Schuldenkrise? – Ach was!
Zwei Analysten der Ratingagentur S&P geben Entwarnung: Eine Schuldenkrise stehe uns nicht bevor. Das ist beruhigend. Oder? Schauen wir uns die Argumente an:
- “(…) unter Beschleunigung eines jahrelangen Trends werden die Schuldenquoten von (Staaten, Unternehmen, privaten Haushalten) in diesem Jahr um 14 Prozent auf ein Rekordhoch von 265 Prozent anwachsen. Doch obwohl diese Entwicklung insbesondere im Unternehmensbereich die Gefahr von Insolvenzen und Zahlungsausfällen steigen lässt, hält S&P Global Ratings eine Schuldenkrise auf kurze Sicht für unwahrscheinlich.” – bto: Auf kurze Sicht bin ich damit auch einverstanden. Die Frage ist doch, wie steht es um die mittel- und langfristige Tragfähigkeit.
- “Unserer Ansicht nach wird es auf der Welt wohl zu einer allmählichen (…) Erholung kommen, vorausgesetzt, in einem längerfristig gedämpften Umfeld werden die akkommodierenden Finanzierungsbedingungen beibehalten und das Ausgaben- und Kreditaufnahmeverhalten angepasst. Geht man überdies von einem bis Mitte 2021 weithin verfügbaren Covid-19-Impfstoff aus, so dürfte sich die globale Verschuldung um das Jahr 2023 abflachen.” – bto: Und dann kommt die nächste Krise oder der Green Deal oder … Von so etwas träumen wir doch schon lange.
- “Die Kreditkosten sind überaus günstig, und es scheint wahrscheinlich, dass dies noch lange so bleiben wird. Wir erwarten, dass die Leitzinsen bis 2023 auf einem historisch niedrigen Niveau bleiben werden. (…) Der Schuldenberg wird in allen Staaten größer sein als vor der Pandemie, wobei die steilsten Anstiege in den am höchsten entwickelten Volkswirtschaften zu verzeichnen sein werden. Diese sind jedoch größtenteils wohlhabend, verfügen über starke Finanzmärkte und über beträchtliche monetäre Flexibilität, weswegen sie ihre allgemeine Kreditwürdigkeit bisher erhalten konnten.” – bto: “Monetäre Flexibilität”. Mit anderen Worten – die Notenpresse.
- “Bei den staatlichen Schuldnern wird im Laufe des nächsten Jahres viel vom tatsächlichen Einsatz der aufgenommenen Mittel abhängen. Werden damit produktive Aktivitäten finanziert, das Nationaleinkommen erhöht und die staatlichen Einnahmen gesteigert, unterstützt das letztlich die Tragbarkeit der Schulden und die aktuellen Ratings. Sollte sich die wirtschaftliche Erholung allerdings länger als erwartet hinziehen oder sollten die Regierungen nicht in der Lage sein, ihre fiskalische Situation wieder auf das Niveau der Zeit vor der Pandemie zu bringen, wird sich der negative Druck auf die Ratings erhöhen.” – bto: Ich kann nicht erkennen, dass zur Zeit Maßnahmen ergriffen werden, die das produktive Potenzial stärken.
- “Im Unternehmensbereich haben zahlreiche Großfirmen ihre Mittel aus den neu aufgenommenen Schulden dazu verwendet, die Bargeldbestände in ihren Bilanzen zu erhöhen, um damit Rücklagen auszustatten oder bestehende Verpflichtungen zu refinanzieren. Insgesamt schätzen wir, dass nicht im Finanzbereich tätige US-Firmen mit Investment-Grade-Rating etwa drei Viertel des in der ersten Hälfte des Jahres 2020 aufgenommenen Geldes in ihren Bilanzen behalten haben. In Europa liegt dieser Wert bei etwas über 50 Prozent.” – bto: Sie haben also gebunkert, weil sie nicht wissen, was noch auf sie zukommt. Ist ja vernünftig.
- “Dies gilt nicht für Unternehmen am unteren Ende der Rating-Skala oder für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere in den Branchen, die direkt von den Vorschriften zur sozialen Distanzierung und der pandemiebedingten Rezession betroffen sind. Sie kämpfen ums Überleben und nehmen Kredite auf, um Einnahmeausfälle zu kompensieren oder den Bedarf an Working Capital zu decken.” – bto: Und deshalb braucht man in diesem Segment auch intelligentere Regelungen – im Kern einen Schuldenerlass.
- “Haushalte verschulden sich oft bald nach Einkommensverlusten noch mehr. Im Laufe vergangener Abschwünge haben sie sich jedoch bald an konservativere Ausgabenmuster angepasst und dadurch das Schuldenwachstum verlangsamt. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen prognostizieren wir, dass sich nach einigen schrittweisen Verbesserungen im nächsten Jahr die globale Schuldenquote Haushalte bis Ende 2023 bei etwa 66 % stabilisieren wird.” – bto: auch hier mit erheblichen regionalen Unterschieden.
- “Einige Sektoren operieren weit unter ihren vorhandenen Kapazitäten. Das belastet wiederum die Überlebensaussichten der Unternehmen und infolgedessen auch die Perspektiven im Hinblick auf Beschäftigung und Kredite. Somit bleiben die kurzfristigen Aussichten besorgniserregend, insbesondere für Kreditnehmer am unteren Ende der Bonitätsskala oder in anfälligen Branchen. Gleichwohl können wir gewissen Trost aus der Erkenntnis schöpfen, dass eine umfassende Schuldenkrise vielleicht nicht annähernd so wahrscheinlich ist, wie viele befürchten.” – bto: und dies nur, weil Geld auf Dauer nichts kosten wird. So zumindest S&P.
→ project-syndicate.org: „Eine Schuldenkrise steht nicht unmittelbar bevor“, 27. Oktober 2020