Elementarschäden: Staatliche Rettung gibt den falschen Anreiz
Am 25. Juli 2021 ist Dr. Daniel Osberghaus vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim Gast in meinem Podcast. Dr. Osberghaus ist im ZEW-Forschungsbereich “Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement” tätig. Hier befasst er sich schwerpunktmäßig mit der ökonomischen Analyse der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Weitere Themen seiner Arbeiten sind die Hochwasservorsorge in Deutschland und verhaltensökonomische Entscheidungstheorien.
Womit wir beim Thema wären: der Hochwasservorsorge in Deutschland und dem rationalen Verhalten der Akteure. Lohnt es sich, eine Elementarschadenversicherung abzuschließen, wenn im Fall der Fälle der Staat, vertreten durch wahlkämpfende Politiker, als Retter mit dem Steuergeld der Bürger auftritt?
Im Juni 2016 teilte das ZEW anlässlich von Starkregenereignissen mit: “Nach den verheerenden Starkregenereignissen der vergangenen Tage in verschiedenen Teilen Deutschlands gibt es bereits erste Forderungen nach staatlichen Finanzhilfen für betroffene Haushalte. Solche Nothilfen sind für die betroffenen Menschen sicherlich wichtig, stellen jedoch keine nachhaltige Antwort auf Hochwasserrisiken dar, die durch den Klimawandel wahrscheinlich weiter zunehmen werden. Der Staat sollte eher die private Vorsorge fördern, und Kommunen sollten darauf verzichten, mögliche Überschwemmungsflächen als Bauland auszuweisen. Unter Umständen ist auch eine Versicherungspflicht gegen Hochwasserschäden sinnvoll, wie Untersuchungen des ZEW zeigen.” Wie gesagt, 2016. Heute kann man sehen, dass die Forderung verhallt ist.
Basis für die Aussage war eine Studie, deren Highlights ich zusammenfasse:
- „Nach großen Flutereignissen mit dem entsprechenden medialen Echo haben Bundes- und Landesregierungen die betroffenen Haushalte teils mit großzügigen Finanzhilfen unterstützt. Dabei wurden Zahlungen von Versicherungsunternehmen angerechnet, d. h. die staatliche Fluthilfe reduzierte sich um die erhaltenen Versicherungsleistungen. Dies führte zu der unerwünschten Situation, dass sich eine private Versicherung in diesen Fällen nicht auszahlte und der Anreiz, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, sank. Zudem sind die angesprochenen Staatshilfen stets problematisch, da sie keiner vorab definierten Regulierung unterliegen. Sie können somit von Faktoren beeinflusst werden, die keinen sachlichen Bezug zur Bedürftigkeit der Flutopfer haben, wie z. B. mediale Aufmerksamkeit, Wahltermine oder aktueller finanzieller Spielraum der öffentlichen Hand.“ – bto. Es geht nicht nach Bedürftigkeit, bestraft Eigenvorsorge, ermuntert Trittbrettfahrer und führt zu der Situation, dass man hoffen muss, dass es in Wahlkampfzeiten zur Flut kommt.
- „Folglich können Ad-hoc-Staatshilfen hochgradig ungerecht sein, wenn beispielsweise Haushalte leer ausgehen, nur weil sie keinen starken medialen Fürsprecher haben, der aktuelle finanzielle Spielraum begrenzt oder das Hochwasser nicht während eines Wahlkampfes aufgetreten ist. Dass die Politik dieses Problem durchaus bewusst wahrnimmt, zeigen staatliche Informationskampagnen zur Förderung privater Vorsorge, in denen teilweise explizit erwähnt wird, dass staatliche Fluthilfen nur dann möglich seien, wenn die Schäden nicht vorab versicherbar waren. Solche Ankündigungen sind in der Vergangenheit allerdings unter medialem oder politischem Druck nicht eingehalten worden.“ – bto: Und es ist rational von den Bürgern, angesichts der derzeitigen Schlagzeilen auch in Zukunft darauf zu setzen.
