Wache Unternehmen treiben die Deindustrialisierung
Morgen (22. Januar 2023) habe ich erneut Prof. Hans-Werner Sinn in meinem Podcast zu Gast. Thema ist unter anderem die drohende Deindustrialisierung Deutschlands. Sie ist nach Auffassung des medial wohl einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, Marcel Fratzscher, ein „Popanz“. „Es ist letztlich ein Schreckgespenst, das aufgebaut wird, um der Politik Geld aus den Rippen zu leiern.“ So Fratzscher im Gespräch mit der Augsburger Allgemeine zum Jahresende.
Im Handelsblatt legte er dann nach, weil es ja eine so schöne These ist. Die Highlights:
- „Aktuelle Zahlen deuten nicht darauf hin, dass der Untergang ganzer Industriezweige unmittelbar bevorsteht. Dennoch: Verschläft die deutsche Wirtschaft weiterhin die ökologische Transformation und die Digitalisierung, könnte eine Deindustrialisierung in zehn bis 15 Jahren tatsächlich Realität werden.“ – bto: Wir halten fest: Es ist aktuell kein Thema. Wenn überhaupt, ist es künftig ein Thema, aber nicht, weil die Politik schlechte Rahmenbedingungen schafft, sondern weil die Wirtschaft – diese Looser – es mal wieder verschläft.
Kurzer Exkurs zu den Rahmenbedingungen. Diese Meldung kam am Montag rein:
- „Laut Ökonomen ist es um den Standort Deutschland schlecht bestellt. Mit den Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa und Skandinavien kann er kaum noch mithalten. Das zumindest geht aus einem neuen Standort-Ranking des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen für das Jahr 2022 hervor. Darin steht die Bundesrepublik so schlecht da wie noch nie seit der erstmaligen Erhebung des Rankings im Jahr 2006 – und auch andere Studien machen wenig Hoffnung.“ – bto: Wir werden konsequent nach hinten durchgereicht – kein Wunder.
- „Deutschland kommt in dem ZEW-Standort-Ranking unter 21 Ländern auf den 18. Rang. Nur Ungarn, Spanien und Italien schneiden demnach noch schlechter ab. Insgesamt zeige sich ‚ein ernüchterndes Bild des deutschen Standorts‘, heißt es in der Studie. Insgesamt ist Deutschland in den vergangenen 13 Jahren um sechs Rangplätze abgerutscht. Schlechter hat sich kein anderer untersuchter Standort in diesem Zeitraum entwickelt.“ – bto. Aber kein Grund zur Sorge. Die Unternehmen sollen aufhören zu schlafen, meint Fratzscher.
Und woran liegt der Absturz?
- „Insbesondere bei Steuern, Regulierung und Infrastruktur hat der ‚Standort D‘ demnach an Boden verloren. Auch das Verhältnis von Arbeitskosten und Produktivität zeigt einen ungünstigen Trend im Vergleich zu den Wettbewerbern. Im Bereich Energie liegt Deutschland wegen der hohen Strompreise nur auf Platz 18, bei der Steuerlast für Familienunternehmen rangiert Deutschland sogar auf dem vorletzten Platz.“ – bto: Deshalb sieht Herr Fratzscher dringenden Bedarf bei einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, der Vermögenssteuern und -abgaben und einer Ausweitung der Erbschaftssteuer. Vermutlich sieht er das als Beitrag zur Sicherung des Standortes.
Doch zurück zu seiner Argumentation, weshalb es denn alles nicht so schlimm ist mit der Deindustrialisierung „in den nächsten zwei oder drei Jahren“, wie er schreibt:
- „Zuallererst sehen wir derzeit keine Welle von Unternehmensinsolvenzen. Auch wenn zahlreiche kleinere Unternehmen schließen mussten, zeigt sich ein Großteil der Wirtschaft bemerkenswert resilient.“ – bto: Das ist ein merkwürdiges Kriterium. Was viel entscheidender ist, ist wo investiert wird.
- „Zweitens ist die Ertragslage vieler mittelständischer und großer Unternehmen ist in dieser Krise erstaunlich gut. Einige Dax-Konzerne fahren sogar Rekordgewinne ein. Bereits in vorherigen Krisen hat sich die mittelständisch geprägte Struktur der deutschen Wirtschaft als große Stärke erwiesen, weil ein großer Teil der Unternehmen langfristig orientiert und risikoscheu agiert.“ – bto: Das stimmt, aber ist natürlich die Folge der internationalen Diversifizierung und auch des schwachen Euro, der Exporte befördert hat. Vergessen wir aber nicht, dass wir auch noch von früheren Aufträgen leben. Es bleibt abzuwarten, ob das so bleibt.
