Daniel Stelter: “Wir werden einen hohen Preis dafür zahlen, dass die Politik die Schuldenrestrukturierung im Euroraum scheut!”
Anlässlich der – nicht überraschenden – Stellungnahme von Pedro Cruz Villalón, dem Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, meine erneute Sicht auf die künftige Politik der EZB: “„Das Gutachten des Generalanwalts wird den Befürwortern des Quantitative Easing (QE) in der Ratssitzung am 22. Januar den Rücken stärken.“ Stelter weiter: „Problematisch ist, dass der Aufkauf von Staatsanleihen – wenn überhaupt – nur minimalste Effekte auf die Realwirtschaft haben wird; das wissen auch die Experten der EZB. Die Zinsen befinden sich schon auf historischen Tiefs, und im Unterschied zu den USA werden sinkende Zinsen nicht an die Schuldner weitergegeben. Dem spanischen Hausbauer bringt die weitere Zinssenkung nichts. Er muss weiterhin den einmal vereinbarten Zins zahlen.“
Im Gegenteil erwartet Stelter sogar negative Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum. Sparer müssten angesichts der tiefen Zinsen mehr Geld zur Seite legen, um für das Alter vorzusorgen. Banken und Unternehmen, die eigentlich insolvent sind, werden künstlich am Leben gehalten, investieren jedoch nicht, was die wirtschaftliche Erholung bremst. „Die Eurozone wiederholt die Fehler Japans. Schuldenkrisen können nicht mit noch mehr billigem Geld und noch mehr Schulden gelöst werden. Hier wäre die Politik gefragt, doch die drückt sich.“
Die EZB werde nicht umhin kommen, die an den Kapitalmärkten geweckten Erwartungen zu erfüllen. Sonst drohe ein deutlicher Zinsanstieg für die Anleihen der Krisenländer und ein Wiedererstarken des Euro. Beides wäre ein Schock für die Wirtschaft. Profiteure des Kaufprogramms seien vor allem Staaten, Banken und Spekulanten. „Es ist wie in einer Bar, wo das Freibier nur jene erreicht, die direkt am Tresen stehen“, so Stelters Vergleich. „Es wäre fairer und effektiver, das Geld den Bürgern direkt zu überweisen. Die angedachte Summe von einer Billion Euro ergäbe rund 3.000 Euro pro Kopf.“ Doch soweit werde die EZB nicht gehen, glaubt Stelter.
Die Verschuldung in der Eurozone steigt derweil weiter an. Mit Ausnahme Deutschlands weisen alle größeren Eurostaaten höhere Staatsschulden als vor drei Jahren aus. Die privaten Haushalte in Spanien, Portugal und Irland haben zwar begonnen, ihre extreme Schuldenlast zu reduzieren, dieser Prozess wird allerdings noch Jahre andauern. In der Folge werden wir noch auf Jahre hinaus mit geringen Wachstumsraten konfrontiert sein. „Angesichts der ungebremsten Schuldendynamik ist es nur eine Frage der Zeit, bis die EZB gefordert wird, weitere Aufkaufprogramme zu starten. Wie in Japan laufen wir dann auf das Szenario zu, dass die EZB der Hauptgläubiger der Staaten ist“, so Stelter.
Bis jetzt sind es nur vereinzelte Stimmen, die vorschlagen, die von den Notenbanken in ihrer Bilanz gehaltenen Staatsanleihen einfach abzuschreiben. Je länger die wirtschaftliche Stagnation anhält und je höher die untragbaren Schulden anwachsen, desto größer wird der politische Druck aus den Krisenländern und Frankreich, in diese Richtung zu gehen. „Dann hätten wir die Schuldenunion durch die Hintertür, ohne demokratische Legitimierung und mit unabsehbaren Konsequenzen für den Geldwert. Letztlich werden wir einen hohen Preis dafür bezahlen, dass die Politik eine offene und transparente Lösung der Krise durch Schuldenrestrukturierung scheut“, so Stelter.”