„Griechenlandkrise: gefangen in der Eurozone“
Ein sehr guter Kommentar auf SPIEGEL ONLINE, der viele Fans gefunden hat. Dennoch hier die Highlights des Beitrages von Wolfgang Streeck, der durch seine Klarheit besticht. Nicht in allen Punkten teile ich seine Sicht. Es ist mir etwas zu viel Schwarz-Weiß, vor allem wenn er „neoliberale“ Politik als Ursache allen Übels ausmacht. Denn in mehr Staat liegt die Lösung auch nicht. Was wir brauchen ist „Neoliberalismus“ für die Realwirtschaft und Begrenzung des Finanzsektors, entweder durch Vollgeld oder aber eine klare Rückkehr zu privatem Risiko durch kleinere Banken, die auch pleitegehen können. Vor allem müssen wir die Kreditvergabe an der Realwirtschaft orientieren und nicht für Immobilienkäufe und Spekulation.
Doch nun zum Beitrag:
- „Die selbst ernannten ‚Europäer‘ im sicheren Norden haben die Verzweiflung der Griechen nach dem Scheitern des frivolen Experiments ihrer Auf- und Übernahme in die Währungsunion ebenso unterschätzt wie ihre Wut darüber, im eigenen Land zu Objekten von Brüsseler Geheimverhandlungen gemacht zu werden. Ob freilich die Brüsseler Profis aus ihrer Niederlage gegen die Athener Amateure etwas lernen werden, darf man bezweifeln. Eher werden sie versuchen, die versäumte vorbeugende Absetzung der griechischen Regierung doch noch nachzuholen.“ – bto: Da bin ich mittlerweile auch schon sehr skeptisch geworden.
- „Das heißt auf Deutsch: Es wird richtig teuer. Was den an den innereuropäischen Goldstandard gefesselten Griechen fünf Jahre lang geboten wurde, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel – und dass der Weg zur Erhaltung oder gar Erhöhung ihres Wohlstands über seinen auf unabsehbare Zeit weitergehenden Abbau führen soll, wollten die neoklassisch uneingeweihten Griechen partout nicht kapieren.“ – bto: Naja, man darf schon daran erinnern, dass das Land seit Jahrzehnten über die eigenen Verhältnisse lebt.
- „Da der deutschen Presse zufolge Leuten wie Tsipras alles zuzutrauen ist, einschließlich eines finanziellen Selbstmordattentats in Gestalt einer einseitig erklärten Insolvenz, werden Kröten im Akkord zu schlucken und Schulden ohne Ende zu erlassen sein – vielleicht als Zahlungsaufschub ad calendas graecas. Und im Vergleich zu dem Wachstums- und Stabilitätsprogramm, das nach der Niederlage im Nervenkrieg gegen Syriza als Reparation fällig werden wird, könnten sich die wenigen, ohnehin fiktiven Juncker-Milliarden sehr schnell als Peanuts erweisen.“ – bto: Das sehe ich genauso. Die Verhandlungsstrategie der Gläubiger ist gescheitert.
- „Bleibt Syriza bei ihren Forderungen, dann könnte auf beiden Seiten ein fruchtbarer Lernprozess beginnen: In ‚Europa‘, insbesondere in Deutschland, könnte die Einsicht wachsen, dass eine Hartwährungsunion mit demokratisch organisierten Weichwährungsgesellschaften nur als eben jene auf Dauer gestellte Transferunion möglich ist, vor der uns die neoliberalen Eurogegner immer gewarnt haben; … “ – bto: Man muss nicht neoliberal sein, um eine solche Transferunion abzulehnen. Dazu genügt es, ein Deutscher zu sein, dem vor den Billionen an ungedeckten Verbindlichkeiten des deutschen Staates graut und der den eigenen Wohlstand nicht dafür und für die Energiewende und für die Eurorettung verwendet sehen möchte!
- „ … und in Griechenland würde klar werden, dass das, was in Brüssel und Berlin zu holen ist, auf Jahrzehnte – und das heißt praktisch: für immer – weit hinter dem zurückbleiben wird, was auch nur für die Restaurierung des Wohlstandsniveaus von vor der Krise gebraucht würde.“ – bto: aha. Kein Wort dazu, dass dieses Wohlstandsniveau nur deshalb existierte, weil sich Griechenland jedes Jahr mehr als zehn Prozent vom BIP im Ausland geliehen hat??? Das kann doch nicht das Ziel sein, selbst bei größten Sympathien für Griechenland nicht.
