Wir können uns unser Gesundheitswesen nicht mehr leisten
Die Zukunft des Gesundheitssystems ist kein Wahlkampfthema. Nur kurzzeitig war es in den Schlagzeilen, als Robert Habeck den nicht durchdachten Vorschlag in den Raum stellte, auch Kapitaleinkünfte zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen heranzuziehen. Nach dem Motto: Wir erschließen neue Finanzquellen, um das System am Laufen zu halten.
Wäre das deutsche Gesundheitssystem nicht ausreichend finanziert, sollte man in der Tat über mehr Beiträge nachdenken. Die Wahrheit ist aber eine andere. Im Vergleich gibt Deutschland mit 8.440 US-Dollar pro Kopf zwar deutlich weniger aus als die USA (13.432 USD) und etwas weniger als die Schweiz (9.688 USD) und Norwegen (8.996 USD), aber deutlich mehr als Frankreich (7.136 USD), Großbritannien (6.023 USD) und Italien (4.832 USD).
Diese höheren Kosten schlagen sich aber nicht in einer höheren Lebenserwartung nieder. Deutsche (Männer: 79,21 Jahre, Frauen 83,88 Jahre) leben genauso lange wie Briten (Männer: 79,54 Jahre, Frauen 83,33 Jahre) und kürzer als Franzosen (Männer: 80,59 Jahre, Frauen 86,20 Jahre) und Italiener (Männer: 81,75 Jahre, Frauen 85,87 Jahre). Dass die US-Amerikaner trotz deutlich höherer Ausgaben eine noch geringere Lebenserwartung haben (Männer: 77,05 Jahre, Frauen 81,98 Jahre), unterstreicht, dass es nicht darum geht, wie viel Geld für das Gesundheitssystem ausgegeben wird, sondern darum, die Mittel richtig zu verwenden.
Angesichts der ungünstigen demografischen Entwicklung in Deutschland muss die Politik möglichst rasch grundlegende Reformen angehen, statt immer mehr Mittel für ein offensichtlich ineffizientes und vor allem ineffektives System zu mobilisieren. Tut sie das nicht, drohen die Kosten in wenigen Jahren zu explodieren.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Das deutsche Gesundheitssystem verfügt über erhebliche Effizienzreserven. Spricht man mit Vertretern wie Jens Baas, dem Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse, muss man zu dem Schluss kommen, dass wir es auch hier – wie in so vielen Bereichen, in denen der Staat das Sagen hat – nicht mit einem Erkenntnis-, sondern mit einem Handlungsproblem zu tun haben.
Beispiel Krankenhäuser: Nach Daten der OECD gibt es in Deutschland 7,98 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner, in Frankreich 5,89 und in Italien 3,14. Parallel dazu gibt es natürlich auch entsprechend mehr Pflegekräfte, die diese Krankenhausbetten versorgen. Nun könnte man denken, dass die bessere Ausstattung mit Krankenhausbetten auch zu einer besseren Versorgung der Patienten führt.
Im Vergleich mit Großbritannien, wo es nur 2,5 Betten pro 1000 Einwohner gibt, stimmt das zweifellos. Aber nicht im Vergleich mit Frankreich, Italien oder gar der Schweiz (4,63). Im Gegenteil spricht viel dafür, dass an Patienten unnötige Behandlungen durchgeführt werden und die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus länger dauert als medizinisch erforderlich.
Die Kapazität schafft sich so die Nachfrage – und treibt die Kosten für uns alle. Gelänge es – wie in der aktuellen Krankenhausreform angestrebt –, die Bettenzahl zu reduzieren, hätten wir nicht nur geringere Kosten, sondern zugleich eine Entlastung der Pflegekräfte und ein besseres Ergebnis für die Patienten.
Auch sonst sind die Effizienzreserven gigantisch. So beziffert McKinsey in einer aktuellen Studie das Einsparungspotenzial durch Digitalisierung auf rund zwölf Prozent der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten von zuletzt 343 Milliarden Euro. Das sind immerhin 42 Milliarden Euro oder monatlich 47 Euro je gesetzlich Versicherten.
Das Gesundheitswesen ist nur ein weiteres Beispiel für die mangelnde Bereitschaft der Politik, in den Konflikt mit Interessenvertretern und Bürgern zu gehen, obwohl es im Interesse der Allgemeinheit ist. Mit Blick auf die leeren Kassen, die demografische Entwicklung und die schlechte Wirtschaftslage ist offensichtlich: Wir können uns das nicht mehr leisten.