu – raus aus den Vororten, rein in die Innenstädte. Uniqlo eröffnete 1998 eine Niederlassung direkt im Tokioter Modedistrikt Harajuku. Auch die bisher genutzten Werbekanäle wurden verworfen, die Reklamezettel in den Briefkästen durch Fernsehspots und Plakatwände ersetzt. Uniqlo wurde trendy. Die Vertriebsstrategie änderte sich ebenfalls. Statt von den produzierten Waren so viele wie möglich abzusetzen, suchte man nach Publikumsrennern, die sich ausverkauften. Der neue Fokus führte zu der bereits beschriebenen Einführung von Fleecejacken im Jahr 1998.
Damit die Strategie funktionierte, musste auch der Führungsstil angepasst werden. Die Filialleiter bekamen mehr Eigenständigkeit und erhielten Boni, wenn die Umsätze stiegen. Und die Produktion wurde rationalisiert. 1998 kamen 90 Prozent der Ware zu garantiert niedrigen Preisen von Vertragsfabriken in China. Die Zahl dieser Fabriken wurde gezielt verringert, von 140 blieben 40 übrig. 1999 eröffnete Uniqlo ein Büro in Shanghai, um die Zusammenarbeit mit den Herstellern zu intensivieren und die Produktqualität enger zu überwachen.
Uniqlo blühte und gedieh. Der Marktanteil stieg zwischen 1997 und 2000 von 7,3 auf 23,3 Prozent, die Kette wurde japanischer Marktführer.
Das schöpferische Potenzial der Zerstörung
Wer die jüngste Krise gemeistert hat, darf sich auf die Schulter klopfen und aufatmen. Die Führungskräfte waren zu harten Entscheidungen gezwungen, die weitreichende und langfristige Folgen haben werden. Es war nicht einfach, den Abschwung zu überstehen. Nur, leider, wird die absehbare Zukunft auch nicht leichter.
Joseph Schumpeter hat die „schöpferische Zerstörung“ als wesentliches Merkmal des Kapitalismus beschrieben: Dieser Prozess definierte für ihn das Herzstück des Kapitalismus, und jeder Kapitalist müsse lernen, damit zu leben. Schumpeter hat bereits vor über einem halben Jahrhundert betont, dass die schöpferische Zerstörung im kapitalistischen System niemals aufhört. Erhöhter Wettbewerbsdruck, wie er von einer Rezession verursacht wird, mag den Zerstörungsprozess beschleunigen, aber dieser Prozess ist auch dann am Werk, wenn die Welt nicht unter Schock steht.
Aus dem Prozess der kreativen Destruktion ergeben sich heute zwei Konsequenzen, die mit dem aktuellen Zustand der beschädigten Wirtschaft zusammenhängen: Erstens können Unternehmen, die von der Rezession geschwächt sind oder versäumt haben, sich anzupassen, bei einer erneuten Rezession noch in Schwierigkeiten geraten. Zweitens stehen für Unternehmen, die die Rezession in guter Verfassung überstanden haben, entscheidende Weichenstellungen bevor.
Unsere Analysen zeigen: Unternehmen, die in vergangenen Rezessionen überdurchschnittlich gewachsen sind, konnten ihre führende Position über viele Jahre halten und ihre Industrien nachhaltig dominieren. Mit anderen Worten: Entscheidungen, die heute getroffen werden, beeinflussen die Zukunft eines Unternehmens nachhaltig. Natürlich beschränkt sich Unternehmensführung nicht darauf, Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Talentierte Köpfe und Führungsstärke sind gefragt. Viele der beispielhaften Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von herausragenden Führungspersönlichkeiten geleitet wurden – Ikonen der Wirtschaftsgeschichte wie Alfred P. Sloan (General Motors), Thomas J. Watson (IBM) oder Gerard Swope (General Electric). Das ist kein Zufall. Harte Zeiten verlangen mutige, entschlossene Führung, um weitreichende, ungewöhnliche oder auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und in kurzer Zeit umzusetzen. Manche setzten auf volle Lager, neue Produkte, Forschung und Entwicklung oder Werbung trotz Krise. Viele reagierten sehr früh, um die geschäftlichen und finanziellen Grundlagen zu retten – mit Entlassungen und Standortschließungen, nicht nur mit gestrichenen Schulungen und Reisebeschränkungen für Führungskräfte.
Gleichzeitig verfügten die großen Führungspersönlichkeiten über Vorstellungen von der Zukunft ihrer Branche und ihrer Unternehmen. Watson sah Büromaschinen von IBM in allen Unternehmen stehen – von der kleinen Firma bis zum großen Konzern. Swope wollte die Arbeit im Haushalt mit fortschrittlichen, neuen Produkten wie der Waschmaschine von GE erleichtern.
Die Entscheidungen, die während der Weltwirtschaftskrise fielen, verwandelten die Visionen in Realität. Aber es waren keine einfachen Entscheidungen, und sie waren nicht leicht durchzusetzen. Nur mit Führungsstärke wird man das richtige Maßnahmenpaket wählen, die Organisation zur Umsetzung bewegen und den Kurs korrigieren, wann immer dies nötig ist. Die schöpferische Zerstörung mag unvermeidlich sein, aber konkrete Ergebnisse stellen sich nicht von selbst ein.