«Die Europäer lassen ihre Wirtschaft abstürzen»
Richard Koo im Interview mit der FINANZ und WIRTSCHAFT. Bekanntlich bin ich ein großer Freund seiner Theorie der Bilanzrezession, aber kein Anhänger seiner Lösungsvorschläge. Wir können aus der Bilanzrezession ‒ also einer Überschuldungssituation ‒ nicht durch noch mehr Schulden entkommen. Dennoch hier die Highlights:
- “In einer Bilanzrezession muss man die Wirtschaft davon abhalten, in eine Deflationsspirale zu fallen. In solch einer Situation sind Strukturreformen kein Ersatz für sofortige Impulse durch Staatsausgaben.” ‒ bto: Sehe ich ganz genauso. Aber ich denke, es ist nicht möglich, man kann den Prozess nur verlangsamen, nicht verhindern.
- “Die europäischen Länder beschränken freiwillig ihre Staatsausgaben und lassen damit ihre Wirtschaft über die Fiskalklippe stürzen, was sehr traurig ist. In Amerika wurde die japanische Lektion dagegen verstanden. (…) Das ist der Grund, warum die USA nun viel besser dastehen als Europa, das nicht aus dem japanischen Fehler von 1997 gelernt hat. Ein Fiskalstimulus ist wichtig, da der Staat der einzige Schuldner ist, der in einer Bilanzrezession noch übrig bleibt.” ‒ bto: Stehen die USA wirklich gut da? Besser als Europa sicherlich, aber die Schulden sind auch nicht so hoch. Ich denke, es ist zu früh, den Sieg der USA über die Schuldenkrise zu verkünden!
- “Weltweit sind die Märkte vom QE abhängig geworden. Jedes Mal, wenn sie QE hören, gehen die Aktienkurse nach oben, und die Währung wertet sich ab. Dahinter steht die Idee, dass die von der Notenbank bereitgestellte Liquidität in die Realwirtschaft fliessen wird. Aber in den USA, Grossbritannien oder Japan ist die Kreditvergabe an den Privatsektor nach diesen Programmen nicht allzu stark gewachsen.” ‒ bto: genau: Geldpolitik wirkt nicht, da bin ich mit Koo einer Meinung!
- “… die Peripherieländer sollten die niedrigen Marktzinsen für einen Fiskalstimulus nutzen. Aber Mario Draghi fordert weiterhin, auch wenn die Renditen gefallen seien, sollten die Staatsdefizite weiter gesenkt werden. Demnach können die Länder den Vorteil der niedrigen Renditen nicht nutzen. (…) Wenn der Privatsektor trotz Nullzinsen Schulden zurückzahlt, muss der Staat Geld ausgeben, um die Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren. Es scheint, dass Europa zu weit von Japan entfernt ist, um die Botschaft zu hören.” ‒ bto: Hier trennen sich die Wege von Koo und Stelter. Nein. Man kann sich aus der Pleite nicht retten, indem man noch mehr Schulden macht!
- “Keynes hat nie verstanden, dass ein Fiskalstimulus nur verwendet werden darf, wenn der Privatsektor Bilanzprobleme hat. Hat der Privatsektor keine solchen Probleme, kann die Geldpolitik mit niedrigeren Zinsen gegen die Rezession angehen. Aber alle paar Jahrzehnte spielt der Privatsektor verrückt und schafft eine riesige Blase. Platzt die Blase, kommen wir in die Welt der Bilanzrezession.” ‒ bto: ja. Fiskalpolitik wäre heute richtig, hätten die Staaten in den guten Zeiten gespart ‒ haben sie aber nicht!
- Zu Japan: “Nach fünfzehn Jahren, in denen die Leute Schulden zurückgezahlt haben, sind sie es so leid, dass sie keine Kredite aufnehmen – obwohl ihre Bilanzen sauber sind, die Zinsen so tief stehen wie noch nie in der Menschheitsgeschichte und die Banken willig sind. Man muss den Privatsektor von seinem Trauma befreien.” ‒ bto: Oder der Privatsektor ahnt die gigantischen Vermögensverluste, wenn der Staat seine Bilanz bereinigt??
Für Koo bleibt eine steigende Kreditnachfrage des Privatsektors entscheidend: “Es muss sicher sein, dass der Privatsektor sich wieder Geld leiht. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, verschlimmert die Politik nur die Wirtschaftslage. Genau das geschieht nun in vielen europäischen Ländern.” Ich denke, solange können wir in Europa nicht warten, weil wir es politisch nicht durchstehen. Wir müssen die Schulden aus der Welt schaffen.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: «Die Europäer lassen ihre Wirtschaft abstürzen», 3. März 2015