Best of BTO 2022: Ohne Fleisch geht es nicht

Dieser Beitrag erschien im Juni 2022 bei bto:

In meinem Podcast am 5. Juni 2022, der Premiere im neuen Gewand in Folge der Kooperation mit dem HANDELSBLATT, gehe ich der Frage nach, wie wir auf den Hunger in der Welt reagieren sollten. Als Experten dabei der Landwirt Dirk Hadenfeldt und Professor Wilhelm Windisch von der TU München. Zur Einstimmung Auszüge aus einem Aufsatz, den Professor Windisch mit Gerhard Flachowsky verfasst hat.

Es geht um die Rolle und Bedeutung der Nutztiere in der Ernährung. Da wir immer mehr Stimmen hören, die in einer Reduktion oder gar Einstellung des menschlichen Fleischkonsums die Lösung für unsere Nahrungsmittelprobleme sehen, wollte ich das Thema besser verstehen:

  • “Nach FAO-Empfehlungen sollten erwachsene Menschen zur Sicherung einer ausgewogenen Ernährung täglich etwa 20 g Protein tierischer Herkunft aufnehmen. Diese Menge wird im globalen Mittel erreicht (23,9g/Tag), aber sie variiert zwischen 1,7 (Burundi) und 69 g (USA; Deutschland: 52,8 g/Tag). Dieser Vergleich offenbart die enorme Ungleichheit der Versorgung der Weltbevölkerung mit hochwertiger Nahrung (…).“ – bto: Damit ist klar, es ist aus gesundheitlichen Gründen angezeigt, weniger Fleisch zu essen. Die Frage ist, genügt das oder müssen wir ganz darauf verzichten, damit wir uns voll auf die Produktion von anderen Nahrungsmitteln konzentrieren können?
  • „Während global im Jahr 1970 je Einwohner etwa 0,38 ha zur Verfügung standen, waren es im Jahr 2000 noch etwa 0,24 ha, und 2050 werden es voraussichtlich nur noch etwa 0,15 ha sein – in Deutschland sind es gegenwärtig etwa 0,22 ha je Einwohner.“ – bto: Dies bedeutet, dass wir den Ertrag deutlich steigern müssen bzw. keine Verluste zulassen dürfen, indem Nahrungsmittel nicht beim Menschen landen. 
  • „Im System der agrarischen Erzeugung von Lebensmitteln übernehmen Nutztiere eine zentrale Rolle als Transformatoren von Biomasse. Unter vollständiger Einhaltung der Massenbilanzen wird die aufgenommene Biomasse über die Prozesse der Verdauung und des Stoffwechsels in Exkremente (Kot, Harn), Gase (CO2, bei Wiederhäuern auch CH4) sowie in Zuwachs an Körpersubstanz, Milch oder Eiern geleitet – das heißt hauptsächlich in den Aufbau von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten.“ – bto: Die Tiere veredeln also Biomasse. Die Frage ist – und darauf gehen die Autoren gleich genauer ein –, ob die Tiere in Konkurrenz um die Biomasse mit den Menschen treten oder nicht.  
  • „Es gelangt nur ein kleiner Teil (ca. 10 bis 20 %) der pflanzlichen agrarischen Biomasse überhaupt in den menschlichen Verzehr. Hauptgrund ist der Umstand, dass der überwiegende Anteil der agrarischen Biomasse vom Menschen grundsätzlich nicht essbar ist, wie etwa Biomasse aus Grünland oder aus Zwischenkulturen. Sie stellt einen unvermeidlichen Bestandteil der gesamten agrarischen Erzeugung von Biomasse dar, denn der nachhaltige Anbau von lebensmittelliefernden Pflanzen erzwingt eine Fruchtfolge, die auch nicht essbare Zwischenkulturen enthält. Darüber hinaus sind erhebliche Anteile der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus geographischen oder Umweltschutzgründen (Geländetopographie, Abgelegenheit, Niederschläge, Temperatur, Grundwasser, Nähe zu Fließgewässern etc.) nur als Grünland nutzbar.“ – bto: Das bedeutet, dass es nicht zulässig ist zu behaupten, wir könnten, statt Futtermittel zu erzeugen, dort für den Menschen verwertbare Lebensmittel erzeugen.
  • Aber auch bei lebensmittelliefernden Pflanzen (zum Beispiel Getreide) ist nicht einmal die Hälfte der geernteten Biomasse für die weitere Verwendung als Lebensmittel geeignet (zum Beispiel Körner versus Stroh).“ – bto: Wir haben also auch bei dem Hafer, aus dem wir dann Milch machen, einen erheblichen Anteil an Biomasse, die wir nicht verwerten können. Wir haben dann die Optionen: wegwerfen (ganz schlecht, weil dann fehlten die Nährstoffe in der Nahrungskette), aufs Feld werfen (dauert lange bis zur Verrottung), Biogas erzeugen oder Nutztiere füttern. Letzteres steigert das Gesamtangebot an Nahrung.
