“The global upswing could be more sustainable this time”
bto steht ja im Ruf, eher das Glas halb leer als halb voll zu sehen. Vermutlich nicht ganz zu unrecht. Und nicht wenige Leser weisen darauf hin, dass ich nun ja schon seit vier Jahren warne – und dennoch alles gut ist. Vermutlich bleibt es auch so. Die Börsen mögen hoch bewertet sein, doch das ist nun mal so in der neuen Welt der – auch demografisch bedingt – tiefen Zinsen. Was noch stören könnte, wäre neben politischen Konflikten ein Einbruch der Konjunktur. Der Aufschwung ist schon alt, wenn auch nicht sonderlich stark.
In einem Beitrag geht die FT dem Thema vertieft nach. Könnte es sein, dass der Aufschwung nicht nur weitergeht, sondern auch selbsttragender wird?
- “On the positive side, there are signs that some of the headwinds that have suppressed global demand since 2010 may be abating, implying that real interest rates may now be below the equilibrium rate, with secular stagnation beginning to fade somewhat.” – bto: Also, Geld ist jetzt (zu) billig, selbst nach der Taylor-Regel und deshalb zieht auch die Realwirtschaft an. Dies bedeutet aber auch zunehmende Verschuldung als Treiber.
- “On the negative side, there are few signs of recovery on the supply side, and some indications of excess risk taking in asset markets. Some economists are therefore suggesting that the global economy may be ‚bipolar‘, with rising risks that the current period of firm growth in activity could be punctured by a sudden surge in risk aversion in asset markets.” – bto: Der Auslöser dafür könnte aber sowohl aus der Realwirtschaft wie auch aus der Politik kommen. Nicht zu vergessen, die hohe Verschuldung von Konsumenten und Unternehmen, gerade in den USA (die zugleich am höchsten bewertet sind).
- “One approach to forecasting global activity is to use the nowcast models to produce a statistical prediction for the period ahead, along with probability bands. (…) At present, the models suggest that the growth rate will begin to return to trend fairly soon, and will be back down to trend by the end of 2018. This forecast suggests that the current rates of growth are not fully sustainable, though the models do predict a path for output that is slightly firmer than the consensus of macro forecasters.” – bto: Das sind unfallfreie Modelle. Ich finde es sehr wichtig, dass wir das im Hinterkopf behalten.
- Es könnte aber noch besser kommen: “(…) if the factors that have depressed the growth rate since 2010 are losing their power. (…) There is a lot of evidence that output fails to return to trend following a major shock to risk appetite, especially if the financial system is impaired and credit growth is stunted. In addition, fiscal policy was tightened, shifts in income distribution reduced demand among low paid workers and, most important of all, interest rates clashed with the zero lower bound in some economies, notably in Japan and the crisis economies in the euro area. With credit growth slowing in the emerging economies, it is arguable that global monetary conditions were too tight, despite a huge amount of quantitative easing after 2010.” – bto: Man beachte die Argumentation. Zum einen stimme ich voll zu, dass nach einem Finanzschock das Wachstum geringer sein muss. Andererseits steht hier auch die Kreditvergabe als Voraussetzung für Wachstum im Vordergrund. Das ist, wie ich immer wieder schreibe, nicht falsch, setzt aber eine produktive Kreditnutzung voraus, was gerade in den letzten Jahren nicht der Fall war.
- “In the language of the Taylor Rule, policy rates were above the appropriate rate suggested by the rule, and balance sheet expansion was unable to fully compensate for that, even in the US. As a result, global demand grew more slowly than global supply, although supply was also extremely disappointing compared to earlier decades.” – bto: also klar der Punkt, dass wir die Abhängigkeit von immer weiter steigenden Schuldenquoten noch nicht überwunden haben bzw. überwinden wollen.
- “A key symptom of the demand shortfall was declining inflation, which threatened to drop below zero in the advanced economies during the oil shock in 2015.” – bto: Hm, da habe ich immer meinen Hänger, weil ich davon überzeugt bin, dass eine gewisse Tendenz zu fallenden Preisen in unserer Wirtschaftsordnung normal ist. Jeder Versuch, das mit Geldpolitik zu verhindern, führt zwangsläufig zu Fehlallokationen und damit zu größeren Problemen.
- “An important improvement is that the current recovery phase is synchronised across the world, with no major drags from specific problem economies. In particular, the Eurozone is at last expanding strongly, Russia and Brazil have emerged from deep recessions, and a relaxation in deleveraging policy has permitted stronger growth in China.” – bto: Das ist alles getrieben von wieder stärker steigender Verschuldung.
- “In contrast to the period up to about 2015, the level of policy rates in both the US and the Eurozone is now below the rates suggested by many versions of the Taylor Rule. (…) global monetary policy rates seem much closer to the appropriate levels than they have been for some time, and that may release the world economy from the shackles of secular stagnation, at least for a while.”
Quelle: FT
- bto: Bekanntlich sehe ich die Ursache für die säkulare Stagnation mehr in den hohen Schulden und der Demografie verbunden mit geringen Produktivitätszuwächsen als in den von Larry Summers und Mitstreitern angeführten Gründen. Wenn nun mehr Schulden eine Krise, die von zu hohen Schulden ausgelöst wurde, überwinden sollen, wissen wir alle, dass das keine Lösung, sondern eine Verschleppung mit Multiplikatoreffekt ist.
