„Andere zahlen die Rechnung“
Dieser Kommentar von mir erschien am 19. August 2015 im Handelsblatt:
Deutschland hat derzeit keine gute Presse. Nobelpreisträger wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz, aber auch Meinungsmacher wie Ambrose Evan-Pritchard vom Daily Telegraph und Martin Wolf von der FINANCIAL TIMES fordern lauthals eine Politikwende in Europa. Vor allem Deutschland solle endlich aufhören, immer mehr Sparen zu fordern und stattdessen seiner Rolle gerecht werden, die Kosten für die Eurorettung zu übernehmen.
Doch woher kommt diese kritische Sicht auf die deutsche Position? Man könnte fast glauben, die wirtschaftliche und politische Schwächung Deutschlands wäre das eigentliche Ziel, als unweigerliche Folge der von diesen Stimmen immer wieder propagierten hohen Transferzahlungen. Als würde die Umverteilung von Geld die Probleme des Euros lösen können.
Als Rechtfertigung dient die momentan gute Lage der deutschen Wirtschaft, die dabei zugleich als Hauptursache für die Probleme der Krisenländer identifiziert wird. Im Grunde schwebt diesen Visionären also eine Art Kompensationsgeschäft vor. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass es vor allem die Exporte außerhalb der Eurozone sind, die den Aufschwung in Deutschland tragen.
Auch wenn es in hiesigen Medien immer wieder darum geht, die Perspektiven der amerikanischen und britischen Auguren auszuleuchten, kommt die eigentlich interessante Perspektive viel zu kurz: Wie ist die Einstellung Großbritanniens als Finanzzentrum Europas zum Euro?
Obwohl die Londoner Banker wissen, dass der Euro in heutiger Form nicht funktionieren kann, fürchten sie das Ende, welches erhebliche Verwerfungen an den Finanzmärkten mit sich bringt. Hohe Vermögensverluste sind sehr wahrscheinlich. Das Ende des Euros oder eine deutlich verkleinerte Eurozone bedeutet zugleich das Ende für den integrierten Kapitalmarkt. Finanzgeschäfte würden wieder deutlich teurer.
Diese Entwicklungen träfen die City of London direkt. Dort arbeiten immerhin 1,4 Millionen Menschen im Finanzsektor. Das sind fast doppelt so viele Menschen als in der gesamten deutschen Automobilbranche. Londoner Banker und Politiker haben hart daran gearbeitet, Londons Position als Finanzhauptstadt Europas zu festigen, obwohl das Königreich nicht Mitglied im Euro ist. Oder gerade deshalb, weil es nicht Mitglied im Euro ist.
Unstrittig dürften britische wie auch internationale Banken mit Sitz in London die Hauptnutznießer des Euros gewesen sein. Sie sind es noch heute. Sie profitierten zunächst vom „Konvergenz-Trade“ in den 1990er-Jahren, als sich die Zinssätze in Europa mit Blick auf die kommende Euroeinführung immer mehr annäherten. Der sich anschließende Verschuldungsboom, der mit der Euroeinführung folgte und weite Teile Europas erfasste, bot ebenfalls üppige Möglichkeiten für Londons Banken, Geld zu verdienen. Nicht zu unterschlagen ist dabei etwa die Hilfe für die griechische Regierung, um mit gefälschten Zahlen in den Euro aufgenommen zu werden. Eine wirklich herausragende Beratungsleistung.
Mit Beginn der Eurokrise kam es keineswegs zu einem Ende der boomenden Geschäfte. Im Gegenteil: Nachdem die EZB mit dem Versprechen hervortrat, „alles Erdenkliche zu tun“, gab es erneut die Möglichkeit risikoloser Geschäfte mit Traumrenditen.
Während die Euroländer immer verzweifelter nach einer Lösung suchen, kommentieren Banker und Medien aus London die Entwicklung nicht uneigennützig. Seit Menschengedenken schafft Unsicherheit ja Chancen im Handel. Und je länger die Party andauert, desto besser für alle Finanzmarktakteure. Deshalb sollten wir den Rat aus der angelsächsischen Welt auch in diesem Kontext sehen. Der Euro bietet einen großen Markt und erhebliche Gewinnmöglichkeiten für die Finanzelite.
Der verzweifelte Versuch den Euro zu retten, dürfte London noch auf Jahre hinaus gute Geschäfte ermöglichen. Ein wahres Geschenk der EZB und der Europolitiker an Banker und Spekulanten. Das Beste daran aus Londoner Sicht: Dies ist eine Party, für die jemand anderes bezahlt und dem man dann auch noch die Schuld dafür geben kann, wenn der unweigerliche Kater kommt. Den vermeintlich dickköpfigen Deutschen, die ohnehin nichts von Wirtschaft verstehen.
Kein Wunder, dass die City für den Euro ist, während England selber nicht mitmacht. Eine wirklich gute Handelsnation braucht ja kein Klubmitglied zu sein. Wie es sich für einen Außenstehenden gehört, betonen die Briten darum auch immer wieder, keinen finanziellen Beitrag zur Lösung der Eurokrise leisten zu wollen. Profite aus dem verzweifelten Kampf um den Euro einstreichen? Das schon.
Seite_48_Handelsblatt_2015-08-19
PDF/756 KB/21.8.2015