Paul Mason: Postkapitalismus
Es war klar, dass es nicht bei Piketty bleibt. Vor dem Hintergrund der Einkommens- und Vermögensentwicklung ist es natürlich sehr populär, Ungerechtigkeit zu beklagen und nach dem Staat zu rufen. Dass Letzterer eine erhebliche Mitschuld an der Entwicklung hat, habe ich mit Blick auf Piketty mehr als einmal an dieser Stelle erläutert. Die massive Verschuldung als Hebel für die Assetpreise wäre ohne den Staat gar nicht möglich gewesen.
Nun tritt mit Paul Mason ein weiterer Kapitalismuskritiker auf die Bühne. Sein Buch wird in den entsprechenden Kreisen ebenso gefeiert, wie jenes von Piketty. Die NZZ hat schon mal einen Kommentar dazu verfasst:
- „Die Utopisten, Empörten und Extremisten unter den Sozialisten, die sich von den Zeitläuften unbeeindruckt weiterhin einer Theorie der revolutionären Praxis hingeben, finden in seinem neuen Opus tonnenweise Anregungen für ihre unerschütterlichen Lebensträume.“ – bto: Was für eine Formulierung!
- „Den Vogel schoss aber zweifellos der in Cambridge lehrende David Runciman mit seinem Quote ab: ‚Paul Mason ist ein würdiger Nachfolger von Marx.‘“
- „Über einen Punkt dürfte der auferstandene Marx allerdings wirklich ins Grübeln kommen: Wie um Himmels willen kommen die Zeitgenossen darauf, ihre Ordnung als Turbo- oder Raubtierkapitalismus zu bezeichnen?“ – bto: noch so ein Knaller!
- „Der linke Aktivist aus der Working Class stimmt in den modischen Singsang ein, wonach wir seit zwei Jahrzehnten in einer Phase der totalen Deregulierung und Privatisierung lebten, und macht einen gespenstischen Neoliberalismus verantwortlich für alles, was schiefläuft in der Welt: für wirtschaftliche Stagnation, Schuldenwirtschaft, Krieg, Verwüstung und politische Radikalisierung.“ – bto: Das stimmt. In Wirklichkeit haben wir mangelnden Wettbewerb, staatliche Einflussnahme und Schuldenwirtschaft ohne Ende, um die „Härten“ abzufedern.
- „Wenn heute jemand den Staat als wichtigsten Akteur der Wirtschaft übersieht, gibt es dafür mindestens zwei plausible Gründe. Er erkennt ihn nicht mehr, weil er sich längst an seinen Anblick gewöhnt hat – vom Staat zu abstrahieren, erfordert mehr Phantasie, als im Zeitalter des Etatismus erwartet werden darf. Oder er hat eine politische Agenda – aus viel Staat soll noch mehr Staat werden.“ – bto: oder drittens: Er wird vom Staat bezahlt! Lebenslange Professoren sind am schlimmsten, siehe hier.
- „Verweilen wir deshalb kurz beim Status quo und halten uns an jenes Land, das gemäss vorherrschendem Narrativ besonders marktwirtschaftlich organisiert sein soll: die Schweiz. (…) Mehr als die Hälfte der Preise für Güter und Dienstleistungen ist staatlich administriert, vor allem in den betont staatsnahen Branchen: Landwirtschaft, Verkehr, Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen, Rundfunk, Post, Energie- und Wasserversorgung, Finanzbranche; über ein Fünftel aller Vermögenswerte in der Grössenordnung von 500 Milliarden Franken gehört dem Staat; ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet direkt beim Staat oder in einem staatlich geprägten Betrieb; die erweiterte Fiskalquote (inklusive aller Zwangsabgaben an die berufliche Vorsorge und die Krankenversicherung) beträgt in der Schweiz rund 43 Prozent.“ – bto: in der Schweiz!!
- „Ludwig von Mises nannte darum Mischsysteme wie das real existierende völlig unaufgeregt ‚halbsozialistisch‘: Nicht der Bürger selbst, sondern gewählte und nicht gewählte andere entscheiden über die Verwendung der Hälfte seines Eigentums.“
- „Die Sozialisierung der Wirtschaft, die Mason fordert, schreitet seit Jahrzehnten voran (…) Ein Etatismus mit Fiskalquoten um 50 Prozent in Friedenszeiten, wie sie spätestens seit den 1990er-Jahren weitherum herrschen, ist in der Geschichte der Menschheit ein echtes Novum. Er garantiert eine nicht minder einzigartige kollektive Rundumversorgung von dem Moment an, in dem man das Licht der Welt erblickt, bis zum Tod. Statt von echten Eigentümern ist er – mit Mises gesprochen – von ‚bevorrechteten Genossen‘ bevölkert.“
- „Klar ist indes, dass selbst die Privilegiertesten glauben, zu kurz gekommen zu sein – die Erregbarkeit im demokratischen Semi-Sozialismus hat nicht erst jüngst zugenommen. Diese Erregbarkeit ist es, die sich Paul Mason mit seiner Programmatik zunutze machen will. Und er tut dies sehr geschickt.“
- „Denn ja, der heutige westliche Staat – dauerüberschuldet, überfordert, handlungsunfähig – steckt in einer Krise. Mit ein paar politischen Retuschen dürfte es in der Tat nicht getan sein.“
- „Das neue Proletariat in Masons Marx-Erzählung ist die vernetzte Menschheit von Occupy und Indignados, also junge gebildete individualistische und konsumorientierte Opportunisten. Sie sollen sich zusammenrotten, um als Konsum- und Meinungsmacht die Monopole zu brechen – nach Mason wird der Tag kommen, an dem die neuen Vertreter der Gratis-Kultur nicht mehr bereit sind, für Dienstleistungen zu bezahlen, deren Grenzkosten gegen null tendieren. Willkommen in der Gratis-Welt des grossen Glücks der befreiten Menschheit.“
- „Wer die historischen Gesetzmässigkeiten begreift, ist zugleich aufgerufen zu handeln – nämlich alle möglichen Verstaatlichungen zu unterstützen, Patente und Eigentumsrechte auszuhebeln, wo es nur geht, und zugleich die Kultur der freiwilligen solidarischen Netzwerkarbeit zu leben.“
- „… sollten wir die geplante Revolution nicht demnächst durchziehen, droht der Welt gemäss Mason das Schreckensszenario einer neuen Massenverarmung – verschwenderischer Ressourcenverbrauch führt zu Global Warming und Migration, die Alterung westlicher Gesellschaften zum Kollaps der überschuldeten Staaten und beides zusammen zu nicht mehr kontrollierbaren sozialen Verwerfungen. Die Zeit drängt, und es gibt keine Alternative.“
Damit sind wir bei dem eigentlichen Problem: Der Kollaps wird kommen und die Frage ist, wer davon politisch profitiert. Es ist doch politisch höchst opportun, dem Markt/Neoliberalismus die Schuld zu geben. Denn so kann die Politik vom eigenen Versagen ablenken! „Denn die Frage bleibt virulent: Wie finden wir den Weg aus dem gegenwärtigen etatistischen Schlamassel?“
→ NZZ: „Nach dem Kapitalismus ist vor dem Kapitalismus“, 27. April 2016