- “While risk aversion is returning to more normal levels in the real economy, it seems to be running at super-normal levels in the financial economy, notably in asset markets. A relatively minor risk shock, for example from geopolitics, could result in a large correction in asset prices, and that might stop the global economic recovery in its tracks. A new model published by Ricardo Caballero and Alp Simsek at MIT (…) concludes that the global economy could be ‚bipolar‘, (…) being unusually vulnerable to risk shock in asset markets (not in the banking sector). That is something different for the central banks, and global investors, to worry about.” – bto: Das Fazit ist also: Das billige Geld kommt nach Jahren in der Realwirtschaft an, allerdings wurden in den letzten Jahren so große Blasen aufgepumpt, dass diese platzen könnten, bevor wir die realwirtschaftlichen Früchte ernten können. Was dann kommt, wissen wir: die Helikopter.
Könnte es nicht sein, dass auch von Seiten der Demografie her in den nächsten 10 -15 Jahren die Inflation anzieht? Vor allem in vielen Bereichen der Industrie und des Handwerks sind eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Arbeitsplätzen mit Babyboomern besetzt. Wenn die mit 65 in Rente gehen wollen, müssen die schon ein paar Jahre davor sich um Nachfolger kümmern. Da die nachkommenden Generationen aber kleiner sind und zudem nicht unbedingt stark industrie- und handwerklastig ausgebildet wurden, könnte hier ein Defizit entstehen, was die Löhne in diesen Sektoren treiben könnte. Und mit steigenden Löhnen steigt auch wieder der Automatisierungsbedarf, womit auch die Produktivität pro Arbeiter/Angestellten zunimmt. Oder wie schätzt die bto-Community das ein?
Meine Einschätzung:
Ich glaube, dass es den von Ihnen angedeuteten Mechanismus gibt. Insofern spricht einiges für höhere Inflationsraten in der Zukunft.
Es gibt auch gegenläufige Wirkmechanismen, die diese Entwicklung möglicherweise sogar kompensieren könnten.
Einer ist die Robotisierung, durch die Arbeitsplätze abgebaut werden.
Außerdem dürfte mit entscheidend sein, wie durch hoffentlich deutlich größere Bildungsanstrengungen das Angebot qualifizierter Arbeitskräfte zunimmt. Das schließt insbesondere Frauen ein, weil da immer noch Potenzial brachliegt.
Weiterhin ist maßgebend, wie sich die globale Wertschöpfung entwickelt und verlagert mit der Konsequenz, in welchem Maß in Deutschland wie investiert wird. Ich gehe davon aus, dass wir nachvollziehen, was wo anders bereits stärker stattgefunden hat – der Abbau von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe.
Es gibt weitere Determinanten, auch welche, die voneinander abhängig sind.
Fazit:
Ich tendiere leicht zu Ihrer Sichtweise, weil ich dem demografischen Faktor ein sehr erhebliches Gewicht beimesse. Aber festlegen würde ich mich nicht. Es ist zu viel im Fluss, um irgendwelche seriöse Prognosen zu wagen.
Die Empirie spricht aber dagegen. In Japan, wo die oben beschriebene demographische Entwicklung schon stattgefunden hat, gibt es eher Deflation als Inflation.
@ MSt
Es gibt sicher Parallelen in der demografischen Entwicklung zwischen Japan und Deutschland, aber dies ist nicht hinreichend, um das zu widerlegen, was ich mit meiner Sichtweise ausdrücke.
Eine schon stattgefundene demografische Entwicklung allein besagt nichts.
Es kommt sehr darauf an, welche ökonomisch relevanten VERHALTENSWEISEN man den arbeitenden Menschen und nicht mehr arbeitenden alten Menschen im jeweiligen Land zuordnet.
Ich glaube, dass diese unterschiedlich sind.
Japan hat eine andere Kultur mit anderer sozio-ökonomischer Prägung, beispielsweise was die Unterstützung der Eltern durch die Kinder anlangt.
Ich weiß nicht, wie stark und damit relevant der Unterschied ist.
Aber Sie müssten dies mit einbeziehen, um Ihre Erwiderung METHODISCH rechtfertigen zu können.
Tut man dies, kommt man möglicherweise zu der Feststellung, dass wir in Zukunft in Deutschland eher mit einer Deflation als Inflation rechnen müssen – dabei ausklammernd, wie sich andere bestimmende Faktoren in Zukunft entwickeln, die es vermutlich aber nicht so tun werden, wie in den letzten Jahrzehnten in Japan.
Ich schließe nicht aus, dass eine derartige Feststellung empirisch gut begründbar ist und Sie recht haben.
Ist es denn wirklich so überraschend, dass es nach dem – auch im historischen Vergleich – extrem starken Wachstumseinbruch im Zuge der Finanzkrise 2007/2009 bei langsamer, zäher Fahrt (max. im 2. Gang, nicht im 3. oder 4.) länger bergauf geht als im Durchschnitt der letzten Zyklen?
Interessant finde ich noch folgende Frage:
In den letzten Tagen wurde hier viel über die sehr hohe/teils extrem hohe Liquidität der Unternehmen berichtet und diskutiert, u.a. vor dem Hintergrund der möglichen Repatriierung im Zuge der US-Steuerreform. Aber auch außerhalb der USA sind viele Unternehmen durch die im Zuge der Finanzkrise enstandene Skepsis ggü. der Verlässlichkeit des Bankensektors in Krisenphasen gebrandmarkt und sorgen selber vor, dass ihre Liquidität und Zahlungsfähigkeit unbedingt sicher gestellt wird, ggf. auch ohne Banken. Wie ordnet sich das ein in die Diskussion um die vermeintliche hohe Schuldenlast (als möglicher neuer Krisenfaktor)?