„Warum ‚Big Oil‘ sich selbst liquidieren sollte“

Vor einigen Wochen habe ich erklärt, weshalb ich trotz der tiefen Ölpreise – die nochmals gesunken sind seither –, an meinen Shell Aktien festhalte. Vielleicht ein Fehler. Meine Hoffnung lag darin, dass die Ölfirmen sich rational verhalten und Investitionen einstellen und die Ausschüttungen maximieren. Vor allem sollten sie nicht versuchen, in neue Industrien zu diversifizieren. Denn das können die alten Firmen erfahrungsgemäß nicht.

Hier ein interessanter Kommentar von Anatole Kaletsky:

  • „Aber nicht alle Produzenten werden gleich viel verlieren. Eine Gruppe nimmt tatsächlich scharfe Einschnitte vor: die westlichen Ölgesellschaften, die Einschnitte im Volumen von rund 200 Mrd. $ bei ihren Investitionen angekündigt haben. Dies hat zur Schwäche der weltweiten Aktienmärkte beigetragen; dabei könnten die Aktionäre der Ölgesellschaften paradoxerweise von der neuen Ära billigen Öls letztlich in erheblichem Umfang profitieren.“ – bto: Das sehe ich genauso.
  • „Die Geschäftsleitungen der führenden Energieunternehmen müssen sich der wirtschaftlichen Realität stellen und ihre verschwenderische Besessenheit, neue Ölvorkommen zu erkunden, aufgeben. Die 75 grössten Ölgesellschaften investieren noch immer mehr als 650 Mrd. $ jährlich, um fossile Brennstoffe in immer schwierigeren Umgebungen zu finden und zu erschliessen. Dies ist eine der grossen Fehlallokationen von Kapital in der Geschichte – wirtschaftlich machbar nur aufgrund künstlich erhöhter Monopolpreise.“
  • Geht man davon aus, dass eine Kombination aus der Erschliessung von Schieferölvorkommen, ökologischem Druck und Fortschritten in der Erzeugung sauberer Energie das Opec-Kartell weiter lähmen wird, dürfte Öl nun wie jeder andere Rohstoff in einem normalen Wettbewerbsumfeld gehandelt werden, wie das zwischen 1986 und 2005 der Fall war. Und je stärker den Investoren diese neue Wirklichkeit bewusst wird, desto stärker werden sie sich auf ein grundlegendes Prinzip der Wirtschaft besinnen: das der Grenzkostenpreisbildung.“
  • Dies bedeutet, dass alle Vorkommen in Saudi-Arabien, dem Iran, dem Irak, Russland und Zentralasien komplett erschlossen und verbraucht sein würden, bevor irgendwer sich auch nur die Mühe macht, Vorkommen unter dem Eis der Arktis, in den Tiefen des Golfs von Mexiko oder Hunderte von Meilen vor der brasilianischen Küste zu erschliessen.“
  • „ExxonMobil, Shell und BP können nicht länger hoffen, mit saudi-arabischen, iranischen oder russischen Unternehmen zu konkurrieren, die nun den exklusiven Zugang zu Vorkommen haben, die mit Gerät gefördert werden, das technisch nicht ausgereifter ist als die ‚Tiefpumpen‘  des 19. Jahrhunderts. Der Iran etwa behauptet, Öl für nur 1 $ pro Barrel zu produzieren. Seine problemlos zugänglichen Vorkommen – deren Umfang im Nahen Osten nur hinter demjenigen Saudi-Arabiens zurückbleibt – werden mit Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen rasch erschlossen werden.“
  • „Für die westlichen Ölgesellschaften besteht die rationale Strategie darin, die Ölexploration einzustellen und zu versuchen, ihren Gewinn durch Bereitstellung von Ausrüstung, geologischem Know-how und neuen Technologien wie Fracking an die ölproduzierenden Länder zu erwirtschaften. Ihr letztliches Ziel jedoch sollte sein, ihre bestehenden Ölreserven schnellstmöglich zu verkaufen und den resultierenden Geldregen an ihre Aktionäre auszuschütten, bis alle ihre billigen Ölfelder erschöpft sind.
  • Die Geschäftsleitungen der Ölgesellschaften glauben immer noch mit quasi religiösem Eifer an eine endlos wachsende Nachfrage und immer weiter steigende Preise. Daher ziehen sie es vor, Geld auf die Suche nach neuen Vorkommen zu verschwenden, statt die Auszahlungen an ihre Aktionäre zu maximieren. Und sie verwerfen verächtlich die einzig andere plausible Strategie: die Abkehr von Investitionen in die Erschliessung neuer Ölvorkommen und hin zu neuen Energietechnologien, die die fossilen Brennstoffe letztlich ersetzen werden.“ – bto: Wie gesagt, ich halte Investitionen in neue Technologien für falsch. Das sollen andere machen. Die Ölfirmen sollten sich liquidieren.
  • Doch die Saudis und andere Opec-Länder scheinen nun erkannt zu haben, dass Förderbeschränkungen lediglich den amerikanischen Frackern und anderen zu hohen Kosten arbeitenden Produzenten Marktanteile überlassen, während ökologischer Druck und Fortschritte im Bereich der sauberen Energie ihr Öl in wertloses ‚verlorenes Vermögen‘ verwandeln, das sich nie wird nutzen oder verkaufen lassen.“ – bto: Deshalb bleibt der Preis tief.
  • „Mit weiterer Verbesserung der Technologie und gleichzeitiger Verschärfung der Umweltbeschränkungen scheint es unvermeidlich, dass ein grosser Teil der bekannten Ölreserven der Welt dort bleiben wird, wo er ist – so wie schon der grösste Teil der bekannten Kohlevorkommen. “