- „Oftmals wurde diskutiert, ob ein Versicherungsschutz überhaupt für alle Haushalte in den betroffenen Gebieten verfügbar ist. Nach Auskunft der Versicherungswirtschaft sind ca. 99 % der Gebäude in Deutschland mit standardisierten Verträgen versicherbar, wobei die jährlichen Prämien bei den höheren Risikoklassen im vierstelligen Bereich liegen können. Die restlichen Gebäude lägen meist in Gebieten mit einem sehr hohen Hochwasserrisiko – teilweise sind diese Gebiete im Mittel alle zehn Jahre überflutet. Viele dieser Gebäude könnten trotzdem nach einer Einzelfallprüfung versichert werden, wenn spezielle Vertragsbedingungen vereinbart würden (z. B. eine hohe Selbstbeteiligung oder die Verpflichtung zu baulichen Vorsorgemaßnahmen). Aus einer theoretischen Betrachtung heraus wären demnach in Deutschland also alle Gebäude versicherbar. In der Praxis sind die gesamten Kosten aus Versicherungsprämie, Selbstbehalt und weiterer Vorsorge allerdings oft so hoch, dass sich viele Haushalte gegen eine Versicherung entscheiden. Diese Haushalte in Hochrisikogebieten werden im Schadensfall somit weiterhin Ansprüche auf staatliche Hilfszahlungen anmelden. Die Erfahrung zeigt, dass dieses Vorgehen meistens erfolgreich ist.“ – bto: Nun stellen sich da einige Fragen, so zum Beispiel, wie man an einer Stelle bauen und wohnen bleiben kann, wo alle zehn Jahre mit einer weitgehenden Vernichtung von Vermögenswerten gerechnet werden kann. Ohne Versicherung und ohne staatliche Rettung würde das niemand machen. Ist es dann im öffentlichen Interesse, dass dort jemand wohnt?
- „Angesichts dieser Problematik wurde bereits nach den Hochwasserereignissen von 2002 die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden diskutiert. (…) Neben einer finanziellen Absicherung durch Versicherungsunternehmen spielen private Vorsorgemaßnahmen im modernen Hochwassermanagement eine wichtige Rolle. Nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten sind viele dieser Maßnahmen ökonomisch sinnvoll. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sollten sie gefördert werden, beispielsweise um die Belastung der öffentlichen Finanzen durch Fluthilfen zu reduzieren.“ – bto: Ich bin eigentlich gegen Zwang. Nur was nicht sein kann, ist, dass man implizit versichert. Dies führt zu einem zu riskanten Verhalten, ähnlich wie bei der Bankenrettung.
- „Zum Versicherungsschutz gegen Hochwasserschäden ergibt sich folgendes Bild: 61,4 % der Eigentümer und 34,6 % der Mieter geben an, eine Elementarschadenversicherung zu ihrer Wohngebäude- bzw. Hausratversicherung abgeschlossen zu haben. Tatsächlich war die entsprechende Versicherungsdichte zum Befragungszeitraum allerdings deutlich geringer (ca. 32 % bei Wohngebäudeversicherungen und ca. 19 % bei Hausratversicherungen). Angesichts der relativ großen Zahl der Befragten ist es unwahrscheinlich, dass diese Abweichungen alleine statistisch bedingt sind. Vielmehr sind diese Daten ein Hinweis darauf, dass viele Haushaltsvorstände fälschlicherweise davon ausgehen, im Falle eines Hochwassers versichert zu sein. Das Problem der geringen Versicherungsdichte wird somit dadurch verschärft, dass einige Haushalte ihren eigenen Versicherungsschutz überschätzen und daher keine Elementarschadenversicherung nachfragen.“ – bto: Das wäre ein zu bereinigendes Problem, wenn alle Versicherungen ihre Kunden anschreiben und über den Versicherungsschutz aufklären müssten. Andererseits zeigt Osberghaus in einer anderen Studie, dass Aufklärungskampagnen keine Wirkung zeigten. Es wurden nicht mehr Versicherungen abgeschlossen.
- „Neben der finanziellen Vorsorge durch Versicherungen ist es oft möglich, durch bauliche oder verhaltensbasierte Vorsorgemaßnahmen den Hochwasserschaden zu begrenzen oder zu vermeiden. Hierzu zählen Rückstauklappen, die aufsteigendes Wasser aus der Kanalisation zurückhalten, Schutzklappen an den Kellerfenstern und -türen, der Einbau wasserresistenter Materialien in Wände und Böden oder die Vermeidung wertvoller Einrichtung in niedrig gelegenen Stockwerken. (…) Demnach treffen 27,2 % der Haushalte (44,1 % der Eigentümer und 3,9% der Mieter) mindestens eine der abgefragten Vorsorgemaßnahmen (…).“ – bto: Einige der Instrumente baut man nach einem Ereignis ein, was aber immer noch besser als nichts ist.
