Adam Smith ging es um die Armen
Karen Horn schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über Adam Smith – eine gute Vorbereitung für mein Gespräch mit dem Adam-Smith-Experten Professor Dr. Heinz-Dieter Kurz am morgigen Sonntag (11. Juni 2023):
Zunächst betont sie die Wirkung der Thesen von Smith:
- „In Amerika orientierten sich die ‚Founding Fathers‘ an Smiths Theorien über die soziale Wirksamkeit der Empathie und über die Steigerung der Produktivität durch Arbeitsteilung; in Preussen begleiteten seine Einsichten die Stein-Hardenbergschen Reformen, die den absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum aufgeklärten National- und Industriestaat wandelten.“ – bto: Wer kann das schon von sich sagen?
- „Doch mit der Verbreitung kamen Verzerrungen und Vereinnahmungen. Smith wurde zum Opfer seines Ruhms, und so liegt sein Werk heute unter einer Fülle von Fehlinterpretationen und Klischees verschüttet. Das Unglückseligste davon verbindet sich mit der ‚unsichtbaren Hand‘, …“ – bto: Das missfällt natürlich allen jenen sehr deutlich, die Liberalismus, Eigenverantwortung und Anreizsysteme nicht mögen.
- „(…) (Man begann) sich an diesen zwei Wörtern abzuarbeiten. (…) man meinte in der Metapher nun ein naives mystisches Prinzip zu erkennen, nach dem der Einzelne, indem er auf dem Markt allein seine egoistischen Ziele verfolgt, automatisch auch das Gemeinwohl steigert. Man behauptete zudem, nach Smith gelte es jeden hoheitlichen Eingriff zu unterbinden (…) In der allgemeinen Wahrnehmung verkam der schottische Moralphilosoph so zum Propheten des Egoismus und des Minimalstaats.“ – bto: Das wird dann auch gerne entsprechend instrumentalisiert.
- „All das ist grundfalsch, aber diese Sinnverdrehung hängt Smith bis heute an. (…) Was Smith schrieb, kann man nur dann in den falschen Hals bekommen, wenn man glaubt, das Werk nicht als Ganzes studieren zu müssen – sondern es nur als Stichwortgeber und Zitatensteinbruch benutzt. Dann ist der Weg zur politischen Instrumentalisierung frei.“ – bto: Und das stimmt. Ich denke aber, es ist mehr Absicht als fehlendes Lesevermögen.
- „(…) seine beiden Hauptwerke, die ‚Moral Sentiments‘ und der ‚Wealth of Nations‘, stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern sind über Smiths Tugendethik eng miteinander verzahnt. Sie ergänzen sich und unterliegen in ihrer Argumentation sogar, trotz der unterschiedlichen Forschungsfrage, exakt derselben durchkomponierten Systematik.“
- „In den ‚Moral Sentiments‘ ergründet Smith, wie Menschen moralisch urteilen, und er modelliert zur kausalen Herleitung der Urteile einen interaktiven gesellschaftlichen Prozess. Ihn treibt dabei ein positives Interesse (wie funktioniert das?) und ein normatives Anliegen um (sichert das Ergebnis die soziale Stabilität?). Als Ausgangspunkt denkt er die Menschen als natürlich Gleiche, versehen mit zwei Antrieben, der Eigenliebe und der Nächstenliebe. Sie gilt es in eine Balance zu bringen.“ – bto: … weil sich natürlich das moralische Denken im wirtschaftlichen Handel niederschlägt.
- „Für den ‚Wealth of Nations‘ hat Smith den wirtschaftlichen Fortschritt erforscht. Auch hier die Fragen: Wie funktioniert Fortschritt? Und wovon hängt es ab, ob eine Gesellschaft zu Prosperität findet, so dass es vor allem den Armen besser ergeht? Ihnen gilt Smiths größte Sorge. Ausgangspunkte der Modellierung sind der Wunsch des Menschen, das eigene Los zu bessern, und seine natürliche Neigung, mit anderen Menschen in Austausch zu treten. Hieraus entwickelt er wieder einen Prozess, in dem sich über produktivitätssteigernde Arbeitsteilung eine selbsttragende Wachstumsdynamik entfacht.“ – bto: Im Prinzip kann man sagen, dass er einen produktiven, armutsenkenden Aspekt des Kapitalismus erkannt hat.
- Und hier die Kurzzusammenfassung des Buches: „In den ersten beiden Teilen des ‚Wealth of Nations‘ trägt Smith die Bestandteile der Theorie zusammen – es geht um Preise, Wert, Geld, Löhne, Kapitalakkumulation, Außenhandel. Dies ist gleichsam der ökonomische Lehrbuchteil, dem im dritten Teil eine Analyse der historischen Abweichungen vom theoretischen Entwicklungspfad folgt, im vierten eine Standpauke an Regierende und im fünften eine Art Ratgeber für den aufgeklärten Staatsmann, inklusive der Empfehlung progressiver Steuern.“ – bto: Wobei sich Smith wohl kaum das heutige Niveau hätte vorstellen können.
- „In den letzten Teilen des ‚Wealth of Nations‘ bringt Smith seine beißende Kritik an Regierenden vor, die den Partikularinteressen gieriger Kaufleute entsprechen und deren Eigenliebe außer Kontrolle geraten lassen. Zu ihrer Verschwörung gegen die Allgemeinheit sollte der Staat nicht noch die Hand reichen: Weg also mit den Bevorzugungen, die einer mächtigen Gruppe Gewinne zuschanzen und den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozess unterbinden – denn dieser ermöglicht gerade den Armen ein besseres Leben.“ – bto: Bekanntlich lieben die Kapitalisten den Kapitalismus gar nicht. Das darf man nicht vergessen, denn wahrer Kapitalismus fördert Wettbewerb.
- „Weg auch mit den Einschränkungen, die Armen unverdient in ihrer Misere festhalten. Der moderate Reformer Smith will den Staat von gemeinwohlschädlicher Beeinflussung befreien und neu ausrichten – einerseits mithilfe der ökonomischen Wissenschaft, anderseits mit den Tugenden, die allen Menschen aufgegeben sind: Klugheit, Gerechtigkeit und gegenseitiges Wohlwollen.“ – bto: Und genau darüber spreche ich morgen ausführlich in meinem Podcast.