Glaubensstreit unter deutschen Ökonomen
Ich habe mich verschiedentlich sehr kritisch mit den Einlassungen von Ökonomen zur Flüchtlingskrise auseinandergesetzt. Flüchtlinge sind keine Einwanderer und deshalb auch keiner Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen. Tut man es doch, so muss man es allerdings solide machen mit ehrlichen, transparenten, nachvollziehbaren und realistischen Annahmen. Nicht immer ist das der Fall.
Die NZZ berichtet vom „Glaubensstreit unter deutschen Ökonomen“ wobei der Titel schon entlarvend ist. „Glauben“ ist nicht die richtige Basis, finde ich, um als Experte politische Entscheidungen von massivster ökonomischer und sozialer Tragweite zu untermauern. Ich finde, wenn man im Nebel stochert, sollte man vorsichtig sein, mit dem, was man prognostiziert.
Hier ein paar Highlights der NZZ:
- „Wenn man überlege, wie man den Mangel an Facharbeitern in Deutschland angehen solle, würde man kaum auf die Lösung kommen, eine grosse Zahl von Flüchtlingen ins Land zu holen.“ – bto: genau. Flüchtling ist ungleich Zuwanderer. Der eine braucht Schutz, der andere wird gesucht, um das Arbeitskräfteangebot zu verbessern.
- „Da aber die Flüchtlinge nun in Deutschland seien, müssten sie rasch in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden.“ – bto: wie von allen gefordert, auch in meinem 10-Punkte-Programm. Nur: Was tut die Politik dafür bis jetzt?
- „Der Mindestlohn von € 8.50 je Stunde, der in Deutschland seit Anfang 2015 gilt, könnte sich hier als grosses Hindernis erweisen. (…) Wenn das Arbeitsangebot durch die Einwanderung plötzlich stark steigt, wächst nicht automatisch auch die Nachfrage durch die Firmen. In diesem Fall muss der Preis für Arbeit sinken. Wird dies aber durch den Mindestlohn verhindert, erhalten schlecht qualifizierte Personen gar keine Chance.“ – bto: Das ist eine so einleuchtende Feststellung, dass ich mich frage, wieso dies zu einem Glaubenskrieg wird. Das Problem ist ein anderes: Hebt man den Mindestlohn auf, so macht dies den (ohnehin zu erwartenden Verteilungskampf) für die Betroffenen sofort sichtbar und nicht erst schleichend. Dies könnte die Stimmung kippen lassen.
- „Wie gross die Hürde Mindestlohn sein könnte, zeigt eine Studie von Gabriel Felbermayr (…): Demnach verdiente 2013 knapp die Hälfte dieser Migranten (25 bis 55 Jahre) weniger als die € 8.50 je Stunde, für Einheimische betrug dieser Anteil dagegen nur 12%. Selbst wenn sie schon zehn Jahre im Land waren, erhielt ein Fünftel der Migranten weniger als den Mindestlohn. Dazu kommt, dass 43% der Migranten aus ‚nichtwestlichen Ländern‘ kein Arbeitseinkommen hatten, bei den Einheimischen waren es nur 16%.“ – bto: Da wird es nicht leicht mit der erfolgreichen Integration.
- „Die niedrigen Löhne der Migranten hängen zusammen mit mangelnden Qualifikationen und Sprachkenntnissen. Zwar weiss man noch wenig über den Bildungsrucksack, den die Einwanderer mitbringen. Es gibt jedoch Umfragen in Flüchtlingscamps in der Türkei sowie in Syrien von der Unesco. Aus diesen Zahlen leitet Felbermayr ab, dass mindestens 46% der Flüchtlinge nicht über Basiskenntnisse verfügen, die mit westlichen Bildungsstandards vergleichbar sind.“ – bto: So viel zu euphorischen Annahmen bezüglich künftiger Erwerbsbeteiligung und Gehälter.
- „Diese zurückhaltenden Einschätzungen stehen in starkem Kontrast zu einer schon fast euphorischen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). (…) Die positiven Resultate stammen zu einem guten Teil von keynesianischen Effekten: Die zusätzlichen Staatsausgaben kurbeln die Wirtschaft an.“ – bto: Klartext: Das hätten wir auch ohne Flüchtlinge haben können, für bessere Infrastruktur, mehr Sozialleistungen, tiefere Steuern.
Was von den Berechnungen des DIW im Einzelnen zu halten ist, morgen auf bto.
→ NZZ: „Glaubensstreit unter deutschen Ökonomen“, 11. November 2015