  • Bei der industriellen Weiterverarbeitung pflanzlicher Verkaufsprodukte in Lebensmittel wie Mehl, Zucker oder Speiseöl beziehungsweise Energieträger wie Biodiesel und Bioethanol oder in sonstige industrielle Wertstoffe entstehen nochmals erhebliche Mengen an Nebenprodukten. Oftmals fallen sogar deutlich mehr Nebenprodukte an als das eigentliche Zielprodukt: Bei Soja etwa ist das Verhältnis 2:1, bei Raps 1,5:1. Diese Rückstände der industriellen Verarbeitung pflanzlicher Verkaufsprodukte stellen zumeist hochwertige Futtermittel dar, die vom Menschen nicht oder allenfalls eingeschränkt essbar sind. Sie werden hauptsächlich in der Ernährung von Geflügel, Schweinen und hochleistenden Wiederkäuern eingesetzt und bestreiten knapp die Hälfte des global gehandelten Mischfutters.“ – bto: Wer also pauschal die Erzeugung von Tierfutter kritisiert, versteht nicht, woher das Futter kommt.
  • Außerdem liefern die Tiere wichtigen Dünger: „Die Fütterung von Nutztieren generiert Exkremente, die einen Großteil der in der Biomasse fixierten Pflanzennährstoffe (Stickstoff, Phosphor etc.) über Wirtschaftsdünger in einer hochverfügbaren Form wieder zurück auf die landwirtschaftliche Nutzfläche bringen. Damit sind Nutztiere fundamental an der Aufrechterhaltung des agrarischen Nährstoffkreislaufs beteiligt und können in erheblichem Umfang Mineraldünger ersetzen.“ – bto: Verzichten wir auf die Tiere, müssen wir energieintensiv Kunstdünger erzeugen!
  • Die effiziente Transformation von Biomasse durch Nutztiere setzt voraus, dass das Futter hinsichtlich aller essenzieller Nährstoffe hochwertig und ausbilanziert ist. Zu diesem Zweck werden vielfach Futtermittel zugekauft, etwa Eiweißfuttermittel wie Soja- und Rapsextraktionsschrot oder Mineralfuttermittel, die zum Beispiel Phosphor enthalten. Sie generieren im Zuge der tierischen Transformation wiederum Wirtschaftsdünger. Dieser indirekte Import an Pflanzennährstoffen durch zugekaufte Futtermittel ist per se nicht negativ zu beurteilen, denn er kann den Export an Pflanzennährstoffen aufgrund des Verkaufs von agrarischen Produkten kompensieren. Erst bei hohen Importraten gerät der Nährstoffkreislauf zwischen der Tierhaltung und der pflanzlichen Primärproduktion aus dem Gleichgewicht.“ – bto: Das ist aber zu steuern und etwas anderes als das pauschale „Kein Fleisch“-Mantra.
  • Im Zusammenhang mit der Erzeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft muss auch die Nahrungskonkurrenz von Mensch und Tier kritisch diskutiert werden. So gelangen FAO-Statistiken zufolge etwa 85 % der Weltsojaernte und etwa ein Drittel der Weltgetreideernte in die Tierernährung. Ein hoher Anteil dieser Biomasse könnte jedoch auch direkt von Menschen verzehrt werden.“ – bto: Dies gilt es zu verringern und deshalb ist es richtig, den Fleischkonsum anzupassen.
  • Die zunehmende Nahrungskonkurrenz wird künftig Nutztiersysteme mit hohem Potenzial zur Verwertung von nicht essbarer Biomasse fördern. Darunter fallen neben den Wiederkäuern, die aufgrund ihrer Vormägen obligat nicht essbare Biomasse verdauen können, allerdings auch monogastrische Nutztiere, sofern sie beispielsweise qualitativ weniger hochwertige Nebenprodukte der industriellen Verarbeitung von pflanzlichen Primärprodukten erhalten.“ – bto: Klartext: Das Rind hat Zukunft einfach deshalb, weil es entsprechende Transformation vornehmen kann, die wir nicht vornehmen können.  
  • „(Die Abbildung) zeigt den vom Menschen essbaren Anteil (human edible fraction; hef) in verschiedenen Futtermitteln. Diese jeweiligen hef-Daten sind als Wertebereiche zu interpretieren, da man zwischen essbarer und nicht-essbarer Biomasse keine scharfe Grenze ziehen kann. Demnach enthalten viele oftmals pauschal auch als ‘Lebensmittel’ bezeichneten pflanzlichen Primärprodukte wie Getreide, Mais, Soja etc. durchaus beträchtliche Anteile an futterwürdigen Komponenten. Derartige Daten tragen zu einer Versachlichung der Diskussion um die Nahrungskonkurrenz zwischen Mensch und Tier bei.“ – bto: in der Tat. Es ist – wie die Energiewende – ein Thema, bei dem es sich lohnt, hinter die Schlagzeilen zu blicken.

