Kernkraft als Anschub für Wasserstoffwirtschaft
Am 26. Juni 2022 geht es im Podcast erneut um das Thema der Energieversorgung in Deutschland. Die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke ist wieder im Gespräch, nachdem der Industrieverband Kern erneut darauf hingewiesen hat, dass diese Verlängerung technisch kein Problem ist und die Brennstäbe beschaffbar wären.
Die Gegner der Atomkraft setzen stattdessen voll auf erneuerbare Energien und Wasserstoff als Speichermedium für die gestern diskutierten Phasen der Dunkelflaute.
Dr. Jan Ossenbrink und Laurenz Ohlig haben in einem Beitrag auf LinkedIn angeregt, die Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland zu verlängern und diese zur Erzeugung von Wasserstoff zu nutzen. Zugleich stünden die Kraftwerke für Zeiten der Dunkelflaute als kostengünstige Reserve bereit. Dr. Jan Ossenbrink spricht dazu ebenfalls mit mir im Podcast:
Es ist erklärtes Ziel Erdgas und andere fossile Brennstoffe durch Derivate wie Wasserstoff ersetzen. Die beiden Autoren werfen die Frage auf: „Zu welchen Kosten kann Wasserstoff aus den drei verbleibenden Kernkraftwerken in Deutschland hergestellt werden, wenn man deren Laufzeit um 10 Jahre verlängert?“
Die Ergebnisse sind interessant:
- „Unsere vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass unter konservativen Annahmen etwa 7 Millionen Tonnen (Mt) sauberen Wasserstoffs hergestellt werden können, zu Gestehungskosten für Wasserstoff (LCOH) in Höhe von~ 2.90 EUR/kg.“ – bto: Zum Vergleich – die International Renewable Energy Agency (Irena) beziffert die sogenannte Levelized Cost of Hydrogen (LCOH) für per Solarstrom hergestellten grünen Wasserstoff auf knapp 6 Euro/kg. Wird Windenergie genutzt, reduzieren sich die durchschnittlichen Herstellungskosten auf etwas über 4 Euro. Regional begrenzt können die Kosten – je nach Verfügbarkeit von grünem Strom – auf bis zu 2,50 Euro sinken. (Quelle: → Chemietechnik: „Was kostet Wasseerstoff jetzt und in Zukunft?“)
- „Dieser Wert zeigt, dass heimisches sauberes H2 aus der verbleibenden deutschen Kernkraftwerksflotte mit hoher Wahrscheinlichkeit kostengünstiger wäre als jedes heimische grüne H2-Projekt, das in naher Zukunft in Betrieb geht. Dies liegt vor allem daran, dass die Kernkraftwerke fast rund um die Uhr betrieben werden können, was bedeutet, dass die Investitionsausgaben (CAPEX) auf eine beträchtliche Menge an sauberem Strom bzw. sauberem H2 verteilt werden können.“ – bto: womit wir bei einem der vielen Probleme der Energiewende-Apologeten wären: Sie berücksichtigen die Auslastung und damit die Kosten nicht. Es wird immer mit optimistischen Annahmen eine theoretische Struktur geschaffen, ob das im Stressfall genügt und was es kostet, wird ausgeblendet.
- „Was den Energiegehalt betrifft, könnte eine jährliche Produktion von 0,68 Mio. t sauberem Wasserstoff (~22 TWh) ungefähr 1,93 Mio. t Erdgas ersetzen, was ~3 % der deutschen Gasimporte aus Russland im Jahr 2021 und 1,6 % der gesamten deutschen Gasimporte im Jahr 2021 entspricht. Auch wenn diese Zahl auf den ersten Blick gering erscheint, sollte man sich vor Augen führen, dass Deutschland bei der Deckung seines Primärenergiebedarfs in hohem Maße auf Erdgas angewiesen ist. In seinem jüngsten Fortschrittsbericht zur Energiesicherheit, der am 25. März veröffentlicht wurde, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sein Ziel erklärt, 700 Mio. m3 LNG (~6TWh) über Terminals in der Nordsee zum marktüblichen Preis zu kaufen, was ~1% der Erdgasimporte aus Russland ersetzen könnte. Die heimische H2-Kernkraftoption könnte einen dreimal so großen Effekt zu vorhersehbaren Kosten produzieren und könnte eine Reihe positiver externer Effekte entfalten, die weiter unten aufgeführt werden.“ – bto: Das klingt einfach vernünftig, weshalb man sich fragt, wieso nicht dieser Weg gegangen wird. Die Energieökonomin Prof. Claudia Kemfert hat derweil in der ARD erklärt, dass uns die Kernkraftwerke nichts nützen, weil wir „genug Strom hätten“ und es an Wärme fehlen würde.
- „Mit Blick auf unsere Ergebnisse und in Anbetracht der begrenzten Möglichkeiten dem Klimawandel und nationalen Sicherheitsbedenken zu begegnen, halten wir es für gerechtfertigt, diese Idee eingehend zu prüfen, bevor wir mit der Stilllegung der verbleibenden Kernkraftwerke ab 2023 beginnen. Die vier Hauptargumente dafür sind:“ – bto: Und diese Argumente kann niemand, der mit offenem Geist darauf blickt, so einfach wegwischen.
- „Deutschland könnte seine heimische Produktion von sauberem Wasserstoff allmählich auf 700.000 Tonnen pro Jahr hochfahren, und zwar zu einem Preisniveau, das seine Verwendung für eine Reihe von Anwendungen attraktiv macht (…).“
- „Deutschland könnte eine sofortige Nachfrage nach Elektrolyseuren mit einer Leistung von 4 GW schaffen, was 10 % des von der EU-Wasserstoffstrategie für 2030 vorgeschlagenen Ziels entspricht. Dies könnte ein starkes Bekenntnis zur angestrebten Führungsrolle des Blocks in diesem aufstrebenden Industriebereich sein und dazu beitragen, Investitionen in regionale Produktionskapazitäten zu beschleunigen.“ – bto: also eine Beschleunigung des Wandels zum Energiesystem der Zukunft.
- „Anstatt für die Elektrolyse mitoptimiert zu werden, könnte die Kapazität aus Erneuerbaren Energien Anlagen, die neu ans Netz geht, vollständig auf die Dekarbonisierung des Stromnetzes ausgerichtet werden. Um dies zu erreichen, müssen laut IRENA 2020 jedes Jahr bis 2050 etwa 500 GW an Solar- und Windenergie installiert werden: Die Welt baut derzeit weniger als die Hälfte des Bedarfs zu.“ – bto: Auch das ist ein gutes Argument. Wir würden zudem die Effizienz steigern.
- „Da sie bereits über einen Netzanschluss verfügen, könnten die Kernkraftwerke im Extremfall zur Stabilisierung des Netzes beitragen. Ein entsprechender Mechanismus wie Netzreserve, Kapazitätsreserve oder Sicherheitsbereitschaft sollte eingerichtet werden, um zu vermeiden, dass diese abgeschriebenen Anlagen mit neu installierten Flexibilitätseinrichtungen konkurrieren (…).“ – bto: Auch das ist vernünftig. Es soll ja die Energiewende nicht blockiert, sondern ermöglicht werden.
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