- „Seit jeher zeichnen sich viele deutsche Exporteure dadurch aus, dass sie hochspezialisierte Produkte und Leistungen anbieten, die im internationalen Wettbewerb wenig Konkurrenz haben. Dies macht es auch auf globaler Ebene leichter, höhere Preise weiterzugeben und die eigene Marktnische zu bewahren.“ – bto: Richtig, aber wie wir an der Automobilindustrie sehen können, wandert diese dennoch ab.
- „Wenn Unternehmen wie BASF große Produktionen ins Ausland verlagern, schürt das die Angst vor einer Deindustrialisierung. Im Grunde bewirken solche Entscheidungen aber genau das Gegenteil: Wenn Unternehmen energieintensive Produktion ins Ausland verlagern, werden sie effizienter und können so auch besser hochproduktive Arbeitsplätze in Deutschland sichern.“ – bto: Diese Behauptung muss nicht stimmen. Geht es um die Einkommensentwicklung, beklagt derselbe Marcel Fratzscher den Verlust gut bezahlter Industriearbeitsplätze (siehe Beitrag von gestern, 21.1.23).
- „Schon in den vergangenen 25 Jahren haben die meisten Dax-Konzerne massiv im Ausland investiert. Dort Arbeitsplätze aufzubauen diente immer auch dazu, den Standort in Deutschland erhalten zu können.“ – bto: Gerade die DAX-Konzerne schaffen im Inland weniger Jobs – oder wandern wie Linde ganz weg.
Die Familienunternehmen haben Arbeitsplätze erhalten und geschaffen, wie eine Studie zeigt:
- „Große Familienunternehmen haben in den vergangenen zehn Jahren erheblich mehr neue Stellen geschaffen als Dax-Konzerne. Sie stellen zudem im Verhältnis einen größeren Teil ihrer neuen Mitarbeiter im Inland ein, während Dax-Konzerne ohne dominierende Familie im Hintergrund neue Jobs eher im Ausland schaffen. Zu diesen Schlüssen kommt das Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie. (…) Demnach haben die 26 größten Familienunternehmen Deutschlands von 2011 bis 2020 weltweit 837.000 neue Stellen eingerichtet, die 26 Dax-Konzerne ohne dominierende Familie gut 390.000. Im Inland waren es bei den 26 Dax-Unternehmen laut Studie lediglich rund 48.000, bei den 26 größten Familienunternehmen dagegen gut 267.000 neue Stellen.“ – bto: … also genau jene, die nach den sonstigen Forderungen von Herrn Fratzscher endlich einen größeren Beitrag zur Gesellschaft leisten sollen, in Form von höheren Steuern.
Doch zurück zum Popanz der Deindustrialisierung:
- „Der vierte Grund bezieht sich auf die Rolle des Staats in der Krise. Die Bundesregierung hat die deutschen Unternehmen finanziell massiv unterstützt – so sehr, dass viele der europäischen Nachbarn zu Recht über einen unfairen Wettbewerb klagen. Kaum ein Industrieland hat in den jüngsten Krisen so große Hilfspakete aufgelegt wie Deutschland.“ – bto: Stimmt, aber diese Maßnahme kauft nur Zeit. Was wir aber brauchen, ist etwas anderes: ein realistisches Szenario für tiefere Energiekosten. Und dafür tut die Regierung nichts.
- „All das spricht dafür, dass sich diejenigen, die sich um eine mögliche Deindustrialisierung der deutschen Wirtschaft sorgen, nicht zu stark auf die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise konzentrieren sollten. Vielmehr gilt es für die Unternehmen in Deutschland, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die ökologische und digitale Transformation entschieden voranzutreiben. Die deutsche Automobilbranche zeigt, wie schnell ehemalige globale Champions ins Hintertreffen geraten können, wenn sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhen und den Status quo zementieren wollen.“ – bto: Das ist natürlich ein schräges Beispiel. Keiner Industrie wurde so zugesetzt und der über Jahrzehnte gewonnene Wettbewerbsvorteil von der Politik zerstört. Arbeitsplätze schafft die Branche im Ausland, während sie in Deutschland schrumpfen.
Aber es gibt Hoffnung, so Fratzscher. Der Staat kann die schlafenden Unternehmen wecken:
- „Dafür, dass Unternehmen die ökologische Transformation und Digitalisierung nicht zu zögerlich angehen und ausreichend in ihre eigene Zukunft investieren, muss auch der Staat die passenden Rahmenbedingungen setzen.“ – bto: Gemeint sind hier steuernde Eingriffe, wie wir wissen – Planwirtschaft unter dem Titel der Transformation. Keine schönen Aussichten.
Die Unternehmen schlafen nicht, sie sind hellwach. Und treiben die Deindustrialisierung voran. Weil die Politik die Rahmenbedingungen verschlechtert und Ökonomen wie Fratzscher die Belastung weiter erhöhen wollen.
→ spiegel.de: „Familienunternehmen schaffen mehr Jobs als Dax-Konzerne“, 4. Januar 2023