- „Sowohl die Nachfrage nach Hochwasserversicherungen als auch nach anderen Vorsorgemaßnahmen könnte dann gehemmt sein, wenn die Haushaltsvorstände eine Schadenskompensation durch Dritte erwarten. Gefragt nach ihrer Erwartung, ob eventuelle eigene finanzielle Schäden aus Naturereignissen (Überschwemmungen, aber auch Stürmen) übernommen werden, geben 30,2 % der Eigentümer und 33,7 % der Mieter an, dass sie mit einer finanziellen Unterstützung von öffentlichen Stellen rechnen. Von Versicherungsunternehmen erwarten 94,6 % der Eigentümer und 89,6 % der Mieter eine Leistung. 30,0 % der Mieter erhoffen sich zudem eine Kompensation durch den Wohnungseigentümer. Einen sicheren Rechtsanspruch auf die erwartete Zahlung gibt es jedoch nur im Falle von Versicherungsleistungen, und bei Hochwasserschäden auch nur bei Abschluss einer Elementarschadenversicherung. Alle weitergehenden Schadenskompensationen, die viele Haushalte sich offenbar erhoffen, entbehren einer Rechtsgrundlage und sind nicht vorab berechenbar.“ – bto: was zu den oben angesprochenen Ungerechtigkeiten führt.
- „Diese Erkenntnisse sind bei einer ökonomischen Betrachtung des Versicherungsproblems zu beachten. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die öffentliche Hand bei größeren Flutereignissen Ad-hoc-Entschädigungen für nicht-versicherte Gebäude regelmäßig aus Steuermitteln ausbezahlen wird und einen Teil der Schadenskosten auf diese Weise sozialisiert. Dies lässt sich als Staatsversagen interpretieren, da die Auszahlung unsystematisch erfolgt und der Staat erratisch in einen freien Versicherungsmarkt eingreift. Gleichwohl erscheint es aufgrund der Erfahrungen geboten, diese politisch bedingten Entschädigungszahlungen als gegeben hinzunehmen.“ – bto: Wir können sie in diesen Tagen wieder erleben.
- „Vor diesem Hintergrund fordern einige Autoren seit vielen Jahren die Einführung einer Versicherungspflicht gegen Elementarschäden bzw. einer verpflichtenden staatlichen Versicherung, wie sie in einigen Bundesländern in der Zeit vor der EU-Richtlinie zur Liberalisierung von Versicherungen bestand. (…) Wie bei einer solchen Vorgabe zu erwarten, unterliegen die Versicherungsprämien dabei einer strikten, vereinheitlichten Regulierung – eine freie Preisbildung bezüglich der Prämien ist nicht möglich, da keine Vertragsfreiheit, sondern eine Versicherungspflicht für den Vertragsnehmer und ein Kontrahierungszwang für den Vertragsgeber besteht. Es zeigte sich, dass ein auf diese Weise reguliertes System nicht unabhängig von staatlichen Beihilfen funktioniert: Zur Absicherung großer Schadensereignisse wurden staatliche Rückversicherungen eingeführt, die in der Vergangenheit wiederholt hohe Summen aus öffentlichen Haushalten bereitstellen mussten, um die Auszahlungen der Versicherungen an die Geschädigten großer Flutkatastrophen sicherzustellen.“ – bto: Letztlich dürfte es sich hier um eine Art Sozialversicherung mit Umverteilungswirkung handeln. Anders als über die Steuern sind dann alle Hauseigentümer – bzw. bei Umlage die Mieter – an den Kosten beteiligt.