→  FINANZ und WIRTSCHAFT: „Warum ‚Big Oil‘ sich selbst liquidieren sollte“, 12. Januar 2016

Kommentare (4) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      Sven Giegold, financial and economic policy spokesperson of the Greens/EFA group commented:

      “This stress test has revealed funding gaps of occupational pensions.
      EIOPA has underpinned worse case misgivings with numbers. According to a stress test scenario, EU occupational pension schemes face a funding gap of 773bn Euros in accruals. Even if as as baseline scenario the levels of interest rates and asset prices stabilised, there would still be a shortage of 428bn Euros. Consequently, in the UK the gap would be 218bn Euros, whereas for the Netherlands the gap would be 66bn Euros.
      National accounting standards conceal the funding gaps included in the balance sheets of many companies. As a result of the strongest stress test scenario, the funding gap for occupational pensions would even increase to 343bn Euros for the UK and 215bn Euros for the Netherlands.
      At the same time, the stress test covers only 38% of the UK market and 53% of the Dutch market.

      The ostrich policy on life insurance and occupational pensions has to end now. In the European Parliament and in Member State parliaments we need a blank and honest debate on the lack of funding due to the low interest rates. It is unacceptable to just pretend problems do not exist. Now we still have the time to change direction. Our enterprises must not be allowed to be turned into pension collateral, expected to make up the gaps from profits that will be under increasing pressure.
      They have to be able to invest into future jobs. Yet it is equally unacceptable to simply assume hidden state guarantees. On the contrary it is high time to protect pensioners and enterprises with effective European rules.

      The weaknesses of occupational pension schemes are even worse than this stress test proves. The test did not even include a realistic scenario with low interest rates on the long term combined with longer life expectancies (in fact EIOPA reports that most pension schemes do not include trends in life expectancy). The funding shortfall would have been much worse in the baseline scenario had it been calculated with realistic interest rate levels. EIOPA?s reference scenario still assumes that risk free interest rates will converge on 4.2 % (the ?ultimate forward rate?) in the very long run, implying, for example, a 30 year rate of 2% when Eurozone 30 year rates are actually just over 1%.”

      The presentation of the stress test:
      https://eiopa.europa.eu/Publications/Surveys/2016-01-26%20Presentation%20for%20the%20press%20conference%20.pdf

      The complete stress test:
      https://eiopa.europa.eu/Publications/Surveys/EIOPA%20IORPs%20Stress%20Test%20Report%202015%20bookmarks.pdf

      The watered down EIOPA press release:
      https://eiopa.europa.eu/Pages/News/Results-of-the-first-EU-stress-test-for-occupational-pensions.aspx

      Antworten
  1. Jost Teim
    Jost Teim sagte:

    Hat jemand das alles mal quantifiziert? Wie sehen Absatz- und Kostenkurve aus?

    Angeblich beträgt das Ueberangebot nur wenige Prozent. Demnach müssten große Anbieter ihre Produktion nur um 10% kürzen und würden dann das doppelte verdienen.

    Und, die Fracking Geldgeber dürften sich für die nächste Zeit die Finger verbrannt haben und für die Finanzierung von neuen Projekten wohl erstmal nicht zur Verfügung stehen.

    Antworten

Ihr Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.