Quelle: Windisch/Flachowsky

  • Auch in Zukunft werden erhebliche Mengen an nicht essbarer Biomasse aus Grünland, Koppelprodukten aus Kulturpflanzen, Zwischenfrüchten und als Nebenprodukte der industriellen Verarbeitung von pflanzlichen Verkaufsprodukten anfallen, die sich über entsprechende Produktionssysteme (allem voran Wiederkäuer) in hochwertige Lebensmittel transformieren lassen. Die dabei entstehenden Wirtschaftsdünger unterstützen den agrarischen Kreislauf an Pflanzennährstoffen und fördern damit indirekt die Erzeugung von Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft. Zwar könnte man die nicht-essbare Biomasse auch in Biogasanlagen energetisch verwerten und die Rückstände analog zu den Exkrementen der Nutztiere in den Kreislauf der Pflanzennährstoffe zurückführen. Aber abgesehen vom Wegfall hochwertiger Lebensmittel arbeiten Biogasanlagen deutlich langsamer als die Vormägen von Wiederkäuern.“ – bto: Und wir brauchen das Fleisch, um die Menschheit zu ernähren.
  • Die Nachteile der gezielten Verwertung von nicht essbarer Biomasse liegen in der geringeren Transformationseffizienz und die damit gekoppelten höheren Emissionen (etwa von Methan). Andere oftmals genannte negative Effekte – etwa der Verbrauch von Land und von Wasser – schlagen dagegen nicht zu Buche, solange es nur um die Nutzung der ohnehin anfallenden nicht essbaren Biomasse geht und keine zusätzlichen landwirtschaftlichen Nutzflächen (insbesondere Ackerflächen) für den Anbau von Futtermitteln verbraucht werden. Die damit erzeugbaren Mengen an Lebensmitteln tierischer Herkunft liegen allerdings deutlich unter der gegenwärtigen und erst recht der zukünftigen Nachfrage und würden eine massive Änderung der Ernährungsgewohnheiten verlangen .“ – bto: Das ist eine erfreulich nüchterne Analyse. Es ist nicht das Schwarz/Weiß, was die Diskussion prägt.
  • Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise die Diskussion um artificial meat beträchtlichen Auftrieb bekommen. Es braucht hierfür kein Nutztiergetötet werden, das Wachstum der Zellkulturen ist sehr effizient, es entstehen keine Schlachtabfälle und es lässt sich ein sehr hoher Hygienestatus erzielen. Letzteres erfordert jedoch Antibiotika und birgt damit wieder ein Risiko für die Lebensmittelsicherheit. Der eigentliche Flaschenhals dieser Art der Produktion von wertvollen Lebensmitteln liegt jedoch im Bedarf an höchstwertigen Nährstoffen für die ‘Fütterung’ der Zell- kulturen. Diese Nährstoffe müssen wiederum über die agrarische Primärproduktion und/oder aufwändige industrielle Verarbeitungsprozesse generiert werden. Damit geraten auch solche Produktionsverfahren unweigerlich in die Zielkonflikte um umweltrelevante Emissionen, Verbrauch von landwirtschaftlicher Nutzfläche und Nahrungskonkurrenz.“ – bto: Das bedeutet, dass der künstliche Burger nicht so eindeutig positiv zu sehen ist. Besser also natürliches Fleisch, aber eben nur aus nicht anders verwertbarer Biomasse gewonnen.

Fazit:

Die Frage nach der Verzichtbarkeit von Nutztieren berührt vielmehr das Grundprinzip der agrarischen Primärproduktion auf der Basis von Nutzpflanzen. Diese enthalten neben dem eigentlichen „Lebensmittel“ immer auch erhebliche Mengen an nicht essbarer Biomasse, die zu Pflanzennährstoffen abgebaut und der landwirtschaftlichen Nutzfläche wieder zurückgeführt werden müssen. Nutztiere vollziehen diese Funktion in einer seit Jahrtausenden etablierten Form und generieren dabei höchstwertige Lebensmittel für den Menschen. Der alternativlose Verzicht auf Nutztiere würde demnach nicht nur einen absoluten Verlust an Lebensmitteln nach sich ziehen, sondern auch die Produktivität des Pflanzenbaus schmälern beziehungsweise einen erhöhten Einsatz an Mineraldünger fordern.” – bto: Das leuchtet ein.

Quelle: Wilhelm Windisch, Gerhard Flachowsky: Tierbasierte Bioökonomie, in: Das System Bioökonomie, Daniela Thrän, Urs Moesenfechtel (Hrsg.), Springer, 2020