„Bedrohte Stadt“

Der Terrorismus wird unser Leben verändern. Dies ist nirgendwo so sichtbar wie im öffentlichen Raum der Stadt, meint die NZZ in diesem Beitrag, der mal etwas Anderes ist für bto:

  • „Der Geograf Simone Tulumello, der am Instituto de Ciências Sociais der Universität Lissabon zur Sicherheit in Städten forscht, sagt im Gespräch mit der NZZ, es sei ein ‚Problem für das urbane Leben, wenn sich Notstandsmassnahmen in naturalisierte Praktiken verwandeln. Deren Folge sind eine Begrenzung der kollektiven Nutzung öffentlicher Räume und Mobilitätsrechte, speziell für nichtweisse Bürger, sowie eine Reduktion der Partizipation.‘“
  • „Zwischen Freiheit und Sicherheit bestehe immer eine Güterabwägung. Die Perpetuierung der Sicherheitsmassnahmen berge jedoch die Gefahr, dass die Bürger den Verlust ihrer Freiheit stillschweigend akzeptierten und die Präsenz der Einsatzkräfte als normal hinnähmen.“
  • „Wird der Ausnahmezustand zum Dauerzustand? London jedenfalls rüstete vor den Olympischen Spielen 2012 gewaltig auf: 12 000 Soldaten, Boden-Luft-Raketen rund um den Olympiapark und ein Kriegsschiff auf der Themse wurden eingesetzt. Rio will vor den Olympischen Spielen im nächsten Jahr sogar 46 000 Soldaten mobilisieren.“
  • „Wenn öffentliche Plätze nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen zugänglich sind, werden sie faktisch zu No-go-Zonen. Der freie Fluss von Personen, Waren und Ideen, die Mobilität, all die Dinge, die unser städtisches Leben ausmachen, kommen zum Erliegen. Die Stadt droht sich selbst abzuschaffen.“
  • Graham: „Versuche, die Mélange einer Stadt in ein System von gesicherten Übergangspunkten überzuführen, wo jede Person überwacht, befragt und mit einer Gesichts- oder ID-Datenbank abgeglichen wird, könnten das urbane Leben unerträglich machen.“
  • „‚Nicht-Orte‘ nannte der französische Anthropologe Marc Augé identitätslose Räume wie Shoppingmalls oder Flughäfen. Auch Transitzonen, die jüngst für Flüchtlinge in Ungarn eingerichtet wurden und in Deutschland in der Diskussion waren, haben ihr Vorbild in internationalen Flughäfen. Und dort gilt bekanntlich ein eingeschränktes Demonstrationsrecht – ist das der Preis, den man für mehr Sicherheit bezahlt? ‚Die Idee des offenen und freien Zugangs zu Gebäuden und öffentlichen Plätzen wird immer mehr gefiltert‘“
  • „‚Die Sorge ist‘, sagt Graham, ‚dass Regierungen und der ganze militärisch-industrielle Komplex, der seit dem ‹war on terror› aufkeimt, Städte so umbauen, dass die porösen, offenen und unvorhersagbaren Räume und Systeme zu einer endlosen Serie von sichtbaren und unsichtbaren Sicherheitspassagen werden.‘“
  • „Es besteht aber auch die Befürchtung, dass durch die Sicherheitsmassnahmen neue Gated Communities entstehen: abgeschottete Siedlungen, die zum Hochsicherheitstrakt gerüstet werden. Das noble 7. Arrondissement rund um den Eiffelturm in Paris wirkt schon jetzt wie eine Festung. Diese Parzellierung des städtischen Raums führt genau zu jener Spaltung, die die Terroristen mit ihren perfiden Anschlägen anstreben. Eine Architektur der Angst wird zementiert.“
  • „(…) je mehr eingezäunten urbanen Raum man schafft – sowohl für die Reichen in Form von Gated Communities als auch für Arme durch die Marginalisierung der Peripherien –, desto mehr erhöht man die Angst, den wechselseitigen Verdacht und die Ressentiments, die die Ingredienzen für terroristische Netzwerke bilden.“
  • „‚Wie wir in New York, London und Paris sehen, sind sensible Orte wie Metrostationen oder Museen bereits hoch gesichert. Der nächste Schritt ist, dass Vergnügungseinrichtungen geschützt werden.‘ Drohnen würden überall zum Einsatz kommen, selbst in ruhigen Nachbarschaftsgebieten, um explosive Gegenstände aufzuspüren. Neue Tracking-Methoden würden angewandt, von Kartenkrediten bis hin zu Identitätserkennungssystemen, mit denen Einkäufe zurückverfolgt und ein detailliertes Bewegungsprofil erstellt werden könnten.“

→ NZZ: „Bedrohte Stadt“, 24. November 2015

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