Der Warnschuss
August ist eigentlich nicht der Zeitpunkt für einen Börsencrash. Viele Akteure sind im Sommerurlaub und haben vorher ihre Portfolios auf Autopilot gestellt. Deshalb gilt der August auch nicht als der Monat großer Kurszuwächse, aber eben auch nicht deutlicher Einbrüche. Der August 2024 scheint zu beweisen, dass das mit den Regeln an der Börse so eine Sache ist. Sie gelten, bis sie nicht mehr gelten. In der Tat erreichen die Einbrüche an den Märkten Dimensionen, die man nur selten erlebt. Was zur Frage führt, wie es denn nun weitergeht.
Märkte waren hoch bewertet
Im Unterschied zu vielen anderen Kommentatoren will ich gar nicht den Eindruck erwecken, ich wüsste, was nun passiert. Vieles spricht dafür, dass es sich um eine überfällige Korrektur handelt, haben die Börsen doch in den letzten Monaten vor allem getrieben von den Hoffnungen auf einen Boom der Künstlichen Intelligenz (KI) die Bewertungen der damit verbundenen Unternehmen deutlich nach oben getrieben. Dabei wurden die Lieferanten der Technologie – allen voran Nvidia – wie auch die Kunden – die anderen Technologiegiganten – immer höher bewertet, was kritische Beobachter zu der Frage veranlasst hat, ob hier keine Doppelrechnung vorliegt. Denn die Gewinne der einen sind nun mal zunächst die Kosten der anderen (siehe meine Kolumne aus dem aktuellen Cicero).
Aber auch sonst war der Markt sehr optimistisch. Anhaltend hohe Haushaltsdefizite vor allem in den USA wurden genauso ausgeblendet, wie die Krise in China und die anhalten Stagnation in der EU und allen voran Deutschland. Liquidität war im Nachgang der Corona-Krise noch ausreichend vorhanden und die Hoffnung auf Zinssenkungen stand im Raum. Dass eine solche Zinssenkung eher in einem Umfeld schwächerer Konjunktur und damit schlechterer Gewinnentwicklung erfolgen würde, wurde gerne ignoriert.
Eine Korrektur wirkt hier wie ein reinigendes Gewitter und ich würde nicht ausschließen, dass die Notenbanken nun rascher als gedacht die Zinsen senken und die Märkte sich beruhigen. Rückblickend mag man dann feststellen, dass der Einbruch eine Gelegenheit für Mutige war, in die Märkte einzusteigen.
Fundamentale Probleme
Andererseits müssen wir anerkennen, dass die Weltwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen steht. Die Verschuldung nicht nur von Staaten wie den USA, Frankreich und Italien, sondern auch in einigen Privatsektoren ist auf einem nicht nachhaltigen Niveau. Die Notenbanken werden immer mehr ihren Fokus darauflegen müssen, die Zahlungsfähigkeit zu sichern und den Geldwert dabei aus den Augen verlieren. In Kombination mit der politisch betriebenen De-Karbonisierung dürfte dies zu anhaltend höheren Inflationsraten führen.
China steht vor dem Problem einer Immobilienkrise und verfolgt eine Strategie der industriellen Dominanz, die zwangsläufig zu Konflikten mit den USA und der EU führen muss. Es droht eine Spirale immer größerer Handelshemmnisse, die letztlich allen Akteuren schaden, obwohl sie gerade in den USA sehr populär sind.
Die EU wiederum setzt auf eine zunehmend planwirtschaftliche Agenda und hat sich vom Ziel der Wohlstandsschaffung für die eigenen Bürger faktisch verabschiedet. An die Stelle der Wohlstandsschaffung ist die Rolle als Moralweltmeister getreten, der Stolz darauf ist, als erste Region die KI zu regulieren – die woanders entwickelt wird – und glaubt als Vorbild für die Welt den Klimawandel zu bekämpfen, in Wahrheit aber die eigene Industrie vertreibt.
Deutschland wiederum hat immer noch nicht erkannt, dass wir die gute Konjunktur der Jahre 2009 bis 2019 neben der Globalisierung vor allem der Euro-Krise verdanken, die dazu geführt hat, dass die Zinsen deutlich sanken und der Euro an Außenwert verlor, was unsere Exporte ausgesprochen wettbewerbsfähig gemacht hat. Statt diese Sonderkonjunktur dazu zu nutzen, uns für die Zukunft fit zu machen, haben wir den Sozialstaat und die Bürokratie ausgebaut und Infrastruktur und Bildungswesen vergammeln lassen. Nun treten wir in den Wettbewerb mit Ländern wie China, die in derselben Zeit in wichtigen Schlüsselindustrien der Zukunft dominante und auch technologisch führende Positionen aufgebaut haben. Man denke an Photovoltaik, Batterien und Elektromobilität. All dies sind keine Gründe für steigende Börsen, die dennoch gestiegen sind.
Hoffentlich keine Rezession
Als offizielle Begründung für die Korrektur an der Börse wird angeführt, dass die bisher – vor allem wegen der sehr hohen Staatsdefizite – sehr robuste amerikanische Wirtschaft in eine Rezession rutschen könnte. Dies wäre für Deutschland eine besonders schlechte Nachricht, träfe die Rezession uns doch zu einem Zeitpunkt, wo die Wirtschaft aufgrund hausgemachter Probleme – Energiepolitik, hohe Abgabenlast, unzureichende Investitionen – bereits seit gut 5 Jahren stagniert.
Ein Spruch besagt, dass die Börsen zehn der letzten fünf Rezessionen vorhergesagt haben, womit gemeint ist, dass es keineswegs zu einer Rezession kommen muss, wenn die Märkte mal einbrechen. Hoffen wir, dass es diesmal auch so ist. Trotzdem geben die Rezessionssorgen den Fürsprechern höherer Staatsschulden und Gegnern der Schuldenbremse erneut einen Anlass, den bekannten Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick zu bestätigen, der sagte, dass für den Mann mit einem Hammer jedes Problem wie ein Nagel aussieht.
Sofort wurde mit dem Einbruch an der Börse die Forderung nach mehr Staatsausgaben und -Schulden begründet. Dabei ist bekannt, dass solche Maßnahmen erst in einem bereits aufsteigenden Konjunkturzyklus wirksam werden und keineswegs strukturelle Probleme beheben. Investitionen in Sozialabgaben und Klimaschutz mögen kurzfristig Konsum anregen, jedoch sind langfristige strukturelle Veränderungen notwendig, um die Produktivität Deutschlands zu stärken.
Turbulenzen als Warnschuss
Um die Konjunktur in Deutschland zu stabilisieren, muss ein Umdenken in der politischen Strategie erfolgen. Statt weiterer Schulden sind gezielte Investitionen in die Beseitigung struktureller Probleme wie Energieversorgung, Bürokratieabbau, Infrastrukturausbau und Bildung gefragt. Durch diese Maßnahmen können die Erwartungen von Unternehmen verbessert werden, was dazu führen könnte, dass Firmen nicht mehr über Abwanderung nachdenken. Dies erfordert keine zusätzlichen Geldmittel für den Staat, sondern eine neu ausgerichtete Priorisierung seiner Ausgaben.
So gesehen, sollten wir die Turbulenzen an den Börsen als Warnschuss verstehen. Wenn wir Glück haben, gibt es keine Rezession. Dann hätten wir noch die Zeit für einen grundlegenden Politikwechsel, der Wirtschaft und Wohlstand in diesem Land erhält. Allerdings ist fraglich, ob unsere politischen Eliten das verstehen.