- „‚Solidarität‘ über nationale Grenzen hinweg von Gesellschaften zu erwarten, die sich immer schwerer damit tun, Solidarität innerhalb ihrer Grenzen zu praktizieren – von fiskalisch konsolidierenden Hochleistungsgesellschaften, geprägt von einem sich ständig verschärfenden Rattenrennen um Geld und ‚Karriere‘ und mit wachsenden, vom Dauerwettbewerb aussortierten Unterschichten – ist, mit Talleyrand, schlimmer als eine Sünde: Es ist ein Fehler.“ – bto: Ich denke, es ist menschlich und nicht erst die Folge von Dauerwettbewerb. Zudem vergisst der Autor, dass den „aussortierten Unterschichten“ Hunderte von Millionen Menschen gegenüberstehen, die in der Welt der Armut ankommen. Das nennt sich Globalisierung.
- „Wenn die Griechen ihre neu gemischten Karten klug spielen, werden sich die Kosten der Währungsunion für die deutschen Steuerzahler endgültig nicht mehr verstecken lassen. Dass diese weiterhin bereit sein werden, die Marktzugangsgebühren für die deutsche Exportindustrie im Euroland und den Preis für den aberwitzig niedrigen Außenwert der in Deutschland geltenden Währung zu entrichten, ist alles andere als sicher; nicht jeder arbeitet schließlich beim Daimler.“ – bto: Hier stimme ich bekanntlich zu.
- „Dabei ist wohl nicht zufällig aus dem Blick geraten, dass das eigentliche Problem die Konstruktion der Währungsunion ist und bleiben wird, die nach dem Vorbild des Goldstandards Griechenland – und den Ländern des Mittelmeerraums insgesamt – die Möglichkeit einer flankierenden Unterstützung wirtschaftlicher Anpassung mittels Abwertung ihrer Währung verwehrt.“ – bto: stimmt.
- „Solange es die Währungsunion gibt, wird selbst die Erhaltung des gegenwärtigen Abstands zwischen den reichen und armen Mitgliedstaaten, von der erhofften wirtschaftlichen Konvergenz zu schweigen, nur durch wie immer deklarierte Ausgleichs-, Unterstützungs-, Hilfs- und sonstige Zahlungen überhaupt vorstellbar sein. Gewährt werden derartige Mittel in der realen Welt aber nur gegen Kontrolle, also verbunden mit tiefen Eingriffen von oben, in die staatliche Souveränität der Empfängerländer. Dabei ist abzusehen, dass diese die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel als unzulänglich und das im Gegenzug verlangte ‚Durchregieren‘ des Nordens in ihre inneren Angelegenheiten als exzessiv empfinden und die Geberländer umgekehrt sich zugleich materiell überfordert und politisch übervorteilt fühlen werden. Entlang dieser Linie wird sich die Innenpolitik der Währungsunion stabil nationalistisch polarisieren.“ – bto: genau.
- „Deutschland, das die Währungsunion nicht gewollt hat, gilt als deren Folge heute als Zwingherr und Zuchtmeister der europäischen Völker. Die nicht zuletzt aus den USA herüberkommende Moralisierung der Makroökonomie – gerne aufgegriffen in den Kanzlerbezichtigungen der deutschen Linken – hat die öffentliche Meinung in allen europäischen Ländern, auf die es ankommt, davon überzeugt, dass die Krise in Griechenland und anderswo nicht Teil der globalen Krise des ablaufenden Finanzkapitalismus ist, sondern auf den Unverstand oder den Sadismus, die schwäbische Hausfrauenmentalität oder den imperialistischen Herrschaftsanspruch der deutschen und ihrer Regierung, und am besten auf alles auf einmal, zurückgeht. So weit hat es die deutsche Politik mit ihrer Sakralisierung der Währungsunion als Emanation der ‚europäischen Idee‘ gebracht.“
- „Vielleicht ist das, was wir heute erleben, nichts anderes als die europäische Vorschau auf eine bevorstehende globale Schulden- und Wachstumskrise – von Detroit über Puerto Rico, wo unter der Aufsicht der Vereinigten Staaten gerade ‚Austerität‘ durchgesetzt wird, über Brasilien und Russland bis hin zu China mit seinem gigantischen, durch eine tiefe Rezession weiter vergrößerten Schuldenberg. Schulden überall, und möglicherweise längst jenseits des noch verbliebenen, schrumpfenden Wachstumspotentials. Vielleicht ist Griechenland nur einer der immer zahlreicher werdenden Plätze am Rande des Imperiums, wo das Kartenhaus der leeren, in immer neuen ‚Finanzinnovationen‘ verbrieften Versprechungen, auf das unser Wohlstand gebaut ist, zusammenzubrechen beginnt?“ – bto: Ja, genau das ist es. Es kann aber noch eine Weile dauern, mit immer neuen Kompromissen und immer mehr Schulden. Eine Weile, nicht auf Dauer.
→ SPIEGEL ONLINE: Griechenlandkrise: Gefangen in der Eurozone, 8. Juli 2015