Kommen wir zu Pro und Contra:
Argumente für eine Versicherungspflicht
- “Die myopische Risikowahrnehmung eines erheblichen Anteils der Hausbesitzer, die die finanzielle Gefährdung ihrer Immobilien nicht richtig einschätzen können,
- das immanente Moral-Hazard-Problem, das durch die Erwartung staatlicher Beihilfen im Schadensfall entsteht, wenn Hausbesitzer in der Folge auf eine private Versicherung verzichten,
- die ökonometrisch nachweisbaren negativen Folgen mangelnder Versicherungen gegen Elementarschäden, die ein Wachstumsrisiko darstellen können.“
Argumente gegen eine Versicherungspflicht
- “Das Moral-Hazard-Problem, das sich aus mangelnder Schadensvorsorge von Hausbesitzern und Kommunen ergibt, die sich auf eine garantierte Schadensregulierung einer Versicherung mit einheitlichen Prämien verlassen,
- die Hemmung der Anpassung an den Klimawandel, die sich aus der Vereinheitlichung der Tarife ergibt (der Wiederaufbau von Gebäuden etwa nach einem Flutschaden wird durch die Versicherung auch dann finanziert, wenn das Risiko einer erneuten Flut gegen eine Weiterbesiedlung des betroffenen Gebiets spricht),
- das makroökonomische Risiko, das sich aus der mangelnden Anpassung an den Klimawandel für die Volkswirtschaft ergibt: Ein erheblicher Teil der öffentlichen Mittel kann nicht flexibel eingesetzt werden, sondern ist durch die regelmäßige Behebung von Schäden an Gebäuden nach Extremwetterereignissen gebunden.“
Zunächst dachte ich, es wäre leicht. Einfach eine Versicherungspflicht einführen. Mir leuchtet aber ein, dass dies einen Status quo zementieren würde, der bei Häufung der Ereignisse zu immer größeren Schäden führt. Wir müssen also einen Anreiz zur Anpassung und Vorsorge geben.
- „Auch verteilungspolitische Gründe sprechen gegen eine allgemeine Versicherungspflicht: Durch sie werden nicht nur die Kosten für Gebäudeschäden wenig vermögender Hausbesitzer, sondern auch die großer Immobilienunternehmen und reicher Privatleute auf eine vergemeinschaftete Versicherung übertragen; im – wahrscheinlichen – Fall einer staatlichen Rückversicherung werden darüber hinaus in großem Maße private Vermögensrisiken auf den Steuerzahler überwälzt.“ – bto: was sie heute faktisch auch werden aber vermutlich nicht so sehr zu Gunsten der vermögenden Haushalte, da diese sich vermutlich versichern.
Folglich kommen die Autoren zu einem Kompromissvorschlag, der mir durchaus einleuchtet:
„Vor dem Hintergrund dieser Analyse wird hier das Modell einer öffentlich verwalteten, (überwiegend) beitragsfinanzierten Basisversicherung vorgeschlagen, die folgendermaßen ausgestaltet sein sollte:
- Für alle Gebäude besteht eine Beitragspflicht, die Beiträge orientieren sich dabei am Wert der Gebäude, wobei sie ab einem bestimmten Wert gekappt sind.
- Zur Begrenzung der Transaktionskosten wird der Beitrag an einfachen Gebäudeindikatoren – z. B. der Wohnfläche und durchschnittlichen Quadratmeterpreisen – festgemacht.
- Die Beiträge werden in einen Fonds einbezahlt, der im Notfall durch Steuermittel ausgeglichen wird.
- Die Auszahlung im Schadensfall erfolgt unabhängig vom tatsächlichen Wiederaufbau der Gebäude auf der Basis einer Schätzung des Schadens.
- Es besteht ein Anspruch auf Schadensregulierung, allerdings ist nur ein festgelegter Prozentsatz des Schadens erstattungsfähig (z. B. 50 %), darüber hinaus gilt eine maximale Erstattungsgrenze (z. B. 100 000 Euro).
- Durch die Basisversicherung nicht abgedeckte Elementarschäden können auf einem ergänzenden, freien Versicherungsmarkt versichert werden.
Eine derartige Regelung der Elementarschadenversicherung trägt den skizzierten ökonomischen Anforderungen Rechnung – zumindest dann, wenn die Politik nach der Einführung der Basisversicherung tatsächlich auf zusätzliche Ad-hoc-Zahlungen an Hochwassergeschädigte verzichtet.“ – bto: Das ist eine wesentliche Voraussetzung und es ist leider angesichts der bisherigen Erfahrung nicht so sicher, dass sich diese Annahme realisieren lässt.