Das Preissig­nal funktioniert

In meinem Podcast am 11. Juni 2022 ist Prof. Achim Wambach vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim zu Gast. Wir sprechen über die Folgen eines Gasembargos, über die Strategie, mit einer Gasmangellage umzugehen und über die Möglichkeit, mit Anreizen ein insgesamt nützliches Verhalten zu bewirken. Zur Vorbereitung einige seiner Kernthesen, die er mit Prof. Dr. Christian Bayer (der übrigens auch schon mal bei bto zu Gast war) im Handelsblatt dargelegt hat:

  • “Was ein Embargo oder eine weitere Verknappung des Gases mit dem dazugehörigen Preisanstieg für die deutsche Wirtschaft bedeutet, hängt maßgeblich davon ab, wie die Regierung damit umgeht.” – bto: Diese Aussage ist so richtig wie leider banal. Wir haben nur in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, wie die Politik eben in maßloser Selbstüberschätzung steuernd eingegriffen hat, statt auf Marktmechanismen zu setzen.
  • “Dieses Modell setzt insbesondere voraus, dass der Preismechanismus wirkt: Dann wird das Gas dort eingesetzt, wo es den größten Beitrag liefert. Es wird an den Stellen genutzt, wo es, erstens als Energieträger schwierig in der Produktion zu ersetzen ist; wo es zweitens schwierig ist, die Produkte selbst durch weniger gasintensive Alternativen zu ersetzen; und wo es drittens schwierig ist, die Produkte aus dem außereuropäischen Ausland zu kaufen.” – bto: Die Folge wird sein, wer es sich nicht leisten kann, die hohen Preise zu bezahlen, scheidet aus dem Markt aus. Es dürften die schwächsten Anbieter sein. Oder aber welche, bei denen die Anpassungszeit zu lang ist. Hierunter könnte der Standort deutlich leiden.
  • “Eine Substitution, da wo sie möglich ist, würde viele Formen annehmen. Gas wird an manchen Stellen wie etwa im Strommarkt durch andere Energieträger ersetzt; manche gasintensive Produkte, also Produkte, deren Herstellung viel Gas benötigt, werden durch weniger gasintensive ersetzt; und auch Handelsströme passen sich an. All diese Substitutionen finden bereits jetzt zum Teil statt, wenngleich noch zaghaft. Auch in den USA, wo es keine Gasknappheit gibt, steigen die Terminpreise für Stahl, weil schon jetzt mit zusätzlicher europäischer Nachfrage gerechnet wird. So schmerzhaft die in den Substitutionsprozessen steckende Anpassung für einzelne Unternehmen oder gar Branchen ist, so wichtig ist sie gesamtwirtschaftlich, um die Kosten einer Gasknappheit gering zu halten.” – bto: Das Problem ist aber, dass diese Unternehmen/Branchen eventuell komplett verloren gehen für den Standort. Dies könnte ein schwerer Schaden sein, als es hier wirkt.
  • “(…) wenn Gas so zugeteilt wird, dass Haushalte und der Dienstleistungssektor vollständig bevorzugt werden, die gleiche gesamte Gasreduktion erheblich höhere Schäden verursacht. Die industrielle Produktion würde einbrechen. Der Rückgang des BIP betrüge dann mit zehn Prozent mehr als das Dreifache des Rückgangs im Ausgangsszenario ohne Rationierung, und das bei unveränderter Reduktion des Gasverbrauchs.” – bto: Wenn wir also die privaten Haushalte nicht zur Kürzung bewegen, vergrößern wir den gesamtwirtschaftlichen Schaden.
  • “(…) die Größenordnung der Steigerung des wirtschaftlichen Einbruchs ist ein Warnsignal – bei falscher politischer Reaktion kann der wirtschaftliche Schaden um ein Vielfaches höher sein. Und diese Überlegung ist nicht rein hypothetisch – eine solche Form der Rationierung sieht die Notfallstufe des ‘Notfallplans Gas’ derzeit vor.” – bto: Und daran hat sich seit April, als dieser Kommentar erschien, bis heute nichts geändert, wie wir dem Interview mit Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, in dieser Woche entnehmen konnten.
  • “Schon die Erwartung einer Rationierung sorgt für Fehlanreize. Unternehmen werden für eine hohe Zuteilung lobbyieren, statt durch Anpassen der Produktion und Umstellen der Lieferketten schon jetzt auf die hohen Preise und das Risiko der Gasknappheit hinreichend zu reagieren. Auch das ist bereits zu beobachten. Zuletzt haben sich die Nahrungsmittelhersteller wie auch die chemische Industrie mit der Bitte geäußert, vorrangig im Notfallplan berücksichtigt zu werden. Sinnvoller wäre es, schon heute durch marktwirtschaftliche Mittel den Verbrauch vorsichtshalber zu senken und die Industrie zu Importen energieintensiver Produkte anzuregen.” – bto: Das verstehe ich, denke aber, dass dies bedeutet, freiwillig bestimmte Branchen aufzugeben.
  • “Das Prinzip ist klar – lässt man den Preismechanismus wirken, so wird dort am meisten eingespart, wo der Nutzen von Gas letztlich am geringsten ist. Staatlich verabreichte Preissenkungen, wie sie für Benzin und Diesel angekündigt sind, sollten vermieden werden. Um Haushalte vor einer Überlastung durch zu hohe Preise zu schützen, kann die Regierung auf der Basis vergangenen Gasverbrauchs Beihilfen zahlen.” – bto: oder eben nicht. Man könnte einfach den Steuerfreibetrag anheben und dies auch bei Unternehmen durch eine Anpassung der Steuersätze abbilden.
  • “So könnte man schon jetzt verteilungsneutral zu zusätzlicher Einsparung anregen, indem man die in Brüssel und Berlin diskutierten Pläne zu einem Strafzoll auf russisches Gas vorantreibt, der so gestaltet sein sollte, dass die Versorgungsunternehmen ihn an die Verbraucher weitergeben können, und dem aber zollfinanziert eine Gutschrift basierend auf dem Verbrauch im Vorjahr gegenübersteht – in vergleichbarer Höhe pro kWh. Wer es schafft, russisches Gas einzusparen, stellt sich besser als diejenigen, die es nicht können, werden aber auch nicht zusätzlich belastet.” – bto: Das funktioniert aber nur, wenn es weiterhin Gas gibt. Im Falle eines Ausfalls an Gas genügt das nicht.
  • “Der Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland betont: ‘Die Sicherstellung der Versorgung von bestimmten Kunden, wie beispielsweise Haushaltskunden und Kunden, die grundlegende soziale Dienste erbringen, hat einen hohen Stellenwert.’ Die wirtschaftlichen Nachteile einer Gasknappheit können gravierend sein. Sie werden aber wesentlich höher sein, wenn es nicht gelingt, diese Sicherstellung zu gewährleisten und gleichzeitig den Preismechanismus im Gasmarkt wirken zu lassen.” – bto: Wir brauchen einen massiven Anreiz für die privaten Haushalte, den Gasverbrauch einzuschränken.

handelsblatt.com: „Hohe Gaspreise helfen zu sparen“, 4. April 2022